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Erweiterung des musikalischen Horizontes

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Jeunesse Moderne – Akademie für zeitgenössische Kammermusik
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Hoch im alten Schloss, hinter der rauen Muschelkalkfassade sitzen sie wie Verschwörer im Kreis, die geöffneten Fenster lassen den Blick schweifen über alte Schindeldächer auf Türme und Mauern des Städtchens, das im Glanz der Nachmittagssonne zu dösen scheint. Da – nach kurzer, fast murmelnder Beratung in einem merkwürdigen Kauderwelsch aus Französisch, Englisch und Deutsch – da heben sie wieder an, schrill setzt Alvaro den Akzent auf seiner Geige, behände lässt Harald seine Bratsche eine gewundene Passage hochklettern, dann mit großem Nachdruck zwei bellende Akkorde im ganzen Quartett. Die Dächer draußen ducken sich noch mehr. „Arret, arret!“, unterbricht Henry Fourès das Geschehen. Auf den Notenständern liegt ein kalligrafisches Manuskript: „11 inventions“ hat Philippe Fénelon seine Stücke genannt. Nr. 7 – nur 1 Seite kurz – entziffern die Verschwörer. „Lasst uns überlegen. Invention, das heißt: ‚Einfall‘. Was fällt dem hier eigentlich ein? Was fällt uns ein?“, fragt der Direktor des staatlichen Conservatoire de Lyon, selbst Komponist. „Ein Schrei, ein Ruf, gemeinsam, wonach?“, schlägt Marie Louise vor. „Der zweite Akkord vollendet die Geste“, stellt sich heraus. Hier ähnelt eine andere Stelle dem Motiv, hier noch eine. „Jedes Mal verändert sich das Rufen – spielt es so!“ Plötzlich lebt die Musik auf, spricht, insistiert, bäumt sich auf, ruft, schreit und verzagt. Jede Gestalt wird nun feiner, verständlicher, jedes Zusammenspiel bekommt seinen Sinn. Unmerklich haben sich die Fensterflügel weiter geöffnet. Dächer, Türme und Mauern horchen auf die neuen Lebenszeichen aus dem alten Schloss.

So geht es zu auf Schloss Weikersheim im August, wenn dort Jeunesse Moderne beherbergt wird. Jeunesse Moderne, jährlich veranstaltet von Jeunesses Musicales Deutschland in Kooperation mit dem Conservatoire National Supérieur Musique et Danse de Lyon, ist eine Akademie für zeitgenössische Kammermusik, die nun – im Wechsel mit Lyon – zum zweiten Mal in Weikersheim im beschaulichen Taubertal erklang.

Der Kurs richtet sich an junge Musiker aus Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz, die Erfahrung mit zeitgenössischer Musik sammeln und neue Klangwelten entdecken wollen. In diesem Jahr wurde der Kreis der Musiker um Studierende aus Polen erweitert und das Kauderwelsch um eine weitere Sprache gesteigert.

War am Anfang noch eine gewisse Scheu zu verzeichnen – sowohl im Umgang mit der für manche sehr neuen Musik als auch in der Kommunikation untereinander – , so legte sich das spätestens nach den ersten multinationalen Arbeitsphasen. Kickerturniere beim fröhlichen Zusammensein im Schlosskeller taten ihr Übriges.

Die thematische Grundlage der Akademie bildeten zeitgenössische kammermusikalische Werke, die die Dozenten, in den meisten Fällen selbst Komponisten, den Studenten unmittelbar vermitteln konnten. Drei junge Komponisten erweiterten das Repertoire mit eigens für diesen Kurs in Auftrag gegebenen Werken: Aleksander Kosciow aus Polen, Benjamin Schweitzer aus Deutschland und Daniel d´Adamo aus Frankreich leiteten die Uraufführung ihrer Werke im Rahmen der Abschlusskonzerte auf Schloss Weikersheim. Ein weiterer Konzertabend beendete die gelungene Kursarbeit im Orff-Zentrum in München.

Instrumentalworkshops und Höranalysen ergänzten die Erarbeitung des Repertoires und – natürlich und nicht zu vergessen – die tägliche Improvisation.

Auch im nächsten Jahr wird Jeunesse Moderne, – dann in Frankreich mit Portugal als Gast – , neue spannende Anregungen und Erweiterungen des musikalischen Horizontes bieten.

Ein leises rhythmisches Schluchzen der Bassklarinette bricht die konzentrierte Stille, jemand versetzt die Saiten des Flügels in eine sachte wallende Reibung, ein Glucksen der B-Klarinette bringt Tonfarbenpunkte, sondert ein kleines Motiv ab, noch verharren die Streicher in erwartungsvoller Spannung, doch bald werden Cello, Geige und Bratsche sich am Wechselspiel von Motivik, Rhythmus und Klangflächen beteiligen. „Hört aufeinander, mit wem kommuniziert ihr gerade, greift jemand deinen Einfall auf und macht was draus? Oder kannst du selbst eine Struktur bilden?“ Jean-Marc Foltz versetzt seine Improvisationsklasse an diesem Morgen in Schwingungen. Die barocken Deckenfresken im Gärtnerhaus von Schloss Weikersheim lassen einen entfernten, klassisch im Stuckrahmen geordneten Himmel über dem grenzenlosen Experiment Neue Musik schweben. „Du kannst die Klang- und Formenwelt zeitgenössischer Musik einfach besser – oder überhaupt erst – begreifen, wenn du mit deinem Instrument einen im Innersten empfundenen Ausdruck hinbekommst“, begründet Foltz, warum auf dem dicht gedrängten Stundenplan von „Jeunesse Moderne“ am Morgen die Gruppenimprovisation steht. „In diesem intensiven Dialog mit deinen Mitspielern bekommst du auch einen Begriff, was überhaupt Kammermusik ist, ja was überhaupt Musik sein kann.“
Hier also – im Hineinhorchen in sich selbst und im sensiblen Dialog – entsteht sie, die wahre Aktualität zeitgenössischer Musik.

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