Die Opernehe bleibt. Die zeitgenössische Oper kommt. – So das Ergebnis des Zitterns und Bangens der vergangenen Wochen. Eine Zeit, in der so etwas wie ein normaler Spielbetrieb kaum möglich schien in Düsseldorf und Duisburg. Zu dominant das rumpelnde Ostinato, das die Politik der Kunst ins Nest gelegt hatte. Jetzt ist klar: das Schlimmste konnte noch einmal abgewendet werden.
Mehrheitlich hat sich der Duisburger Stadtrat in seiner Sitzung am 25. Mai bei finanziellen Einschnitten für den Erhalt der umstrittenen Opernehe ausgesprochen und damit ein Votum der rot-grünen Fraktion vor Wochenfrist bestätigt. Eingespart werden soll, so die Empfehlung des Rates an die Gesellschafterversammlung der Operngemeinschaft Düsseldorf und Duisburg, eine runde Million Euro ab Spielzeit 2014. Das ist, gemessen an der Dramatik der vergangenen Wochen, ein vergleichweise glimpflicher Ausgang – wenn es denn dabei bleibt.
Hoffnungs-Zeichen
Dass der Umschwung etwas zu tun hat mit dem überwältigenden Protest in eben denselben vergangenen Wochen, liegt auf der Hand. Und genau darin liegt das Hoffnungs-Zeichen dieses (seien wir vorsichtig: vorläufigen) Ausgangs einer geplanten Abwicklung: Gegen den Willen derjenigen, die sich in der Not aus ihrer kontemplativen Zuschauerolle lösen und sich als Protagonisten, im allten Sinne: als citoyen verstehen, als Bürger, die sich ein ganzes Theater nicht mir nichts dir nichts unter dem Hintern wegsparen lassen wollen – es ist diese Erfahrung, die bleiben wird und die niemand vergessen wird, der sich am Errichten der Brandmauern gegen den rheinischen Kultur-Kahlschlag beteiligt hat. Insofern sind die versammelten Anstrengungen aus Pro-Duisburg-Petitionen einerseits (mehr als 50.000 Unterschriften), aus Demonstrationen, aus Manifestationen andererseits denn auch mehr als nur das „kleine Licht der Hoffnung und der Vernunft“, das Christoph Meyer, Generalopernintendant für Düsseldorf und Duisburg, im Votum der rot-grünen Fraktion in Duisburg gesehen hat. Unvergessen ist doch jener 30. Mai, als die Duisburger Opernehefreunde das städtische Theater gestürmt haben. Ihr Theater muss man sagen, von Bürgerhand, mit Bürgergeld errichtet und noch einmal wiederaufgebaut nach dem Krieg. Botschaft: Das bleibt! Gemordet wird nicht das Theater, sondern, wenn’s denn sein muss, wie gehabt, einzig im Theater, auf der Bühne.
Wie jetzt wieder geschehen bei „Mörder Kaspar Brand“, der Uraufführung der vierten Oper des Düsseldorfer Manfred Trojahn-Schülers Anno Schreier. In der Gestalt besagten Brands ist in diesem Fall einer am Werk, der dem Geschäft des Brandmauerns insofern eine etwas andere Bedeutung verleiht als er seinen Gegenspieler in den Weinkeller lockt, um ihn dort bei lebendigem Leibe einzumauern. So die Vorlage. So Edgar Allen Poe in dessen Meister-Erzählung „Das Fass Amantillado“.
Psychologie des Boulevards
Auf der Düsseldorfer Werkstattbühne ereignet sich diese beklemmende Fantasie der Rache schon zu Anfang. Der Rest wird in Rückblenden erzählt. Mit dem Unterschied, dass Schreiers Librettist Philipp J. Neumann das heftige Bedürfnis verspürt, die Unheimlichkeit dieses perfiden Racheakts psychologisch zu unterfüttern, was dem Stück seine Tiefe und damit Fallhöhe nimmt. Indem Neumann dem Stoff ‚Gründe‘ hinzufügt, beseitigt er dessen Abgründigkeit. Wo Poe Archaik, wo er Schicksal walten lässt, setzt der Librettist auf die justiziablen, wenn auch niederen Motive Geldgier, Eifersucht. Entsprechend hat Brand, ein Restaurantbesitzer, den Rivalen in Verdacht, dass er ihn mit seiner Frau Nadja betrogen hat, weshalb er sich, was Tochter Hannah angeht, über seine Vaterschaft nicht sicher ist. Diese boulevarverdächtige Schleife, insbesondere das hinzuerfundene Rollen-Duo Mutter-Tochter erscheint hier wie angeklebt. Natürlich lugt das Muster dafür in Bergs Wozzek unverkennbar hervor. Überhaupt Berg. Dessen Lulu könnte untergründig auch den Ausschlag gegeben haben, dass sich der Textautor in seiner Eigenschaft als Regisseur letztlich auch kein Restaurant (wie es in seinem Libretto steht), sondern eine „Menagerie“, eine Zirkusarena hingestellt hat. Konsequent inzeniert Neumann gegen den Strich seines Textbuches, ignoriert Keller und Kühlkammer, um den Sarg von der Kuppel baumeln zu lassen. Am Ende klatscht die ganze Chose nach unten und wir sehen darin das Erwartbare: die Leichen von Frau und Kind, über denen unser armer Mörder schluchzend zusammenbricht. Ende der Vorstellung.
Komponist Anno Schreier, Jahrgang 1979, hat zu dieser tollen Farce eine funktionable, handwerklich richtige Theatermusik geschrieben. Installiert ist ein dunkel abgetöntes Kammerorchester aus Mitgliedern der Düsseldorfer Symphoniker: tiefe Streicher und Bläser, versetzt mit Schlagwerk, E-Gitarre, Syntheziser. Ein Instrumentarium, das Wen-Pin Chien am Pult ohne Probleme durch die Partitur dieses ubiquitären Beziehungsdrama steuert. Schreiers Musik gibt sich ebenso effektsicher wie wandlungsfähig, nimmt dabei aber so reichlich Anleihen beim romantischen und klassisch-modernen Erbe, dass ihr ein eigener Ton entbehrlich scheint. Und doch: So viele Fragen offen bleiben mit dieser Produktion, in der die Sänger James Bobby, Richard Sveda und Anke Krabbe die Leuchtpunkte setzen – eins ist rundweg erfreulich. Nach langer Zeit des Tändelns scheint das zeitgenössische Musiktheater auch an der Deutschen Oper am Rhein wieder einen regelmäßigen Platz zu haben. Für die kommenden Spielzeiten – Christoph Meyer spricht zu Recht von „Verpflichtung“ und „Wagnis“ – sind weitere Auftragswerke in der Reihe Zeitgenössisches Musiktheater angekündigt. Wovon dann auch wieder Duisburg, wie gehabt, profitieren wird. Siehe oben.