Mit dem Projekt „Ethno Germany“ setzt sich die JMD für die demokratischen Grundwerte, die Förderung kultureller Vielfalt und den weltweiten Dialog ein. Durch den Austausch von traditioneller Musik vielfältiger Regionen entstehen auch tiefe Freundschaften.
Wenn ich montagabends die Tagesthemen gucke, bin ich traurig. Traurig, dass nicht mehr Menschen im letzten August mit uns auf Burg Lichtenberg waren. Ja, selbst dieses zerfallene Gemäuer, die Ruine, steht exemplarisch für das, was dort geschah. Vielleicht auch für das, was wir uns leise erhoffen: Früher war die Burg Lichtenberg eine Festung, sollte hoch auf dem Hügel Schutz bieten vor dem Feind. Nun sind die Mauern geschliffen. Diejenigen, die demonstrieren, tun dies gegen eine diffuse Angst vor dem Fremden. Dabei ist das vermeintlich Fremde doch gar nicht der Feind. Der Feind sind die Mauern im Kopf.
Offenheit ist das zentrale Element, das die JMD mit „Ethno Germany“ leidenschaftlich zelebriert. Bereits zum dritten Mal findet vom 12.–20. August im Landkreis Kusel in der Pfalz das Sommercamp für junge Menschen statt, die traditionelle Musik aus aller Welt entdecken, spielen und neu interpretieren wollen. Eine Woche lang bringen sich die jungen Musikerinnen und Musiker untereinander „Tunes“ aus ihren Heimaten bei. Nicht nur, dass die Teilnehmer frei von Notenpapier ihren Ohren und ihrem Gefühl beim Erlernen mehr Beachtung schenken, auch der historische Hintergrund, der kulturelle Wert und die Bedeutung des Textes spielen eine große Rolle im Dialog. Oft ist es gerade die Migrationsgeschichte der einzelnen Stücke, welche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Ethno Germany“, aber auch so manche Person im Publikum überrascht. So entdeckt eine junge Inderin bekannte Rhythmen in einem Balkan-Tune, und auch das Mittelmeer stellt sich als Melodiebote heraus. Regionale Besonderheiten sind natürlich zu finden, feste Grenzen und Nationaldogmen allerdings nicht. Die Rhetorik oft herbeigeschworener Kulturkreise wirkt absurd, denn alles fließt.
Ist es also politisch, seine Leidenschaft zu leben und diese mit anderen zu teilen? Vielleicht nicht per se, und doch sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Ethno Germany“ irgendwie Aktivistinnen und Aktivisten für Frieden, Demokratie und kulturellen Austausch. Im Jahr 1945 gründete sich die Jeunesses Musicales International (JMI) mit dem Ziel, die Entwicklung junger Menschen durch Musik zu fördern – über alle Grenzen hinweg. „Ethno Germany“ stellt genau das in den Vordergrund.
Es wird viel kommuniziert, Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Jede und jeder trägt einen wichtigen Teil zum musikalischen und sozialen Ganzen bei. Man schätzt einander wert und entwickelt Freundschaften. Das JMI-Programm der Ethno-Camps exis-tiert bereits seit 25 Jahren. In dieser Zeit sind auf der ganzen Welt zum Teil Kontinente umspannende Konzerte, Ensembles und Beziehungen entstanden. Ganz im Sinne der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der Diversität kultureller Ausdrucksformen von 2005 trägt die JMD mit „Ethno Germany“ dazu bei, traditionelle Musik und junge Menschen zusammenzubringen, die Welt und ihre Bewohner einander vorzustellen.
Wenn ich in Zukunft montagabends die Tagesthemen sehe, möchte ich glücklich sein. Glücklich darüber, dass die Leute wieder miteinander reden, anstatt dialogfrei gegen die Demokratie zu skandieren. Ich möchte sehen, dass Gemeinsamkeiten und Unterschiede gleichermaßen geschätzt werden und die Auseinandersetzung mit dem vermeintlich Fremden voller Freude betrieben wird. Dann nämlich hat „Ethno Germany“ und hat die JMD einen Teil dazu beigetragen, mit Musik Grenzen zu überwinden. Es gibt so viel zu entdecken.