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Die Quelle gestaltender Kraft

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Selbstverantwortung ist das Geheimnis der Musikalischen Jugend
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Wie modern klingt das denn: „Die MJD bekennt sich zur Aktivität und Selbstverantwortung des jungen Musikers“. Dass der Satz nicht von heute ist, verrät das nicht gegenderte Wort. Er ist von 1953 und einer der Leitsätze des „Kitzinger Manifests“ der Musikalischen Jugend Deutschlands. Wer bitte hatte vor 70 Jahren einen solchen Satz in seinem Leitbild (oder überhaupt ein Leitbild)? Und apropos: Sieht man Fotos aus der Frühzeit, sind darauf ganz selbstverständlich junge Frauen im Orchester oder der Kammermusik zu sehen. Und für die galt genau das gleiche.

Marcel Cuvelier, Ideengeber und Gründer der Jeunesses Musicales International, der 1951 zur Eröffnung der 1. Festwoche der MJD nach München gekommen war, stellte die aktive Beteiligung junger Menschen gleichberechtigt neben das Ziel, die Liebe zur Musik zu wecken. „Die Musikalische Jugend muss auch danach streben, durch die Musik den Sinn für internationale Freundschaft und für eigene und gemeinsame Verantwortung zu entwickeln. Dies ist der Grund, weshalb wir vom ersten Tage an den Jugendlichen selbst die vollständige Organisation ihrer Bewegung anvertraut haben: Dies ist das Geheimnis der Musikalischen Jugend, das Geheimnis ihrer Liebe zum Menschen, auch das Geheimnis ihres raschen und sicheren Aufstiegs in der Welt.“ Wie sehr dieser Anspruch, diese Zuversicht wirkte, erinnerte Eckart Rohlfs, Gründungsmitglied der JMD, viel später: „Das Entscheidende war, dass in den Aufbruchsjahren nach dem Krieg junge Leute das Ruder in der Hand hatten“, – bis heute Verpflichtung für den Verband.

Im Gründungsjahr bezahlten jugendliche Mitglieder einen Beitrag von monatlich 15 Pfennig. Erwachsene waren überhaupt nur als außerordentliche Mitglieder zugelassen. Gleichwohl fand man auch im „Manifest“ zu dem Pragmatismus, dass „man sich aber gerne des Rates und der Hilfe bedeutender und erfahrener Persönlichkeiten bediene“. Natürlich hat sich die JMD in 70 Jahren professionalisiert, mit hauptamtlichen Mitarbeitenden und einem Millionenhaushalt. Jenes Bekenntnis aber gilt noch immer als Anspruch und Ziel und klingt heute, in dem 2016 verabschiedeten Mission Statement so: „Unsere vielfältigen Aktivitäten für und mit musikbegeisterten jungen Menschen zielen auf Persönlichkeitsbildung durch Musik und fördern Partizipation und Selbstverantwortlichkeit.“ Das konsequente nach-vorne-Stellen junger Menschen, ihrer Talente, Interessen, Wünsche und Bedürfnisse, all dessen, was heutzutage unter dem jugendpolitischen Begriff der „Partizipation“ gefasst ist, ist prägend für die JMD-Geschichte und eingeschrieben in all ihre Projekte und Initiativen. Zwei aktuelle Idealprojekte sollen dies verdeutlichen. Das eine ist der Deutsche Jugendorchesterpreis, den die JMD seit 1996 unter der Schirmherrschaft der jeweiligen Bundesjugendministerin ausschreibt.

