Als die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ vor vier Jahren eingesetzt wurde, haben viele gedacht, der vor inzwischen über 30 Jahre aufgelegte „Künstlerreport“ von Karla Fohrbeck und Andreas Johannes Wiesand – auch Künstlerenquete genannt – würde wiederholt werden. Jene, die meinen, der nunmehr vorliegende Abschlussbericht der Enquete-Kommission wäre so etwas Ähnliches wie ein Künstlerbericht und würde genau Auskunft über die soziale Lage von Künstlern geben, werden enttäuscht sein.
Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission unterscheidet sich zunächst grundsätzlich vom Künstlerreport dadurch, dass es sich hier um eine echte Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags handelt mit einem konkreten Einsetzungsbeschluss und damit Arbeitsauftrag sowie einem Arbeitsgremium, das aus Abgeordneten des Deutschen Bundestags und gleichberechtigten Sachverständigen zusammengesetzt ist. Es wurde also nicht wie seiner Zeit von einem Bundesministerium ein Forschungsinstitut beauftragt, sondern der Deutsche Bundestag setzte ein eigenes Arbeitsgremium ein. Der Enquete-Bericht unterscheidet sich aber auch inhaltlich wesentlich vom Künstlerreport. Im Künstlerreport wurde die soziale und wirtschaftliche Lage der Künstler untersucht. Im Arbeitsauftrag der Enquete-Kommission war diese Fragestellung eine unter mehreren anderen. Die Aussagen zur sozialen und wirtschaftlichen Lage der Künstlerinnen und Künstler sind also eingebettet in eine Gesamtbetrachtung des Kulturbereiches in Deutschland. Das ist meines Erachtens die große Stärke dieses über 500 Seiten umfassenden Abschlussberichtes.
Manch einer, der vor allem in seinen eigenen Schrebergarten schaut, wird vielleicht unbefriedigt sein, wenn er den Abschlussbericht liest. An die Mitglieder der Enquete-Kommission wurden sehr viele Einzelforderungen gerichtet und jede dieser Forderung ist aus der Sicht derjenigen, die sie erhoben haben, mehr als gerechtfertigt. Die Enquete-Kommission hatte aber nicht die Aufgabe, alle Wünsche aus dem Kulturbereich zu erfüllen, sie hatte vielmehr den Auftrag, eine Bestandsaufnahme der Kultur in Deutschland zu leisten, Probleme zu beschreiben und konkrete Handlungsempfehlungen zu formulieren.
Interessen abwägen
Dabei galt es stets unterschiedliche Interessen gegeneinander abzuwägen. Mag es aus Sicht eines Laienvereins vielleicht wünschenswert sein, möglichst geringe oder im günstigsten Fall keine Beiträge zur Künstlersozialversicherung oder zur GEMA zahlen zu müssen, so wäre dieses, nimmt man die Situation der Künstler in den Blick, eine Katastrophe. Mögen sich die einen von einer Privatisierung von Kultureinrichtungen einen flexibleren Umgang mit öffentlichen Mitteln erwarten, befürchten die anderen eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Meinen die einen, alle Kultureinrichtungen sollten einen besonderen Akzent auf die kulturelle Bildung legen, erinnern die anderen an die Autonomie der Kunst. Glauben die einen, dass alleine das Musizieren glücklich macht, schwören die Nächsten auf die Kraft des Theaters, die Anziehungskraft des Tanzes, die Verzauberung durch Literatur oder die bildende Kunst. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.
Vielleicht geschult durch meine Arbeit im Deutschen Kulturrat, die stets dadurch bestimmt ist, einen Kompromiss zwischen den Interessen der verschiedenen künstlerischen Sparten und den unterschiedlichen Bereichen des kulturellen Lebens zu erzielen, war es mir ein besonderes Anliegen, auch in der Enquete-Kommission zu helfen, nach solchen Kompromissen zu suchen.
Ich habe mich daher in meiner Arbeit besonders auf die Arbeitsgruppen konzentriert, in denen es um die Rahmenbedingungen für Künstlerinnen und Künstler ging. In den Kapiteln zur Künstlersozialversicherung bekennt sich die Enquete-Kommission ausdrücklich zu diesem Instrument der sozialen Absicherung der Künstlerinnen und Künstler. Sie fordert, den bestehenden Bundeszuschuss zu erhalten und daran festzuhalten, dass die unter die Generalklausel fallenden sowie Eigenwerbung betreibenden Unternehmen auch weiterhin abgabepflichtig sind. Dieses klare Statement zur Künstlersozialversicherung wird von großer Bedeutung sein, wenn es darum geht, zu überprüfen, ob die 3. Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes aus dem vergangenen Jahr den gewünschten Erfolg gebracht hat. Ebenso wichtig ist, dass an dem im Künstlersozialversicherungsgesetz formulierten offenen Künstlerbegriff festgehalten werden soll. Was im Bericht so selbstverständlich daher kommt, war Gegenstand intensiver Debatten, und ich bin froh, dass diese grundlegenden Aussagen getroffen wurden, die die Basis für mögliche weitere Debatten zum Künstlersozialversicherungsgesetz sind.
