Sie trafen sich in größeren Abständen seit gut einem Jahr. Sie musizierten gemeinsam und sie dachten über ihr Orchester nach. Sie überlegten, wie sie sich für ihr Jugendorchester über das Mitspielen hinaus einsetzen könnten: Sechs Jugendorchester unterschiedlichster Art nahmen an einem regionalen Projekt teil, das die Jeunesses Musicales in ihrer unmittelbaren Weikersheimer Nachbarschaft ausgeschrieben hatte. Mit zwei groß dimensionierten Orchesterkonzertfesten erlebten die Beteiligten sich jetzt auf dem Höhepunkt ihrer gemeinsamen Arbeit.
Der Landkreis Main-Tauber hat eine Ausdehnung von rund 100 Kilometern entlang der Tauber und reicht fast von Rothenburg bis nach Wertheim, wo das Flüsschen in den Main mündet. In Weikersheim, inmitten von Weinbergen im lieblichen Taubertal, hat die Jeunesses Musicales Deutschland ihren Sitz.
Die Musikakademie Schloss Weikersheim, die JMD-Kurse, die Opernaufführungen sind bundesweit ein Begriff und international bekannt. Die Bevölkerung erfährt in der Regel wenig von dem, was im hohen Schloss so vor sich geht. Die Jeunesses Musicales ist der Fachverband der Jugendorchester und korrespondiert mit über 200 Ensembles überall in Deutschland. Aber mit der Basis im ländlichen Raum – auch ein Normalfall in unserer Republik – gab es bislang wenig Kontakte. Lediglich das Jugendsinfonieorchester Bad Mergentheim war und ist eines der engagierten Mitglieder des Verbandes und beteiligt sich zum Beispiel regelmäßig am Deutschen Jugendorchesterpreis der JMD.
Dass sich auch in diesem Kreis nicht alles um Jugendorchester dreht, verstand sich von vornherein. Dass aber das kommunale Umfeld besser Notiz nehmen könnte von dem kulturellen Potenzial jugendlicher Aktivmusiker, das erkannten alle Beteiligten schnell als gemeinsames Thema.
Schwieriger zu begreifen war freilich, dass es bei ihnen selber anfängt, bei ihrem Selbstverständnis, ihrem Selbstbewusstsein, ihrer Bereitschaft zum Mitdenken und Mitmachen. Dazu gehört der heutzutage auch nicht mehr selbstverständliche regelmäßige Probenbesuch ebenso wie die Frage, wie man sich wirkungsvoll einem Publikum präsentiert und vielleicht auch neue Sympathisantenkreise gewinnt.
Damit alles nicht nur graue Theorie blieb, stand im Mittelpunkt des Projekts von vornherein der Ernstfall: der spektakuläre Auftritt im Rahmen eines gemeinsamen Konzertnachmittags in den bedeutenden Kulturstätten des Kreises – auf Schloss Weikersheim und im Zisterzienserkloster Bronnbach.
Und damit alle eine dauerhafte Grundmotivation bekamen, bot ihnen die JMD etwas, das sie vorher nicht kannten: das Musizieren in einem wirklich großen Klangkörper, in dem Jeder seinen Platz fand. Das Jugendsinfonieorchester Bad Mergentheim wurde dem ebenso einverleibt wie das Jugendorchester Wertheim, die Bigband aus Tauberbischofsheim ebenso wie die Bläserharmonie der Musikschule Mergentheim, die Mädchenband der Realschule ebenso wie das Young Orchestra der Musikschule Hohenlohe.
Der Leiter der Musikakademie der JMD, Günter Müller-Rogalla, hatte es durch eine geschickte Programmauswahl möglich gemacht, dass auch Keyboard, Akkordeone, Saxophone und Gitarren unterkamen. Er dirigierte diese am Ende rund 100 Mitwirkende starke SinfonikPLUS-Orchester, in dem die Jugendorchesterleiter selbst begeistert mitwirkten. Bei schönstem Wetter setzten die Konzertnachmittage unter freiem Himmel und in historischer Kulisse die erhofften Akzente für die Jugendorchester im Kreis.
Und die Bilanz des Projekts? Es entstand ein Kontakt, ein Austausch der Ensembles und ihrer Leiter, den es vorher nicht gegeben hat – ein neues Netzwerk, aus dem vielleicht neue kulturelle Kraft in dem von Musikschuletatkürzungen gebeutelten Landkreis entsteht. Es wurde ein helles Licht auf die Jugendorchesterarbeit geworfen, die oftmals nur im Halbschatten der familiären Publikumskreise Erfolge feiert. Zwei engagierten Musikschullehrerinnen der Musikschule Hohenlohe bot das JMD-Projekt Anlass, bei ihrem Schulleiter endlich ein kleines Deputat für die Orchesterarbeit durchzusetzen, die sie zunächst ehrenamtlich initiiert hatten.
Es gab bei den Jugendlichen einen neuen Blick auf ihr Orchester, Kontakte zu Gleichgesinnten aus den Nachbarstädten. Ein Blechbläserensemble fand sich zusammen, das schließlich beim Bundeswettbewerb Jugend musiziert mit einem ersten Preis reüssierte. Junge Leute traten ans Mikrofon, um ihr Orchester vorzustellen und durchs Programm zu führen, sie stellten Plakatwände und Powerpoint-Präsentationen her, beteiligten sich an organisatorischen Aufgaben. Jugendorchester at its best.
Mit ihrem regionalen Projekt wollte die JMD nicht allein ihrer Nachbarschaft einen direkten Nutzen zukommen lassen. Sie hatte durchaus vor, frische Basisluft zu schnuppern, um neue Aspekte für den Ausbau ihrer Jugendorchesterarbeit zu gewinnen. Die Fortschreibung des Deutschen Jugendorchesterpreises, die Entwicklung eines Qualifizierungsseminars für engagierte Jugendorchestermitglieder, aber auch ganz einfach die Erweiterung ihrer Beratungskompetenzen – das sind unmittelbare Impulse dieses Kreisprojekts für den Bundesverband und kommen damit auch wieder den anderen Jugendorchestern in Deutschland zugute.