Dieser fordert nicht allein eine überzeugende musikalische Darbietung, sondern stellt die Herausforderung, ein ganzes Konzertprojekt im Team komplett selbst zu erfinden, zu planen und zu realisieren, von der ersten Idee bis zur Aufführung. An die Stelle des Konkurrenzdenkens tritt ein anders definierter „Wettbewerb“ als ein „Concerto“ der teilnehmenden Jugendlichen und macht das Wetteifern zu einem Spiel kreativer Kräfte – mit für viele Jugendliche überraschendem Ergebnis: „Erstaunlich, wie Viele sich mit kreativen Ideen eingebracht haben. So habe ich unsere Orchestergemeinschaft noch nie erlebt!“ (Julia Schmidt, Kreisjugendorchester Neunkirchen, 1. Preis 2019). Und weil das nicht nur für die am Ende als „Preisträger“ ausgezeichneten Orchester gilt, sondern für alle, die mitgemacht haben, gibt es auch bei den anderen nur Gewinner. Mit solcher Erkenntnis von der realen Wirkungsmacht jugendlichen Engagements im Hintergrund entwickelt die JMD aktuell mit den „JM Botschafter*innen“ einen neuen Ansatz, junge engagierte Musiker*innen dafür zu motivieren und mit Coachings, persönlicher Beratung und Vernetzungsangeboten auch dazu zu „empowern“, als Orchestervorstand oder -sprecher*in mit dem „Endorsement“ der JMD die heimatliche Orchestergemeinschaft aktiv zu stärken. Gerade in oder nach der fatalen Corona-Depression, aber auch prinzipiell ist dieses persönliche Engagement der Jugendlichen die wichtigste Grundlage für das Wiederaufleben und die weitere Existenz unserer reichen Jugendorchesterlandschaft in Deutschland.

Das zweite Modell ist „mu:v – Musik verbindet. Die junge Initiative der JMD“, entstanden aus einem Arbeitskreis, in den das Präsidium der JMD 2008 junge Leute aus dem Kreis von Kursteilnehmern*innen, Jugendorchestermusiker*innen und Bundesfreiwilligen der JMD einlud, um Visionen für eine „junge JMD“ zu entwickeln. So wie jene Initialgruppe können bis heute junge Leute bei mu:v „gemeinsam überlegen und bestimmen, was wollen wir selbst für uns in unserem eigenen „Musikleben“, wie Flo­rian ­Bosse es damals formulierte. Stärk­ste Manifestation dieser Idee ist das „mu:v-Camp“, das seither ein achtköpfiges, sich selbst im Peerlearning-Modus erneuerndes Team alle zwei Jahre organisiert und das zu einem fest installierten bundeszentralen Projekt wurde. „Es ist ein tolles Gefühl, dass uns die Jeunesses Freiraum für unsere Ideen gibt und uns zugleich bei der Organisation unterstützt. Ich kann zum Beispiel Dozenten für Workshops engagieren, ohne dass das erst umständlich durch 1000 Gremien geht.“ Die Erfahrung der Selbstwirksamkeit, wie sie hier Julia Sinnhöfer in einem nmz-Interview formulierte, führt auch für die JMD zu Innovationen, wenn ein Camp-Angebot mit 14 Kursen und Workshops für 100 Jugendliche den Bogen von  Mundharmonika oder HandPan über Beatboxing, Filmmusik, Volksmusik, Breakdance oder Songwriting bis zu Jazzchor, Klassik-Crossover oder digitalen Klangschöpfungen spannt. Mit ihren kleinformatigen „mu:v-Ateliers“ wurde die Jugendinitiative sogar Partner des – leider durch Corona gestoppten – „Musikfrachter“-Projekts von BTHVN2020. Das in sie gesetzte Vertrauen erwidern die „mu:vler“ zum Teil nachhaltig, etwa wie Toni Rack, einer der Initiatoren, der sich als Präsidiumsmitglied und sogar Vizepräsident der JMD sowie als Dozent und Caoch viele Jahre lang ehrenamtlich für die Jugendbelange engagierte, wie etliche nach ihm: Das Durchschnittsalter des Führungsgremiums ist seit mu:v signifikant gesunken. Dass dies keine Ausnahmeerscheinungen sind, belegt eindrucksvoll die JMD-Karriere des heutigen JMD-Präsidenten Johannes Freyer, der seine Überzeugungen von Mitgestaltungsmöglichkeiten und Weckung jungen Engagements in der JMD als Ersatzdienstleistender 1988-90 im Generalsekretariat gewinnen konnte.

Bei der aktuellen Mitgliederversammlung zum 70-jährigen JMD-Jubiläum sprachen jugendliche Ver­treter*innen ihrer Jugendorches­ter mit, ja sie brachten sogar selbstbewusst zwei Änderungen in die Satzungsdiskussion ein. Auf ihnen und weiteren JM-Botschafter*innen ruht die Hoffnung, dass sie das Bewusstsein dafür in ihre Orchester tragen und vielleicht sogar in die Welt hinaus, dass es jetzt an ihnen ist, gemeinsam mit ihren Altersgenossen etwas Gutes, Schönes, Wahres mitzugestalten und mit Verantwortung für ein lebendiges Musikleben der Zukunft zu übernehmen.

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