Urheber im Mittelpunkt
Wichtig war mir weiter, dass in den Aussagen zum Urheberrecht der Urheber im Mittelpunkt steht. Auch diese vermeintliche Selbstverständlichkeit wird teilweise in Frage gestellt. Ich bedauere, dass es in den Debatten in der Enquete-Kommission nicht gelungen ist, die Themen Ausstellungsvergütung für bildende Künstler sowie Künstlergemeinschaftsrecht so zu diskutieren, dass am Ende eine Handlungsempfehlung steht. So werden sie lediglich angerissen, der Sachstand beschrieben, und eine Entscheidung steht nach wie vor im Raum. Hier wäre besonders bei den Ausstellungsvergütungen ein bisschen mehr Mut notwendig gewesen, der einen oder der anderen Seite reinen Wein einzuschenken, entweder sich für Ausstellungsvergütungen auszusprechen und den Institutionen, die hätten zahlen müssen, Möglichkeiten der Finanzierung in Aussicht zu stellen oder aber den Künstlern klipp und klar zu sagen, dass die Ausstellungsvergütungen nicht kommen werden. Hier wurde ein Thema auf die lange Bank geschoben, bei dem alle Argumente seit langem ausgetauscht sind. Hinsichtlich des Künstlergemeinschaftsrechts hat die Enquete-Kommission die Chance vertan, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. Gerade eine Enquete-Kommission, die über den Tag hinausdenken soll und nicht nur für die aktuelle Gesetzgebung zuständig ist, wäre ein geeignetes Gremium gewesen, sich mit dem Thema zu befassen.
Am Herzen lag mir auch, deutlich zu machen, welchen Beitrag die Bürgerinnen und Bürger für den Fortbestand und die Weiterentwicklung des kulturellen Lebens in Deutschland leisten. Kultur ist mehr als das, was die Kultureinrichtungen bieten, und Kultur geht über den staatlich unterstützten Kultursektor hinaus. Insofern war ein Gutachten zum Stellenwert von Spenden und Mitgliedsbeiträgen zur Kulturfinanzierung sehr aufschlussreich. Hier wird das Fazit gezogen, dass die Bürger die größten Finanziers von Kunst und Kultur sind, und zwar zuerst als Marktteilnehmer, dann im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements – sei es als Zeit- oder als Geldspender – und zum Schluss erst als Steuerzahler. Diese Aussage ist es wert, stärker bekannt gemacht zu werden, um der vorherrschenden Meinung, in Deutschland sei die Kultur vor allem öffentlich finanziert, entgegen zu treten. Bedeutsam im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements sind auch alle Forderungen zum Zuwendungsrecht. Hier werden Vorschläge aus der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ erneut aufgegriffen und es ist zu hoffen, dass nach dem Motto „Steter Tropfen höhlt den Stein“ auch in dieses Feld Bewegung kommt. So manche Debatte um die Privatisierung von Kultureinrichtung wäre überflüssig, würden konsequent die bestehenden Spielräume im öffentlichen Haushaltsrecht ausgeschöpft und würden weitere Lockerungen eingeführt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang der Vorschlag, dass der Bundesrechnungshof künftig bei seinen Prüfberichten zuerst die positiven Aspekte aus der Arbeit einer Institution schildern soll, um vor diesem Hintergrund seine Monita zu äußern.
Der Abschlussbericht ist eine Fundgrube für die Kulturpolitik. Es gibt kein vergleichbares Werk, in dem so umfassend der gesamte Kulturbereich in Deutschland ausgeleuchtet wurde, konkrete Probleme benannt und schließlich Empfehlungen zur Verbesserung abgegeben wurden. Jetzt wird es darauf ankommen, den Enquete-Bericht umzusetzen. Dafür wird jeder seine eigenen Prioritäten setzen und vor allem einen langen Atem haben müssen. Der Bericht ist es aber wert, diesen langen Atem zu investieren.
Der Verfasser ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und war Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“.