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Gordon Kampe, in Jacke, hellem Hemd, mit dunklen kurzen Haaren, ohne Bart und mit schmaler Brille

Gordon Kampe. Foto: privat

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Eingrooven zwischen Mikrotönen und Kickerspiel

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Wechsel beim Bundeswettbewerb Jugend komponiert der Jeunesses Musicales Deutschland
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Beim Bundeswettbewerb Jugend komponiert der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) gab es im September 2023 einen Wechsel: Philipp Van­dré, seit 2015 Künstlerischer Leiter des Wettbewerbs, übergab die Leitung des renommierten Projektes der Jeunesses Musicales Deutschland an Gordon Kampe, Komponist und Professor für Komposition an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Das Gespräch mit dem bisherigen und dem künftigen Leiter führte Susanne Fließ.

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neue musikzeitung: Lassen Sie uns zunächst über den Wettbewerb Jugend komponiert und die Kompositionswerkstätten 2023 sprechen.

Philipp Vandré: In diesem Jahr hätten die Werkstätten der Förder- und Bundespreisträger nicht unterschiedlicher sein können. Im April hatten wir das erste Mal überhaupt, seit ich den Wettbewerb kenne, fast nur neue Förderpreisträger. Das war eine echte Herausforderung, weil sich so viele in unserem Werkstattformat neu finden mussten. Im August dagegen hatten nahezu alle Bundespreisträger schon mindestens zum zweiten Mal einen Preis gewonnen, so dass das ein sehr entspanntes Miteinander in vertrautem Rahmen war. Insgesamt be­obachten wir über die Jahre, dass sich immer mehr Werkeinreichungen der jungen Komponierenden auf einem erfreulich hohen Niveau bewegen. Die sowieso schon hohe Qualität nimmt also in der Breite zu. Darin sehen wir ein Indiz, dass unsere zahlreichen Aktivitäten der letzten Jahre zur Förderung der Kompositionspädagogik Früchte tragen.

nmz: Herr Kampe, das war zwar nicht Ihr erster Wettbewerb „Jugend komponiert“, aber diesmal doch mit der Perspektive, künftig in leitender Position dafür verantwortlich zu sein.

Gordon Kampe: 2020 war ich einmal Mitglied des Dozententeams. In diesem Jahr und im Wissen, dass ich die künstlerische Leitung übernehmen werde, hat mir Philipp ermöglicht, dass ich mich ein bisschen „eingrooven“ konnte. So fühlte es sich nicht wie der Sprung ins kalte, sondern eher ins angewärmte Wasser an.

Geschichte des Wettbewerbs

nmz: Ein kurzer Blick in die Vergangenheit, Herr Vandré. Sie begleiteten den Wettbewerb seit 2010 zunächst als Präsidiumsmitglied der JMD an der Seite von Martin Christoph Redel, der „Jugend komponiert“ vor 38 Jahren ins Leben gerufen hat. Seit vielen Jahren wird er vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

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Ein Mann mit Glatze, ebenfalls schmaler Brille und hellgrauem Wollpullover.

Philipp Vandré. Foto: Privat

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Vandré: Das „Treffen junger Komponisten“ wurde tatsächlich schon 1974 von Martin Christoph Redel in Weikersheim begründet. Es war offensichtlich von Anfang an ein inspirierender Austausch über kompositorische Fragestellungen. Aber man saß über den Manuskripten und versuchte sie am Klavier mehr oder weniger hör- und vorstellbar zu machen. Da blieben viele Fragen offen und man suchte nach besseren Möglichkeiten, die Partituren zum Klingen zu bringen. Das Bundesbildungsministerium hat sich damals als ein sehr interessierter Partner gezeigt, und es entwickelte sich 1986 das Format des Bundeswettbewerbs Jugend komponiert. Das ist bis heute ein Glücksfall, denn durch die Kooperation der JMD mit dem Ministerium ist Konstanz gewährleistet. Und die Kooperation mit dem Bundesministerium läuft auch in einem sehr guten, partnerschaftlichen Miteinander.

nmz: Inwiefern ist der Bundeswettbewerb Jugend komponiert gut bei der Jeunesses Musicales aufgehoben?

