Hauptbild
Keine „verrückten Querköpfe“, sondern kreative, sehr junge Komponisten. Fotos: JMD
Keine „verrückten Querköpfe“, sondern kreative, sehr junge Komponisten. Fotos: JMD
Banner Full-Size

Den Klang der Seele hörbar machen

Untertitel
Kinderkompositionskurs der JMD – Spannendes Abschlusskonzert mit Internetkommunikation
Publikationsdatum
Body

Weikersheim/Wittenberg. „Von Drin- nen Nach Draußen“ hieß der Titel des Experiments, das jetzt mit zwei Konzerten zum Abschluss kam. Die Jeunesses Musicales Deutschland hatten einen Kompositionskurs für Kinder angeboten – einen Kurs mit dem Ziel, das, was drinnen in der Seele klingt, auch nach außen hörbar zu machen.

Die Weikersheimer Kompositionskurse waren schon für manchen, der nicht nur ein Instrument erlernt, sondern dabei immer wieder über das hinausgeht, was normale Hörerfahrung ist, schlechthin die Rettung. Endlich zu erfahren, dass man nicht einfach nur ein verrückter Querkopf ist, der den Ansprüchen von Klavier- oder Geigenlehrer nicht gerecht wird, sondern dass ein besonderes Talent sein kann, was oft so quer zur Hörerfahrung durch den Kopf spukt – welch eine Befreiung.

Die Zwangslage des musikalischen Konformismus dürfte sich für die 17 Kinder und Jugendlichen aus Weikersheim und Wittenberg, die sich jetzt ein halbes Jahr mit der neuen Welt der Komposition auseinandergesetzt haben, gar nicht erst entstehen. 10 bis 14 Jahre alt sind die Teilnehmer, die sich auf das Abenteuer Komposition eingelassen haben. Ihren jeweils ganz spezifischen Blick brachten sie mit, Instrumentalkenntnisse auf recht unterschiedlichem Niveau, dazu eine riesengroße Neugier.

Die Kunstinsel, auf der kreativer Umgang mit dem Klang zum ganz normalen Alltag gehört, hatte drei Zentren: In Weikersheim die Jeunesses Musicales und Kursbetreuerin Eva-Magdalena Ammer, in Wittenberg die Musikschule und Klaus Vogelsang – und im Internet die von Dirk Hangstein betreute Meeting-Seite, über die sich die jungen Komponisten regelmäßig miteinander und mit den beiden Kursleitern Astrid Schmeling und Matthias Kaul in Verbindung setzen konnten.

Die elektronische Community wurde durch „do IT“, die IT- und Medienoffensive Baden-Württemberg, gefördert. Unterstützung kam auch von der PWC-Stiftung Jugend, Bildung, Kultur und vom Verein der Freunde der Jeunesses Musicales Deutschland. Die Förderung ermöglichte, mit Matthias Kaul und Astrid Schmeling hochkarätige Dozenten für die 17 jungen Kompositionsschüler zu engagieren, in Weikersheim und Wittenberg je einen großen Kompositionsworkshop für alle Teilnehmer anzubieten – und die beiden Abschlusskonzerte zu organisieren.

Die gerieten jetzt zum spannenden Ereignis, klanglich wie optisch. Gleich reihenweise Welturaufführungen hat „Von Drinnen Nach Draußen“ hervorgebracht. Es hat, wie JMD-Geschäftsführer Ulrich Wüster einführend bemerkte, doch manches für sich, auf dem eigenen Instrument noch nicht ganz so virtuos zu sein: Das macht es leichter, sich auf ganz neue Klänge einlassen zu können, den Exkurs in die Welt eigenständigen Komponierens schlicht als Abenteuer zu erleben.

Erstaunlich ist die Vielfalt, mit der sich die jungen Komponisten der Herausforderung Klang stellten. Die reicht von der Duo-Kompositions-Serie der Schwestern Franziska und Julia Lei-meister, die die Weikersheimer Schloßpfauen beobachteten, sie am Morgen, bei der Fütterung, in der Nacht und beim Schlaf portraitierten, über das Wechselbad der Gefühle, das Felix Koglin (Jahrgang 1992) in „My Bittersweet Symphony“ am Flügel umsetzte bis hin zum „Waldbrand“ für großes Ensemble vom 1996 geborenen Lukas Ammer.

Lara Franke und Charlotte Stenz komponierten mit „Ways of Meeting“ den Konzertauftakt. Acht Spieler in Bewegung – tiefer Trommelklang aus dem Hintergrund der Stadthalle, helle Klänge, die ihnen von der Bühne her begegnen. Die Spieler wanderten aufeinander zu, kamen einander nah, das Publikum erlebt Klangbegegnung ganz direkt.

