Das Schaffen Vivienne Olives lässt sich nicht kategorisieren mit einem oder mehreren -ismen, in ihrem Werk vereint sie unterschiedlichste Einflüsse und Strömungen zu ihrem eigenen, stets wechselhaften, sich selbst immer neu erfindenden Stil. So existiert kein Werk von ihr, das „exemplarisch“ für ihr Oeuvre steht, denn jedes für sich bildet einen eigenen, vollgültigen Kosmos. Ein vollgültiges Erlebnis dieser Komponistin erfährt man in jedem davon, einen Überblick erst durch eine Vielzahl an Höreindrücken.
Geboren 1950 in London unter einfachsten Verhältnissen stellte sich schnell ein musikalisches Talent heraus und Olive bahnte sich ihren Weg durch das von Männern dominierte Feld einer Kompositionslaufbahn, setzte sich durch und steht heute sinnbildlich für die Gleichstellung von Frauen wie allgemein auch ethischen oder religiösen Minderheiten in allen Bereichen der Musik. Sie fasst es kurz: „Im Grunde geht es darum, immer möglichst fair zu sein“ (S. 30). Seit 1979 wirkt Olive als Dozentin, seit 2014 als Honorarprofessorin in Nürnberg mit einem zweijährigen Intermezzo in Australien 1993 bis 1995, wovon sie noch immer kompositorisch wie menschlich zehrt.
Mit der Herausgabe eines Sammelbandes von zehn Autoren unter Leitung von Theresa Henkel und Franzpeter Messmer macht sich die Reihe Komponisten in Bayern den Verdienst, erstmalig umfassend verschiedene Aspekte von Olives Leben und Wirken unter einem Cover zu vereinen und ihrer Vielseitigkeit auf den Grund zu gehen. Geteilt ist dieser nunmehr 67. Band der Reihe in einen biografischen Teil und einen mit Überblicken über bestimmte Werkgruppen. Der erste Abschnitt beinhaltet einen Beitrag von Charlotte Cubitt über Kindheit und frühe Einflüsse, einen autobiografischen Essay der Komponistin und ein Gespräch zwischen ihr und Mary Ellen Kitchens. Den zweiten Teil gestalten Janosch Umbreit über die dramatischen Werke, Mary Ellen Kitchens über Vokal- und Chorwerke, Arno Leicht über Klavierlieder, Theresa Henkel beschreibt Orchesterwerke mit Solisten, Matthias Stubenvoll berichtet von der vokalen und Barbara Gabler von der instrumentalen Kammermusik, Stefan Grasse schreibt über Gitarren- und Uta Walther über Tastenwerke.
Eine Besonderheit hierbei ist, dass mehrere der Autor*innen zugleich als Interpret*innen der Werke hervortreten und so aus ihren Erlebnissen mit den Werken vom Podium aus berichten können. Abgerundet wird der Band durch einen Bildteil und ein vollständiges Werkverzeichnis.
Der erste Teil des Sammelbandes erweist sich als existentiell für zukünftige Forschung über diese Komponistin, gewährt dabei auch Interessierten einen Einstieg, die bislang nichts oder nur wenig von Vivienne Olive gehört haben. Die Werkübersicht mag vor allem für diejenigen interessant erscheinen, die selbst etwas von Olive aufzuführen gedenken und auf diese Weise Einblick gewinnen wollen. Im Gesamtbild besticht der Band durch eine Mischung aus umfassenden wie profunden Hintergrundinformationen sowie persönlichen Berichten und Anschauungen bestimmter Werke.