Banner Full-Size

Zwischen Ost und West

Untertitel
Friedrich Gauwerkys „Hommage à Isang Yun“ in Siegen
Publikationsdatum
Body

Fast könnte man bei Isang Yun, dem Portraitkomponisten des letzten Konzerts im „Studio für Neue Musik“, von einer Siegener Prominenz sprechen. Denn Yun führte es zu Lebzeiten bereits mehrmals ins Siegerland, wo er Workshops leitete und unter anderem eng mit der Philharmonie Südwestfalen arbeitete.

Auch Friedrich Gauwerky ist in Siegen ein gern gesehener Gast und kann bereits auf eine Reihe erfolgreicher solistischer Cellokonzerte im Musiksaal der Universität zurückblicken. Am Abend des 7. Juni 2018 widmete sich Gauwerky ebendort in einer „Hommage à Isang Yun“ dem gebürtigen Koreaner, der im letzten Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Gauwerky begnügte sich nicht nur mit dem Cellospiel, sondern führte als Moderator auch sachkundig und souverän durch den Abend. Das exquisit zusammengestellte Konzertprogramm stellte einige Stücke Yuns aus verschiedenen Zeiten in einen gemeinsamen Kontext mit Werken befreundeter Komponisten, darunter Karlheinz Stockhausen und Bernd Alois Zimmermann. Diese waren für ihn 1967, als er aus Deutschland nach Seoul verschleppt und des Landesverrats angeklagt wurde – ihm drohte damals die Todesstrafe –, wichtige Weggefährten gewesen und sorgten nicht zuletzt durch ihre massive Unterstützung für seine Freilassung.

Naheliegend ist, dass das Eröffnungsstück „Glissées“, welches Yun kurz nach seiner Freilassung schrieb, von den dramatischen, persönlich durchlebten Ereignissen geprägt wurde. Holzige, schroffe Zupfklänge, die sich zu hochkomplexen Gewölben ausformten, zeugten von Yuns Adaption der westlichen Avantgarde und ihrer teils herben Klanglichkeit. Es offenbarten sich jedoch auch deutliche Unterschiede zum „westlichen Klang“ der Nachkriegszeit: Die über 20 Jahre später entstandenen „Sieben Etüden“, von denen Gauwerky zwei präsentierte, schienen dem asiatischen Geist wesentlich näher zu stehen – insbesondere in deren Herausarbeitung von Zentraltönen. Ruhige, melodiöse Bögen umspannten diese und ließen meditativ-entschleunigte Klangbilder aus kleinen Intervallzellen erwachsen. Ähnliches galt auch für „Himiko schläft“, ein kurzes Stück von Yuns Schüler Erwin Koch-Rafael, in dem die Idee des gewöhnlichen, sich langsam entfaltenden Vibratos umgekehrt wird. Bereits Leisestes vibrierte hier miniaturartig, manchmal hochzerbrechlich und amorph. Ein Kosmos im einzelnen Ton, asiatischem Musikempfinden gänzlich verpflichtet.

Die Neigung zum Fernöstlichen verbindet Yun schließlich in besonderer Weise mit Karlheinz Stockhausen, von welchem Gauwerky drei Stücke aus „Amour“ aufführte, eigentlich ein Klarinettenzyklus, den Gauwerky für sein Instrument arrangiert hatte. Fast programmatisch wurden in den kleinen, jeweils Suzanne Stephens und Mary Bauermeister gewidmeten „Hommagen“ etwa ein wachender Engel oder ein am Fenster singender Vogel musikalisch umrissen. Bernd Alois Zimmermanns folgende Cellosonate, ein technisch wie künstlerisch echter Meilenstein, ist von Stockhausens kompositorischer Sprache zwar weit entfernt, dennoch vereinte Gauwerky die beiden gegensätzlichen und von Yun verbundenen Komponisten miteinander. Die durch mannigfaltig abschattierte Klangfarbenwechsel gekennzeichnete Sonate ließ den Avantgardesound um 1960 erneut aufflammen – Gauwerkys differenziertes Spiel genügte den hohen Ansprüchen des Werks, das zur Entstehungszeit noch als unaufführbar galt, meisterhaft. Nach der letzten zarten und mit Dämpfer vorgetragenen Etüde Yuns verabschiedete sich Gauwerky mit einer schmunzelnden Solonummer aus Stockhausens Oper „Mittwoch“, um den Donnerstag so virtuos ausklingen zu lassen.

Text/Foto: Marco Hoffmann, Erstabdruck in der Siegener Zeitung vom 11. Juni 2018

Ort
Print-Rubriken