Äolus, der altgriechische Windgott, stattete dem Musikfest auf Schloss Weikersheim im Rahmen des Hohenloher Kultursommers am Samstag, dem 3. Juli, einen Besuch ab. Auf Einladung der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) brachte das renommierte „Aeolian Trio“ fünf allerneueste Kompositionen für die seltene, aber sehr aparte Besetzung von Flöte, Oboe und Fagott zur Uraufführung. Die Amerikanerin Carin Levine (Flöte), der Neuseeländer Peter Veale (Oboe) und der Franzose Pascal Gallois (Fagott) zählen zu den international führenden Interpreten zeitgenössischer Musik und setzen mit ihrem „Aeolian Trio“ in der Szene beachtete Akzente.
Zusammen mit der JMD und dem Bärenreiter Verlag Kassel hatten sie einen internationalen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben, um brandneue Werke für die spezielle Kombination der drei Holzblasinstrumente zu motivieren. Aus den zahlreichen Einsendungen aus aller Welt wählte eine Jury die fünf Stücke aus, die nun in Weikersheim erstmalig öffentlich erklangen. In einem von der JMD ausgerichteten mehrtägigen intensiven Workshop hatten die Interpretationen zuvor gemeinsam mit den anwesenden Komponisten ihren letzten Schliff bekommen. Der SWR zeichnete dieses Konzert in seiner Reihe „ars nova“ auf (Sendetermin: 16. September, 23 Uhr SWR 2).
Mit dem ersten Stück des Abends huldigte die Koreanerin Joon-Hye Suk (Jahrgang 1974) dem „Siddharta“. Scheinbar durchgehend von äußeren Eindrücken inspiriert, entstand ein ruhiges, metrisch freies Klangbild, in dem zwischen leise hauchenden Flötentönen, schluchzenden Oboen- und knarrenden Fagottklängen Assoziationen an Windharfen aufkamen und das weithin auch mikrotonal verformte Tonmaterial im ständigen Dialog der Instrumente mannigfaltige „Biegungen“ im Wind der Holzbläser beschrieb.
„Echoes of Light“ von Frank Zabel (Jahrgang 1968) arbeitete mit erkennbarer „kammermusikalischer“ Handschrift. Bläserische Spielfiguren, polyphone und akkordische Strukturen, prägnante Rhythmen und sangliche Solostellen, akzentuierte „Einsätze“, das Prinzip von Haupt- und Begleitstimmen – dies alles waren jene „Echos“ von Bekanntem, die da immer wieder aus einem durchaus befremdlich anmutenden, aber sehr instrumentenspezifisch aufgefassten Gesamtbild eines großen Formbogens hervor blitzten.
Sven Ingo Koch (Jahrgang 1974) fand mit seinem Stück „er schaut die Schlange an“ eine musikalische Beschwörung jenes lähmenden, aber doch Bewusstseins-wachen Augenblicks vor dem drohenden Biss. Aggressive Fortissimo-Ausbrüche der Instrumente, schrille Dissonanzen, multiphonische Klänge, alles verdichtet zu einem streng geordneten rhythmisch-motivischen Gewebe, das am Ende resignativ zerflattert.
Dominik Sustek (Jahrgang 1977) führte mit seiner Komposition „Innenspur“ in ein mosaikartiges Gewebe aus Tönen, Akzenten, Geräuschen, Aktionen, Mehrklängen, motivischen „Kulissen“. Auf der immer wieder vergeblichen Suche nach Beziehungen blieb dem Zuhörer nur das Verfolgen der Spur durch das Kontinuum, das brüchig wurde und abriss. Danach einsetzende Staccato-Strukturen ließen den Faden nicht mehr wieder auffinden.
Seine Komposition „Magma/Äther“ bezeichnet der Ungar Peter Köszeghy (Jahrgang 1971) selbst als „geknetete Masse“. Ein gewollt hörfeindliches Gesamtbild, gespeist von kakophonischen Eruptionen, wirren Virtuositäten und qualvollen Exzessen war das Ergebnis allerhöchster Anforderung an die Lesefertigkeit und Spieltechnik der Instrumentalisten, die im Mittelteil in rhythmisch konstruierte Ruf- und Schreiorgien auszubrechen und am Ende gar instrumentale und vokale Würgelaute zu gestalten hatten.
Insgesamt künden die fünf Preisträger-Stücke von der auch im breiteren Gesichtsfeld zu beobachtenden neuen Innerlichkeit zeitgenössischen Komponierens – übrigens schon an den Titelgebungen tendenziell ablesbar. Mit Ausnahme vielleicht des ersten, mehr impressionistisch inspirierten Werkes erzählen die Komponisten hauptsächlich von sich, geben einer sensiblen Innenwelt Ausdruck und demonstrieren deren Verletzlichkeit in allen Nuancen von zartem Säuseln bis hin zum quälenden Angriff auf die Hörtoleranzen des Publikums.
Sicher war es für manchen Besucher dieses Konzerts, der sich im Gesamtprogramm des Hohenloher Musikfests auf einen Abend reinen Musikgenusses eingestellt hatte, eine heftige Begegnung mit der zeitgenössischen Musik. Doch bot gerade der ästhetische Kontrast mit dem barocken Gärtnerhaus-Saal im sommerlichen Schlosspark ungewohnte Sinneseindrücke. Und so werden die Besucher dieses zweifellos exzeptionellen Konzerts mit solcherart „wind- und luftgespülten“ Ohren auch Mendelssohns anschließend im Schlosspark gebotenem „Sommernachtstraum“ zu Shakespeare Schauspiel ganz anders gehört haben, bevor mit pfeifenden und jaulenden Raketen und dem Donnerhall vielfarbig aufplatzender Feuerwerkskörper am nächtlichen Himmel über dem barocken Park Äolus vollends besänftigt wurde.