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Die Glut weitertragen

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Neue Musik in der ARD in einer Zeit tief greifender Reformen
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Zur Zeit erlebt die deutsche Rundfunklandschaft (abgesehen von der ewig aktuellen Gebührendiskussion) die größte Reform ihrer Geschichte, und natürlich geht das auch an der Neuen Musik nicht vorbei. Die zweifache Rolle der Redakteure als Journalisten und Produzenten verändert sich. Wohin?

Bei den mittleren und kleineren Sendern (die die Fusion quasi schon vor Augen haben) geht es derzeit am schnellsten. Beispiel Hessischer Rundfunk: Die grossen Features oder die Sendungen für elektronische Musik sind eingestellt worden, die Produktionen drastisch gekürzt. Beispiel Radio Berlin-Brandenburg: Das hat seinen Etat für Neue Musik Ende letzten Jahres auf Null heruntergefahren und die Sendezeit für neue Musik um 60 Prozent gekappt. Auch Radio Bremen hat in dieser Größenordnung Sendezeit reduziert. Oder der Saarländische Rundfunk: Ab 2006 wird hier der Länderfinanzausgleich halbiert, das bedeutet etwa 25 Millionen Euro weniger pro Jahr, was Auswirkungen auf Belegschaft und Sendeinhalte haben wird. Am eigenen Orchester allerdings hält die Intendanz noch fest – womit auch die Neue Musik noch ihren Ort hat. Wie lange das so bleibt, ist unklar. Auch an anderen, größeren Funkhäusern stehen sie mittlerweile zur Disposition, jene Orchester, die seit dem 2. Weltkrieg, als man ausgehungert war und süchtig nach neuer, aufregender geistiger Nahrung, entscheidend mitgeholfen haben, eine ungemein reiche und vielfältige Szene der Neuen Musik zu entwickeln. Allein in Donaueschingen sind bisher um die 400 Werke uraufgeführt worden. Weltkarrieren – von Boulez über Ligeti bis Xenakis – nahmen hier ihren Anfang. Dass sich die Kulturradios im Umbruch befinden, ist offensichtlich; ein Sender nach dem anderen stülpt unter dem Damoklesschwert der sinkenden Quote sein Programm um: Hoch im Kurs steht mehr und mehr das „Nebenbeihörprogramm“ mit Magazinflächen voller locker präsentierter musikalischer Häppchen.

Neue Hörer gewinnen

Ein gewagtes Spiel freilich: Neue Hörerschichten will man gewinnen, Stammhörer aber nicht verlieren. Wohin und wie weit dieser Umbau gehen wird, kann niemand vorhersagen. Zu befürchten ist, dass Neue Musik dabei schlicht auf der Strecke bleiben könnte. Es war Heinz Sommer, der Hörfunkdirektor des Hessischen Rundfunks, der aussprach, was viele Radiomacher denken, als er sagte: „Der Radiohörer hört Radio, nicht Kultur; in allererster Linie Radio und nicht Inhalte.“ Ist das so? Gehören Inhalt und „radiophone“ Präsentation nicht zusammen und haben sich neben hochintellektuellen Analysen nicht längst auch andere Formen der Auseinandersetzung – vom Portrait über Gespräch und Feature bis zu Collagen – entwickelt? „Die Philosophie meiner Sendungen war immer auch Entertainment“, sagt Margarete Zander vom NDR: Die Sendungen müssen, ohne in belehrenden Ton abzugleiten, den Hörer emotional packen. Altes journalistisches Gesetz. „Tradition heißt nicht: die Asche bewahren“, sagt Konfuzius, „Tradition heisst: die Glut weitertragen.“ Und Thomas Mann schreibt in seinem „Doktor Faustus“, „dass es nicht auf das Interesse der anderen, sondern auf das eigene ankomme, also darauf, Interesse zu ,erregen‘, was nur geschehen könne, dann aber auch mit Sicherheit geschehe, wenn man sich selbst für eine Sache von Grund aus interessiere und also, indem man davon spreche, schwerlich umhinkönne, andere in dies Interesse hineinzuziehen, sie damit anzustecken und so ein gar nicht vorhanden gewesenes, ein ungeahntes Interesse zu ,creieren‘, was viel besser lohne, als einem schon bestehenden gefällig zu sein.“ Am mangelnden Engagement der Autoren liegt es nicht, dafür gibt es viele Beispiele. Also liegt es am Gegenstand selber? Die Neue Musik hat im allgemeinen Formatierungstaumel einen schweren Stand. Anderen Kunstformen gesteht man sehr wohl zu, kritisch zu reflektieren; Musik dagegen hat ausschließlich der Erbauung zu dienen. So manchem wäre es nicht unrecht, lösten sich im Zuge der Reformen Sendeplätze für Neue Musik ins Nichts auf. Denn wo bleibt bei Neuer Musik die Quote?

Es scheint ja geradezu naheliegend zu sein, etwas abzuschaffen, was ohnehin nur die Interessen einer vergleichsweise winzigen Minderheit bedient. Was aber ist mit dem einst viel gerühmten „Kulturauftrag“, wenn sich die Öffentlichrechtlichen an das Formatradio der Privatsender anlehnen? Wenn sie zwar, wie das Frank Kaspar in der FAZ formuliert hat, „manche Biederkeit und ihren oft belehrenden oder moralisierenden Ton abgelegt, ein entspannteres Auftreten etabliert und mehr Unterhaltung gewagt“ hätten, wenn sie aber zugleich „im Übereifer der Profilierung zu einer halbherzigen Kopie der Privaten zu werden“ drohten „und gerade dadurch an Profil verlieren“? Wenn dem so wäre: Weder braucht man Klone noch wären die mit Gebühren zu rechtfertigen.

Gegentrend zur Seichtheit

Wie wird es aussehen in zehn Jahren? Wird die Neue Musik aus dem Rundfunk schneller wegrationalisiert als andere Programminhalte, weil ihre Redakteure sich bisher keine Lobby aufgebaut haben, zu sehr mit ihrem Gegenstand beschäftigt sind und zuwenig mit der Zeit gehen, das heißt: Öffentlichkeitsarbeit machen, Marketingkampagnen für die Pflicht zur und die Lust an der Neuen Musik starten? Von alleine wird sich die Situation nicht bessern. Und Jammern auf hohem Niveau hilft natürlich auch nicht (Peter Sloterdijk hat das schön formuliert als „Belcanto-Miserabilismus“). Das Argument einer grandiosen Vergangenheit ist sicher kein Argument für die Zukunft. Vielleicht ist es aber heute nötiger denn je, bedachtsam auf den Gegentrend zur allgemeinen Seichtheit zu setzen. Der ja vielleicht wieder einmal Schule machen wird, wenn der Spaßfaktor-Sättigungsgrad erreicht sein sollte. Vorsicht ist allerdings geboten. Da gilt ein Satz Adornos: „Wir sollten, ohne dabei im geringsten diese negativen Momente zu verkennen, uns darum bemühen, nicht selber, gerade indem wir über die Oberflächlichkeit uns entrüsten, oberflächlich und undialektisch uns zu verhalten.“

Junge Künstler im neuen RBB-Kulturradio
Zu dem Artikel „Die Glut weitertragen” von Florian Hauser, in der nmz 2/04, Seite 31

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