Unter dem Motto „Wir sind Jeunesses“ trafen sich vom 10. bis 13. November jugendliche Vertreter*innen von Orchestern, Orchesterleiter*innen und Persönliche Mitglieder zu Begegnungen und einem intensiven fachlichen Austausch. Im Zentrum der Mitgliederversammlung stand die Frage „Wie lassen sich Jugendorchester nach Corona wieder in Schwung bringen?“ – musikalisch, in ihren Arbeitsbedingungen und in ihrem sozialen Zusammenhalt.
In einem von JMD-Präsident Johannes Freyer moderierten Podiumsgespräch wurde die Situation zunächst aus Perspektive der Orchesterleiter*innen beziehungsweise institutionell Verantwortlichen beleuchtet. Gäste des Expertenpanels waren: Ute Kabisch, langjährige Leiterin des Jugendsinfonieorchesters Ludwigsburg, Helge Harding, Klarinettist, Dirigent und Hochschuldozent in Berlin, und der Geschäftsführer des Verbands deutscher Musikschulen Matthias Pannes. Zu konstatieren ist eine Atmosphäre der Verunsicherung und Zurückhaltung bei Konzertveranstaltern, Eltern und auch bei den Jugendlichen selbst, mit dramatischen Konsequenzen für Jugendorchester. Bruchlinien und große Leerstellen in der Besetzung, drastische Mittelkürzungen, einhergehend mit einem schwindenden Bewusstsein dafür, dass Jugendorchesterarbeit die Kompetenz hochqualifizierter Leiter-*innen und Dozierender erfordert – für viele Ensembles ist dies kein Szenario einer Krise mehr, sondern sie sind bereits in dieser Situation und müssen sich konkret mit ihr auseinandersetzen. Ist das Modell Jugendorchester, wie wir es bisher kannten, also obsolet? Braucht es, damit die musikalische Qualität nicht auf der Strecke bleibt, künftig ein Niveau- und Einstufungssystem für junge Instrumentalist*innen? Lassen sich Jugendensembles künftig nur noch ausschließlich differenziert nach Leistungsniveaus aufstellen? Für Jeunessesler ein befremdlicher Gedanke. Die Versammlung war sich denn auch einig in der Überzeugung, dass Jugendorchester weiterhin ein Ort der Freundschaften und der musikalischen Bildung bleiben müssen, und darin, dass das soziale Miteinander als ein Schlüssel wirken kann, um zu organischen neuen Formen zu kommen: Warum etwa nicht für die Orchesterordnung als Prinzip festlegen, dass erfahrene Musiker*innen mit Neulingen gemeinsam an einem Pult sitzen? Und wenn organisatorisch improvisiert werden muss, warum nicht auch musikalisch? Völlig klar aus Jeunesses-Sicht ist, der unmittelbaren persönlichen wie musikalischen Erfahrung im Zweifelsfall den Vorrang zu geben vor Besetzungsfragen: Ein Jugendorchester kann nicht warten, bis alle Voraussetzungen wieder „optimal“ sind. Und wir müssen jetzt etwas tun, damit sie wieder besser werden! Das Podium brachte das Denken in Bewegung, gab viele ermutigende Impulse, die Dinge neu und anders zu machen. In der momentanen verunsichernden Situation ist auch der Hunger nach Begegnung und Austausch groß, wächst ein stärkeres Bewusstsein für Werte.
Dass die JMD gut aufgestellt ist, diese Chance zu nutzen, wurde in den ausführlichen Berichten der Präsidiumsmitglieder, den Diskussionen im Plenum und intensiven Pausengesprächen deutlich. Als positiver Verstärker wirkt insbesondere die noch junge Initiative der JM Botschafter*innen, bei der eine wachsende Zahl hoch engagierter Jugendlicher es zu ihrer Sache macht, die Werte der JMD in ihre Orchester zu tragen und mit Energie und Eigeninitiative zu verwirklichen. Eine weitere strategisch zukunftsweisende Perspektive ist eine in Vorbereitung befindliche Kooperation der JMD mit dem Verband deutscher Musikschulen. Matthias Pannes formulierte, dass gerade diese starke Power junger Menschen und die partizipativen Formate der JMD die angestrebte Zusammenarbeit für den VdM attraktiv machen und bekräftigte, dass die rund 900 Musikschulen für entsprechende Angebote der JMD offen seien, um gemeinsam weitere Perspektiven für Orchester und junges Engagement zu schaffen und sie zu stärken.
