Leicht, luzide, verspielt – dies sind die ersten Assoziationen, die einem beim Hören der ersten Sonatine für Klavier solo des in München und Regensburg wohnenden Komponisten, Dirigenten und Pianisten Lutz Landwehr von Pragenau in den Kopf kommen. Die unerhörte Ausgelassenheit und pure Lebensfreude, welche dieses Werk verströmt, mögen so gar nicht zu dem passen, was man von einem Werk zeitgenössischer Musik erwarten würde. Und doch ist es kein traditionell geartetes Stück, sondern spielt mit Form und Harmonik, unterbricht den Fluss durch launische Brüche, kecke Dissonanzen und wilde Harmoniewechsel.
Die Randsätze stehen erkennbar in C-Dur, der Mittelsatz dafür kontrastiert mit es-Moll – innerhalb dieser Zentren klaffen jedoch angesichts der Kürze beachtlich ausgereifte Modulationen fernab der Basis. Das eröffnende Allegretto beschreibt eine Sonaten-Hauptsatzform mit gewissen Freiheiten, so ist beispielsweise die Expositions-Wiederholung ausgeschrieben und mit deutlichen Variationen durchsetzt, ein Eröffnungsmotiv kehrt nicht vor, sondern nach der variierten Wiederholung wieder, um in die Durchführung überzuleiten. Die Reprise hingegen kommt ohne Seitenthema daher, verkürzt auf wenige Takte mit bruchlos eingeführter Coda. Durchzogen wird der Kopfsatz durch eine repetierende Sechzehntel-Begleitung, die an einen leichten Holzbläsersatz erinnert, worüber sich die Melodien erheben, im Hauptthema charakterisiert durch scherzhafte Vorschläge. Hervorzuheben seien zum einen die mit Bedacht gesetzten Taktwechsel, die an den richtigen Stellen den Puls ins Wanken bringen, um gezielte Affekte zu evozieren, zum anderen die spannenden Harmoniewechsel unter anderem nach es-Moll (in Vorwegnahme des Mittelsatzes), die ganz unvermittelt einbrechen und ebenso rasch wieder negiert werden. Landwehr von Pragenau gelingt es gerade in diesem Satz, mit wenigen Tönen viel auszusagen und eine überbordende Nonchalance auszustrahlen.
Offen bleibt hingegen der Mittelsatz, der beinahe fragmentarischen Charakter aufweist. Das ausgesprochen freie Thema besteht aus fünf Gliedern, von denen vier zweitaktig, das mittlere jedoch dreitaktig entsteht, was sogleich die Symmetrie sprengt. Dadurch entsteht das Gefühl vielseitiger Plastizität, als würde man die Keimzellen aus ganz unterschiedlichen Winkeln betrachten. Das Thema wird danach in der linken Hand weitergeführt, worüber weltfremde „Glöckchen“ in den hohen Lagen erklingen. Zwei langsam anrollende Wellen durchbrechen den Verlauf und führen zu drei Schlussakkorden, die ins Dur führen, wo der Satz verklingt.
Explosiv zerschlägt das Finale die unwirkliche Stimmung des Mittelsatzes, erscheint anfangs geradezu wie aus einer Clementi-Sonate entsprungen – nur, dass dieser niemals so direkt das C-Dur durch Des-Dur (die sogenannte Tritonussubstitution) bereichert hätte. Nach nur wenigen Takten beruhigt sich die Stimmung wieder und ein Mittelteil führt in eine ganz andere Welt, die eher an Ravel gemahnt. So spannt sich ein Satz zwischen der quirligen Leichtigkeit der Wiener Klassik und der sanften Verträumtheit der Musik um die Jahrhundertwende, dabei immer im persönlichen Tonfall des Komponisten Lutz Landwehr von Pragenau verankert. Sehr dankbar die Coda, die das Thema fragmentiert und chromatisch steigen lässt, bevor rasende Tonleitern ein bravouröses Ende einleiten.
Die (erste) Sonatine von Lutz Landwehr von Pragenau (eine ganz anders geartete Zweite wurde erst im Juni aus der Taufe gehoben) kehrte mittlerweile durchaus in die öffentliche Wahrnehmung ein. Sie eignet sich sowohl für den pädagogischen Gebrauch für weiter fortgeschrittene Schüler*innen, um sie mit einem ansprechenden wie spielfreudigen Werk in die Moderne einzuführen, wie auch für den Konzertbetrieb – sie wurde von mehreren Pianist*innen bereits aufgeführt, wobei die einzelnen Darbietungen jeweils ganz andere Eindrücke weckten, was für den Facettenreichtum des Werks spricht. Eine Aufnahme mit dem Komponisten am Klavier findet sich auf YouTube, die Noten erschienen im Repertoire Explorer – Beyond the Waves (SKU 5287).