„New ways in clas-si-cal music – new ways in clas-si-cal music…” der eingängige Rhythmus schwirrt noch Vielen im Kopf, während die Gäste – von Berlins Touristenmeile und einer nahegelegenen Schule herbeigeholt – mit Künstlern und Organisatoren den eben erlebten Konzerteindruck reflektieren. „Ein wunderbares Gefühl, so von Musik umrundet zu sein. Ich war ganz überrascht von den Klängen!“ „Man konnte spüren, dass das in diesem Moment entsteht und jeder einen eigenen Teil dazu beiträgt“, so die Eindrücke einiger Zuhörer.
Die Relevanz und Erfahrung klassischer Musik im modernen Leben und die Frage, wie klassisch ausgebildete junge Musikerinnen und Musiker als Botschafter für ebendiese Relevanz sorgen können, waren Thema der Konferenz „enCORE Classical“ in der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin vom 8. bis 11. März 2019.
Die JMD und die Jeunesses Musicales International hatten insgesamt 36 junge Musikerinnen und Musiker aus dem gesamten JM-Netzwerk eingeladen, sich mit „neuen Wegen“ in der klassischen Musik zu beschäftigen. Das Interesse war enorm: Im Nu waren die begrenzten Plätze besetzt und Teilnehmende aus 19 verschiedenen Ländern – von Malawi über Kanada bis Island – ausgewählt.
Die JMD sucht und geht in ihren Projekten und Initiativen regelmäßig solche neuen Wege zu begeisternden Musikerlebnissen und hat dabei den Schwerpunkt der klassischen Musik fest in ihrem Mission Statement verankert.
Unter jungen Musikern wird angesichts gesellschaftlicher Wandlungsprozesse das traditionelle Ausbildungsmodell an deutschen Musikhochschulen intensiv diskutiert. Und die Diskussion beschränkt sich nicht auf Deutschland.
Spannbreite der Berufsbilder
Das Classical Committee des JM Weltverbandes unter dem Vorsitz von JMD-Präsidiumsmitglied Franziska Spohr hat aktuell ein Programm ins Leben gerufen, das sich direkt an junge klassische Musiker wendet. Vernetzung, Studienbesuche, Diskussionen und das Lernen voneinander und mit Experten sollen ihnen ermöglichen, die immense Spannbreite ihrer Berufsbilder auszuloten und sich mit ihrer eigenen Positionierung im Spannungsfeld von Erwerbssicherung, künstlerischer Selbstverwirklichung und gesellschaftlicher Verantwortung auseinander zu setzen. Der Name „enCore“ ist dabei Programm. Mit dem Ruf „encore!“ erbittet man im Englischen eine Zugabe vom Künstler – so evoziert der Titel die immer wieder gewünschte Aktualität klassischer Musik. Gleichzeitig steckt darin „core“, das Herz, die tiefliegende Passion für Musik.
Innovative Initiativen deutscher Konzertpodien
Die erste „enCORE Classical“-Konferenz bot zahlreiche Impulse und spannende Diskussionspartner. Stellvertretend für innovative Initiativen auf deutschen Konzertpodien referierten unter anderem Juri de Marco, Mitbegründer des STEGREIF.orchesters, das seit 2015 mit einer vollkommen neuen Form der Classic-Music-Performance rasante Erfolge feiert und von der JMD 2018 mit dem Würth Preis ausgezeichnet wurde, und Steven Walter, Gründer und Künstlerischer Leiter des PODIUM Festivals Esslingen, wo klassische Musik in Kirche oder Club in „selbstverständlichen“ Settings erklingt.
Partner der Konferenz war die junge norddeutsche philharmonie. Das Mitgliedsorchester der JMD wird von den Musikerinnen und Musikern selbstverwaltet organisiert und entwickelt zukunftsgewandte Konzertinszenierungen. Seine jüngste genreübergreifende Produktion #etrushka bot eine ideale Gelegenheit für einen Studienbesuch. Gleich zwei der Hauptthemen der Konferenz konnten dabei anschaulich diskutiert werden: Innovation von Konzertformaten und Selbst- und Projektmanagement als Musiker.
Eigene künstlerische Vision
Während über ästhetische Kriterien prächtig gestritten werden kann, und die Suche nach Innovation im Konzert stark von der individuellen künstlerischen Persönlichkeit geprägt ist, war man sich im Punkt der Selbstorganisation und einer damit verbundenen persönlichen Haltung einig: Unsere Gesellschaft braucht starke Individuen, die kritisch denken, Systeme hinterfragen und ihre eigene künstlerische Vision entwickeln, die aber zugleich Teamplayer sind und die Gemeinschaft suchen, im eigenen Kollektiv wie im Kontakt zur Gesellschaft und ihrer Umwelt.
Erweitert wurden die gewonnenen Perspektiven noch durch die Frage der Verbindung von sozialem Engagement und Musik. Beispielgebend hierfür stellte sich die weltweit agierende Organisation Musicians Without Borders vor. Hier werden Musiker*innen selbst zu Friedensstiftern in dieser Welt, dies wurde im Gespräch mit deren Vertretern, in Beispielvideos und der praktischen Workshop-Arbeit so eindringlich deutlich, dass der emotionale Beteiligungsgrad aller Teilnehmenden noch weiter anstieg. „We have a dream…“ – Martin Luther Kings berühmte Rede war an diesem Wochenende nicht nur einmal Thema im Raum.
Die hohe Energie war auch der großartigen Moderation durch Andrea Thilo zu verdanken. Mit Feingefühl und Gespür für das Thema ermöglichte sie einen Austausch auf Augenhöhe zwischen all den diversen Diskussionsteilnehmern im Raum.
Emotionale Verbundenheit
Neben dem Meinungs- und Erfahrungsaustausch standen auch musikalische Workshops auf dem Programm der Berliner Konferenz, mit Gruppen-Improvisation und -Komposition, die schließlich in der Performance mit Test-Publikum mündete. Von dem „new way“, den sie im gemeinsamen Spielen für sich entdeckten, waren auch die jungen Musikerinnen und Musiker selbst angetan. Für viele war es ein befreiendes Erlebnis, gemeinsam Musik zu erfinden und ihre spontanen Empfindungen und die emotionale Verbundenheit untereinander auszudrücken. Eine willkommene Ergänzung zu Standard-Repertoire und Perfektionsdruck in der Vorbereitung auf Probespiele und Wettbewerbe. Nur drei Tage hatten sie gemeinsam gearbeitet und ohne Noten mit allen vorhandenen Instrumenten ein Stück Musik entwickelt, das Menschen berührt. „Ich verstehe nichts von Musik. Aber wenn ich das auf der Straße gehört hätte, wäre ich geblieben oder wiedergekommen“. Mit dieser Aussage machte ein Zuhörer die vielleicht relevanteste Aussage.
Die Teilnehmenden der Konferenz nahmen hoffnungsvolle Vorsätze und die Überzeugung von einer gegenwärtigen und zukünftigen Relevanz klassischer Musik mit in alle Welt. Für JMD und JMI eine eindeutige Bestätigung: Junge Musiker können und wollen ihre Verantwortung in unserer Gesellschaft wahrnehmen und ihre berufliche Zukunft und die Zukunft klassischer Musik selbstbestimmt gestalten. Dazu benötigen sie die richtige Unterstützung, ergänzende Ausbildungsinhalte, Inspiration und Vernetzung. Mit „enCORE Classical“ ist ein erfolgreicher Auftakt zu einem solchen Empowerment-Programm geglückt.