Vandré: Der offene Austausch und das gemeinsame Musizieren unter jungen musikbegeisterten Menschen steht seit der Gründung im Mittelpunkt der „Jeunesses Musicales Internationales“. So abgelegen Weikersheim auch liegt, die Musikakademie ist eines der beiden World Meeting Center der JMI. Hier gibt es die Möglichkeit, sich ohne Ablenkung auf eine Sache zu konzentrieren. Die Arbeitsbedingungen sind hervorragend und es ist ein wunderbarer Ort, um Gleichgesinnte zu treffen. Ergänzend kommt dem Projekt natürlich auch zugute, dass die JMD im Musikleben Deutschlands bestens vernetzt ist.

nmz: Herr Kampe, wie kamen sie in Berührung mit Jugend komponiert?

Kampe: Vielleicht ist es für Außenstehende überraschend, aber wenn man Komponistinnen und Komponisten meiner und früherer Generationen gegenüber den Namen Weikersheim erwähnt, assoziieren alle den Kompositionswettbewerb. Zahlreiche Kolleg*innen kennen den Wettbewerb, er ist ein stehender Begriff. Im Kolleg*innenkreis hörte ich regelmäßig von Einladungen ins Dozententeam, daher habe ich mich gefreut, dass ich auch irgendwann angefragt wurde. Übrigens habe ich damals immer verloren. Man sieht sich aber immer zweimal im Leben.

nmz: Sie sind mit zahlreichen Preisen für Ihre Kompositionen ausgezeichnet. Wie schwierig ist es, wenn man selbst in diesem Metier tätig ist, sich zurückzunehmen und Stilistiken ganz anderer Art zu bewerten?

Kampe: Ich freue mich ehrlich daran, dass alle anders und unterschiedlich sind. Das, was uns eint, sind Neugier und Liebe zur Musik, um das mal pathetisch zu sagen. Und die Freude daran, auch handwerkliche Sachen lernen zu wollen. Der Unterschied zwischen den jungen Leuten und mir ist schlicht, dass ich mehr Erfahrung habe. Ich kann für Philipp und mich sprechen, wenn ich sage, dass wir auf Augenhöhe mit den jungen Komponist*innen sprechen. Diese Idee vom Meister, der sagt, wie Musik zu sein hat, macht mir keine Freude. Das ist hoffentlich vorbei. Wir sind ja keine Jedi-Ritter, die zum Wohl der Republik ihre jungen Padawane ausbilden.

Der Wettbewerb im Umfeld

nmz: Zahlreiche Initiativen zu neuer Musik gibt es mittlerweile, ob das die verschiedenen Landesjugendensembles sind, Jugend komponiert auf Landesebene oder auch Initiativen für neue Musik auf Bundesebene, wie WESPE bei Jugend musiziert. Betrachten Sie das als Konkurrenz?

Kampe: Ich finde all diese Initiativen hervorragend! Vor zwei Jahren war ich zum Beispiel – dort habe ich dirigiert – beim Landesjugendensemble Niedersachsen zu Gast und habe erlebt, wie lebendig die Auseinandersetzung mit neuer Musik auch unter jungen Interpret*innen ist. Nicht nur wir Komponier-Nerds befassen uns nämlich mit zeitgenössischer Musik, sondern auch Bratschisten, Flötisten, Sänger und Synthesizer-Spieler nutzen die Möglichkeit, sich intensiv und professionell mit zeitgenössischer Musik auseinanderzusetzen. Insofern ist das keine Konkurrenz, sondern eine große Freude. Wir Komponist*innen sind keine Gralshüter – so habe ich auch die Haltung von Philipp wahrgenommen.

nmz: Verfolgen Sie eine Wachstums­idee, möglichst viele junge Komponierende nach Weikersheim zu Jugend komponiert zu ziehen?

Kampe: Jugend komponiert ist ja nun mal ein Wettbewerb. Und ich finde diesen Wettbewerbsgedanken auch nicht so schlecht. Der Preis hat einen Wert. Das ist etwas anderes als ein Kurs. Als wir in diesem Jahr die Urkunden überreicht haben, habe ich wieder erlebt, mit welchem Stolz die jungen Leute ihre Urkunde in Empfang nehmen. Die Anzahl der Einreichungen ist wieder ziemlich gestiegen, ein gutes Zeichen.

nmz: Welche Schwerpunkte haben Sie sich für Ihre neue Leitungsaufgabe gesetzt?

