Die JMD fördert aktiv den Dialog der Kulturen und Nationen. Besonders im Rahmen von Austauschprojekten der Mitgliedsorchester können Jugendliche persönliche Kontakte knüpfen, öffnen sich Horizonte gegenseitigen Verstehens. Simon Kannenberg, Vorstand des Jungen Orchesters Hamburg, berichtet vom Polenaustausch seines Ensembles und einer eindrücklichen Reise.
Stille. Vor meinen geschlossenen Augen ziehen die Eindrücke aus dem KZ Neuengamme vorüber, Bilder ermordeter und zu medizinischen Experimenten missbrauchter Kinder, Fotos abgemagerter Häftlinge. Es folgen Gedanken an die Mitglieder meiner eigenen Familie, die im Zweiten Weltkrieg an der Front fielen oder in Gefangenschaft starben; Menschen, die ich nie kennenlernen konnte, deren Schicksal aber meine Familie geprägt hat; genauso wie die Vertreibung aus Pommern, die sie bis auf den heutigen Tag gezeichnet hat.
Meine trüben Gedanken werden von begeistertem Applaus jäh zerrissen. Der Dirigent des Jungen Orchesters Hamburg, Dave Claessen, hat den Taktstock auf das Pult gelegt und mit einer dezenten Verbeugung die Gedenkminute beendet, die allen Opfern des Zweiten Weltkriegs gleichermaßen galt. Hinter mir stehen erleichtert und erfüllt die Mitglieder des polnischen Jugendchores „Resonans con tutti“ aus dem oberschlesischen Zabrze, die zwischen dem 29. April und dem 3. Mai 2008 unsere Gäste waren. Den „Musikalischen Jugendaustausch“ führten beide Ensembles anlässlich des 63. Jahrestages der Kapitulation der Deutschen Wehrmacht durch, die das traurigste Kapitel der Deutschen Geschichte beschloss. Die Aufführungen des Deutschen Requiems op. 45 von J. Brahms am 3. Mai in der Hamburger Laeiszhalle und am 11. Mai in Zabrze bildeten die Höhepunkte der beidseitigen Jugendbegegnung.
Musik baut Brücken. Das war schon Kerngedanke des Projekts, bevor beide Ensembles voneinander wussten. In Hamburg tanzen abends in geselligem Miteinander polnische und deutsche Jugendliche Polonaise durch den Probensaal und singen gemeinsam die Schlager, die alle kennen: „We all live in a yellow submarine“, „What shall we do with the drunken sailor?“ „Wo ist Völkerverständigung greifbarer, wenn nicht hier?“, frage ich mich. Musik baut Brücken. Im Konzertsaal genauso wie im geselligen Teil der Begegnung. Szenenwechsel: Der Pater der ehrwürdigen St. Anna-Kirche zu Zabrze begrüßt uns in behäbiger Trockenheit als das „weltbekannte“ Junge Orchester Hamburg. Ein Schmunzeln geht durch die Reihen. Wer hat ihm diesen Text geschrieben? Die Kirche ist voll, wir spielen vor etwa 800 Besuchern. Die Kirchenakustik fordert uns in der klanglichen Differenzierung heraus, hilft uns aber auch dabei, die Intonation zu halten und gegen den fast achtzigköpfigen Chor anzukommen. Das Publikum in Zabrze belohnt uns wie in Hamburg mit größter Begeisterung.
Und wenn auch nicht „weltbekannt“: In Zabrze kennt man uns nun. Und in jedem Fall wird eine Fortsetzung der Begegnung von beiden Seiten von Herzen gewünscht: „Resonans con tutti“ 2010 in Hamburg mit Orffs Carmina Burana? Wir arbeiten dran.