Amüsant geriet Joseph Hangsteins (Jahrgang 1994) „Spion 1“, eine Klangkollage mit dem Spielzeugauto, bei der die Trommel mit dem Zollstock geschlagen und gerieben wurde, Töne aus Sand und Wasser zu rieseln schienen; mit präpariertem Klavier, Geigenbogen am Fahrradreifen – der Bogen wurde zum Instrument, das auf dem Kopf stehende Fahrrad zum Bogen –, verfolgt Steve Oswald (Jahrgang 1993) den „Spion 2“; Liam Ruske (Jahrgang 1996) konzipierte gleich einen kompletten Kriminalfall klanglich – vom Autoklau über die Verfolgung bis hin zum Unfall.

Wer sagt, dass die Tasten des Flügels nur mit den Fingern angeschlagen werden dürfen? Max Kiefner (Jahrgang 1992) wollte dichte Cluster für sein Feuerwerk der Farben, forderte einen über die Tastatur gerollten Ball – und großes Ensemble. In fünf Sätzen führte Philip Hillig mit Flöte, Trompete, Klavier und Percussion durch den Schultag. Die Sätze: Sport, Musik, Mathematik, Kunst und Physik. Wie, bitte schön, soll man nur Mathe oder Physik in Klang umsetzen? Es geht, die Zuhörer sind erstaunt. Physik etwa forderte mit ihrem Spiel der Kräfte Rhythmik, Power und verhalten eingesetzte, gebändigte Energie; die Kunst ging spielerischer zu Werk, formulierte am Klavier jazzige Improvisation. Ganz frisch ging Tilmann Stolte (Jahrgang 1992) in New-Old-Friends zu Werk, entfaltete ein wahres Furioso am Schlagzeug, mit raschen und scharrenden Klängen auf dem Marimbaphon akzentuierte Cillian Groll (Jahrgang 1996) vier kunterbunte Tierstücke. Mit Marimba und Blockflöten regiert Caruso die Hennenschar, der Falke brauchte für seine spektakulären Flugmanöver Blockflöte, Violine, Viola und einen Schneebesen, die Speiklapperkobra kam mit Flöte solo aus, und der Delphin benötigte nicht nur Posaune und Klavier, sondern auch eine Wassertute und Sprechgesang.
Beeindruckend war Arne Präger (Jahrgang 1995), der für acht Spieler „Musik liegt in der Luft“ komponierte, dazu ein Klangmobile aus Ausstechformen baute, einen Ventilator einsetzte, dazu die Glasharfe – und wirklich, da war sie, die Musik in der Luft. Zoe Biedermann (Jahrgang 1996) und Juliane Schmidt (Jahrgang 1995) hatten sich gemeinsam einer Herausforderung gestellt: „Deutschland sucht das Superwetter“. Sie setzen Sprechgesang als Bannspruch gegen Regenwetter ein – und Vogelstimmen, Lochstreifen-Spieluhr, Trommelschlegel im Klavierbauch, Glasharfe und, ja, wirklich, eine echte Dusche, die zögernd tropfte, dann lief, laut rauschte. Hoppla, das ist doch schon ein echter Herbstorkan mit ganz gewaltigem Niederschlag... Annette von Droste-Hülshoffs Ballade vom „Knaben im Moor“ gab Julia Sattelberger die Inspiration. Mit Flöte, Violine, Violoncello, Gambe, Flügel, Gitarre und Percussion produzierte sie eine ungeheure Darstellungsintensität, in der die Sägegeige ganz und gar nicht fehl am Platz ist.

Sind das jetzt alles angehende Komponisten? Mal schaun, mal sehn, mal weiterhören. Zumindest haben 17 Kinder Türen aufgestoßen, sich auf Klangwelten eingelassen, die völlig jenseits der traditionellen Unterscheidung in U- und E-Musik stehen. Sie haben ausprobiert, getestet und notiert. Wie viel der Umsetzung den beiden Dozenten aus Winsen an der Luhe, wie viel den Kursbegleitern aus Weikersheim und Wittenberg zu danken ist, ist fürs Publikum schwer einzuschätzen. Die Notationen sind zum Teil ein eigenes Abenteuer, erscheinen dem Laien eher als Gemälde denn als Notenblatt. Dennoch, so die Dozenten, ist reproduzierbar, was die Kids notierten. Zumindest das haben sie mit den beiden Konzerten in Wittenberg und Weikersheim unter Beweis gestellt.

Fotos
Print-Rubriken
Unterrubrik