Kampe: Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen unbefriedigend, aber ich will erstmal gucken, wie sich die Leitung anfühlt. Im Rahmen der Werkstatt kann man seine Partituren auch direkt hören, indem man einen Raum weiter geht und die Instrumentalist*innen bittet, das mal zu spielen. Das Aller-wertvollste ist, dass man sein Stück, das man sich ausgedacht hat, hören und noch ändern kann. Am Ende wird es von einem Tonmeister aufgenommen, das alles ist ein absoluter Luxus in Weikersheim! Und deswegen will ich auf keinen Fall Abläufe ändern, die aus meiner Sicht ausgezeichnet funktionieren. Das Pferdchen läuft, warum sollten wir ihm ein Bein abhacken? Ich hatte eingangs ja schon gesagt, dass ich auch Philipps Rolle ein bisschen üben muss. Man spürte, wie alle Mitwirkenden Philipp in ihr Herz geschlossen haben. Zurecht! – Denn er hat den Wettbewerb inhaltlich, aber eben auch menschlich über eine lange Zeit geprägt.

nmz: Im Laufe der Jahre ändert sich auch das Verständnis von Komposition, etwa durch den Einsatz von Elektronik oder aktuell den Einsatz künstlicher Intelligenz. Sind Sie damit schon konfrontiert worden?

Vandré: Unter den Jugendlichen, mit denen ich zu tun habe, gibt es wenige, die über den Computer zum Komponieren kommen und kein Musikinstrument spielen. Das öffnet ganz eigene Räume, weil sie nicht vom Instrumentalunterricht geprägt sind. Wie reizvoll aber KI für Komponisten ist, kann ich nicht einschätzen. Eigentlich wollen wir ja etwas gestalten, etwas selbst kreieren und diesen Akt einer künstlichen Intelligenz zu überlassen, widerspricht dem Ansatz des Komponierens.

Kampe: Ich arbeite selbst gerne mit Elektronik. Wer noch denkt, dass das exotisch oder per se innovativ sei, war in den letzten 25 Jahren nicht mehr draußen. Nur weil aber Elektronik draufsteht, hat das jedoch noch nicht schon mit Zukunft zu tun. Elektronik ist toll und ich werde versuchen, das weiter zu integrieren. Wenn mal jemand nicht von der Flöte, sondern vom Computer herkommt: herzlich willkommen! – Die Frage nach der KI... naja. Mal etwas polemisch: KI im Zusammenhang mit Komposition – im schlichten Sinne: die KI komponiert... halte ich für überschätzt. Das ist eine Mode, von der in drei Jahren keiner mehr spricht. KI künstlerisch, kritisch eingesetzt: cool. Aber: wir haben es bei Jugend komponiert mit 14- oder 15-Jährigen zu tun. Viele arbeiten noch mit Opuszahlen, das hat ja auch was sympathisch Nostalgisches. Vielleicht wird eine Jury in den nächsten paar Jahren mal auf die Probe gestellt werden und ein „tricky Dude“ in Iserlohn erzeugt mit KI ein Stück. Da muss man sich locker machen. Wenn das Stück gut ist, warum nicht? Es gibt auch Tütensuppen, die gut schmecken.

Vandré: Werke mit Elektronik können bei Jugend komponiert auch eingereicht werden. Dass das aber nur wenig vorkommt, hängt auch mit dem Format zusammen, das auf die Begegnung zwischen Komponisten und Musikern abzielt. Fünf Musiker sind immer vor Ort, da ist es viel interessanter, im Austausch mit denen Neues zu lernen.

nmz: Auch in fachdidaktischer und pädagogischer Hinsicht hat Jugend komponiert einen bundesweiten Diskurs angestoßen. Es gibt dazu inzwischen bei ConBrio eine Schriftenreihe. Was sind die Themen?

Vandré: Es wurde und wird noch immer zu wenig diskutiert, wie man Komponieren unterrichten kann. Noch immer lebt in manchen Köpfen der Mythos, dass man das nicht lernen kann. Aber das ist einfach nicht wahr. Komponieren hat schlichtweg auch mit Handwerk zu tun. Und der Diskurs über ästhetische und künstlerische Fragestellungen ist ebenso wichtig für die Entwicklung junger Komponie-render. In den „Weikersheimer Gesprächen zur Kompositionspädagogik“ haben wir Komponieren im Kontext von Schule, Musikschule und Workshops intensiv beleuchtet. Die zentrale Fragestellung lautete: Welche Anforderungen werden an Menschen gestellt, die solche Prozesse anleiten? Wie könnte die Ausbildung oder Weiterbildung für diejenigen aussehen, die mit Jugendlichen arbeiten? Ein Ergebnis war, dass wir erstmals einen VdM-Lehrplan für Komposition geschrieben haben. Der nächste Schritt wäre, dass an den Hochschulen ein neues Bewusstsein in Bezug auf die Bedeutung des Musikerfindens für musikalische Bildung und für Musikverständnis wächst. Insbesondere in der Instrumentaldidaktik haben wir noch großen Handlungsbedarf. Die Fähigkeit von Instrumentalpädagog*innen, aus dem Unterrichtsmaterial Gestaltungsaufgaben abzuleiten, ist überhaupt nicht ausgebildet. Im ganzen deutschsprachigen Raum bietet nur die Kunstuniversität Graz den Studiengang Kompositionspädagogik an. Immerhin gibt es aber inzwischen, und das ist auch eine Folge unserer Diskurse, einzelne Lehrmodule an verschiedenen Hochschulen, in pädagogischen wie auch künstlerischen Studiengängen.

