Eine komplette Oper innerhalb von sechs Wochen einzustudieren und anschließend neunmal in bühnenreifer Fassung und auf professionellem Niveau aufzuführen, bedeutet mehr als die Kombination von musikalischem Talent und harter Probenarbeit. Der Internationale Opernkurs der Jeunesses Musicales zeigte auch in diesem Jahr wieder, was mit unverbrauchtem Elan und Engagement zu leisten ist.
Eine komplette Oper innerhalb von sechs Wochen einzustudieren und anschließend neunmal in bühnenreifer Fassung und auf professionellem Niveau aufzuführen, bedeutet mehr als die Kombination von musikalischem Talent und harter Probenarbeit. Der Internationale Opernkurs der Jeunesses Musicales zeigte auch in diesem Jahr wieder, was mit unverbrauchtem Elan und Engagement zu leisten ist.Aus einem bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb waren 18 junge Sängerinnen und Sänger aus elf Nationen hervorgegangen, die sich zuvor unter 350 Bewerbern durchgesetzt haben. Der internationale Spitzennachwuchs war es also, der im baden-württembergischen Weikersheim unter der musikalischen Leitung von Amy Andersson und Yakov Kreizberg die Puccini-Oper „La Bohème“ einstudierte. Jeder von ihnen blickt auf eine fundierte Gesangsausbildung zurück. Meisterkurse, internationale Gastauftritte und Tourneen ergänzen den Lebenslauf von nahezu allen Beteiligten. Auf eine feste Solo-Verpflichtung können jedoch bislang die wenigsten verweisen. Weikersheim kann das ändern, wissen sie. Denn wer hier auftritt, steht bei den gut besuchten Aufführungen auch unter Beobachtung deutscher Agentur-Chefs und Intendanten bedeutender Theater- und Opernhäuser.Und wo wir schon beim Lebenslauf sind: Die Begriffe „Jeunesses Musicales“ und „Internationaler Opernkurs“ stehen für ein europaweit einzigartiges Projekt zur Förderung des Bühnennachwuchses. Allein schon deshalb gleicht die Aufnahme einem künstlerischen Ritterschlag. Mit dem Orchester, der Jungen Deutschen Philharmonie, stand den Protagonisten zudem ein Klangkörper mit weltweitem Renommee zur Seite.
Optimale Bedingungen und Motivation genug also, um sich zielstrebig mit einer aktuellen Inszenierung auseinander zu setzen. Denn aktuell war es allemal, was Patrick Bialdyga, der 30-jährige Regisseur aus Dortmund in diesem Jahr auf die Schlossbühne brachte. Keine Spur von verschneiter Winterromantik des 19. Jahrhunderts. Der harte Medienalltag unserer Tage war es, den Bialdyga mit den Bohemians in Verbindung brachte. Die Selbstinszenierung heutiger „Stars“, aufkommende und absterbende Liebe unter diesen Bedingungen, das waren die Aspekte, die er mit seiner Inszenierung transportierte. Der erste Akt spielte folgerichtig in einer knallbunten „Big Brother“-Adaption, in der sich die Hauptdarsteller mediengerecht zur Schau stellten. Auch die zarten Annäherungsversuche zwischen Mimi und Rodolfo stehen dabei unter ständiger Beobachtung. Das Bad in der Menge der Fans und der Genuss öffentlicher Beachtung steht im Mittelpunkt des zweiten Aktes.
Dabei spielt Musetta gekonnt ihre beiden Liebhaber, Alcindor und Marcello gegeneinander aus. Höhepunkt: Musettas Hit-Veröffentlichung, die Arie „Quando me’n vo’“, mit gekonnten Showeinlagen der umstehenden Bodyguards. Weitaus bedächtiger geht es schon im dritten Akt zu. Während sich Marcello noch im Glanze seiner Galerieeröffnung sonnt, haben Rodolfo und Mimi unüberwindliche Probleme miteinander auszutragen. Zum Schluss bricht die so ausgeklügelt zur Schau getragene Fassade zusammen, Mimi stirbt und hinterlässt nur noch Hilflosigkeit.
Was in den ersten Momenten an den Haaren herbeigezogen klingt, geht bei näherer Betrachtung ohne Zweifel auf. Denn was sind die Bohemians in ihrer Pariser Mansarde anderes als zur Schau getragene Figuren, die mit ihrem Dilettantismus kokettieren und um Bewunderung in der Öffentlichkeit buhlen. „Heutiger inszenieren“, das ist das zentrale Anliegen des Regisseurs gewesen. Keine platte Medienkritik, schon gar keine Kopie sattsam bekannter Produktionen des Privatfernsehens sollte es werden, betont die Dramaturgin Sabine Kozinc. Die beeindruckende Kulisse des Schlosshofes in Weikersheim wurde dabei geschickt umspielt. Kein noch so historisch genaues Nachempfinden einer originären Inszenierung hätte hier Fuß fassen können, da sind sich Regisseur und Dramaturgin sicher. Auch Thomas Rietschel, Generalsek-retär der Jeunesses Musicales Deutschland steht zu dem gewagten Konzept: „Es passt zu uns, auf diesem Gebiet neue Wege zu gehen, dabei aber den künstlerischen Anspruch nie aus dem Auge zu verlieren.“
Auch die Sänger waren schließlich von dem Regiekonzept überzeugt. Während langer Diskussionen im Vorfeld nutzten sie die Möglichkeit, ihre Bedenken zu äußern und intensiv zu besprechen. Noch während der Proben wurden die Vorschläge der Künstler immer wieder sehr ernst genommen. Was dabei heraus kam, waren vor allem sicher agierende Sänger, die sich in der Inszenierung heimisch fühlten und dies auch dem Publikum vermitteln konnten.
Zu Hause fühlte sich das Team in Weikersheim schon nach wenigen Tagen. Babylonisches Sprachengewirr hallte durch die Straßen und Häuser der rund 7.500 Einwohner zählenden Stadt im Taubertal. Freundschaften sind entstanden, fachliche Gespräche und gemeinsame Feiern haben bewirkt, dass auch zukünftig viele der 18 Bohemians engen Kontakt zueinander halten werden. In Weikersheim haben sie eine unbestritten freundschaftliche Zusammenarbeit erfahren und dabei musikalisch auf höchstem Niveau zusammengearbeitet. Eine Erfahrung, die prägt.