Gordon Kampe liebt Brahms

nmz: Herr Kampe, als Professor an einer Musikhochschule, stimmen Sie der Einschätzung zu? Wäre die Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen eine Adressatin?

Kampe: Ich mache hier keine Hochschulpolitik. Aber persönlich stimme ich der Einschätzung zu. Wir Kom­ponist*innen sind keine komische Randgruppe, sondern gehören selbstverständlich zum Konzertbetrieb. Zeitgenössische Musik wird in Rundfunk, Orchestern, Opernhäusern gespielt, sie ist dort nicht mehr wegzudenken. Wegdenken könnten wir uns vielleicht mal den neunundachtzigsten Brahms-Zyklus. Ich liebe Brahms!

nmz: Ein nachhaltiges Projekt ist die Veröffentlichung ausgewählter Kompositionen der Preisträger des Bundeswettbewerbs Jugend komponiert in der JM Edition. Sie umfasst inzwischen 70 Werke. Wie oft werden Partituren angefragt?

Vandré: Aus meiner Sicht leider noch zu wenig. Die Edition wurde in Ko­operation mit dem Deutschen Musikrat auch als Empfehlungsliste für „Jugend musiziert“ zusammengestellt und wächst kontinuierlich. Sie ist bewusst für die Musikschulpraxis gedacht. Es war und ist mein Anliegen, dass die Stücke der Bundespreisträger gespielt und gehört werden. Junge Musiker sollten aber nach meinem Verständnis auch erfahren, dass Musik gestaltbar ist und welche Fragestellungen mit dem Erfinden von Musik verbunden sind. Und das könnte doch nicht besser gelingen, als wenn junge Instrumentalisten mit jungen Komponisten zusammenkommen.

nmz: Wie halten Sie es mit der gesellschaftlichen Relevanz von zeitgenössischer Musik?

Kampe: Offen gestanden steigt mein Blutdruck bei dieser Frage, denn das klingt nach Ausrede, Rechtfertigung und Verzweckung. Verzweckung führt zu Verzwergung. Wer Relevanz so verwendet, möge fortan bei jedem Gebrauch einen kleinen Stromschlag bekommen.

Vandré: Gesellschaftspolitische Fragen und welche Relevanz musikalische Bildung für die Gesellschaft hat, sind nicht unwichtig. Der Ukraine-Krieg oder der Klimawandel sind zweifellos aktuelle Themen, die auch die Jugendlichen mit sich herumtragen. Aber bei uns geht es vorrangig um individuelle Förderung und künstlerische Entscheidungen, nicht um politische Fragestellungen.

nmz: Zeit für ein Schlusswort.

Philipp Vandré: Ich spürte, dass der Zeitpunkt gekommen ist, den Wechsel zu vollziehen und habe mich deshalb entschlossen, die Leitung des Bundeswettbewerbs weiterzugeben. Und ich danke Gor-don, dass er sich der Aufgaben künftig annimmt. Alle sind glücklich, dass er zum neuen künstlerischen Leiter ernannt wurde. Er wird den Wettbewerb auf seine Weise prägen und darauf dürfen wir uns freuen. Ich habe immer großen Wert darauf gelegt, dass Jugend komponiert ein künstlerisch-pädagogischer Wettbewerb ist. Wenn man beide Aspekte nicht aus den Augen verliert, muss man sich um die Zukunft keine Sorgen machen.

Gordon Kampe: Ich freue mich riesig auf die neue Aufgabe. Als Leiter ist man ja nicht nur für Notation von Mikrotönen zuständig, sondern auch fürs abendliche Kickerspielen im Schlosskeller. Da habe ich Nachholbedarf. Und wenn ich mal nicht weiterwissen sollte, werde ich Philipp anrufen.

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