Aufbruchstimmung als roter Faden
Der Mitgliederversammlung vorausgegangen waren eine Konferenz der Vertreter*innen der JM Landesverbände und ein Camp der JM Botschafter*innen. In der Bund-Länder-Konferenz werden bewährte Projekte wie die Werkstatt Elementare Musikpädagogik in Niedersachsen oder die von der JM Nordrhein-Westfalen organisierten deutsch-französischen Musikferien weiter entwickelt und in die Zukunft geschrieben. ETHNO wird von der JM Rheinland-Pfalz mit großem Erfolg gestemmt, und hat mit deren Vorsitzenden Bernhard Vanecek einen leidenschaftlichen Initiator einer ganzen Reihe von ETHNO-inspirierten Projekten. 2022 ganz neu aufgestellt hat sich die JM Hessen. Hier tritt ein junges Team dafür an, Jugendorchester miteinander in Verbindung zu bringen, an deren Bedürfnisse orientierte Angebote zu entwickeln, und sie für die Botschafter-Idee zu begeistern.
Das aktuelle Weikersheimer Camp der JM Botschafter*innen wurde vorbereitet und moderiert von Marie Leithold, selbst viele Jahre im Orchester und in verschiedenen AGs der JMD engagiert. Dozierende waren Lorenz Blaumer, bis Mai Referent Musikalische Jugendbildung in Weikersheim, und seine Nachfolgerin Anne Uerlichs. Die Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland tauschten sich über ihre Orchester aus. In einem Dramaturgie-Workshop hatte Anne Uerlichs zahlreiche Anregungen und Beispiele für leicht umsetzbare „Attraktivmacher“ in petto und ermutigte die Jugendlichen dazu, in der Programmgestaltung selbstbewusst kreativ zu sein und eigene Formate zu finden, statt sich an Profiorchestern zu orientieren. Ein intensives Warm Up vor dem Musizieren kam ebenfalls bestens an und war eine gute und für manche auch neue Idee zum Mitnehmen und Nachmachen. Die Perspektive der Jugendlichen und die von ihnen gesammelten Ideen und Bedürfnisse angesichts der herausfordernden Situation für ihre Orchester waren am zweiten Tag der Mitgliederversammlung Gegenstand der Diskussion in Arbeitsgruppen und im Plenum. Auch vom improvisierenden Musizieren, das Lorenz Blaumer lebendig und mit viel Freiraum fürs Spaßhaben vermittelt hatte, bekam die Mitgliederversammlung eine froh stimmende Kostprobe.
Zum Abschluss des gemeinsamen „Wir sind Jeunesses“-Wochenendes wählten die JMD-Mitglieder für die Amtszeit 2022-25 ein neues Präsidium. Als Präsident mit großer Mehrheit bestätigt wurde Johannes Freyer (Heidelberg). Als Vizepräsidenten*innen wiedergewählt wurden Jens Bastian (Mainz), Patricia Gläfcke (Köln) und Nena Sindia Wunder (Stuttgart). Beisitzer*innen sind Dominik Bach (Hamburg), Phia-Charlotte Jensen (Frankfurt/Main), Martin Lentz (Bremen), Karl Heinrich Wendorf (Berlin) und neu Marie Leithold (Passau). Aus persönlichen Gründen nicht wieder angetreten war die Beisitzerin Charlotte Hergert. Zu einer Hospitanz im neu gewählten Präsidium eingeladen ist Caroline Renz aus Leipzig.
Wahlleiter Frieder Kümmerer hat nicht nur das Wahl-Prozedere für Erst-Wähler zuvor ausführlich erklärt, sondern mit seinen Ausführungen auch noch einmal ins Bewusstsein gerufen, dass die Mitgliederver-sammlung als oberstes Vereinsgremium die Interessen von bundesweit rund 400 Persönlichen Mitgliedern und 300 Orchestern mit zusammen 16.000 jungen Musizierenden vertritt. So gewann dieser abschließende Tagesordnungspunkt eine angemessene und frohe Feierlichkeit. In einem starken Votum und langem herzlichen Applaus drückten die Mitglieder mit der Wiederwahl des Präsidiums ihren Dank und ihre Anerkennung für die in den zurückliegenden drei Jahren geleistete, hoch engagierte, ehrenamtliche Arbeit aus.
Auch wenn die Zeit für eine tiefergehende Diskussion an der einen oder anderen Stelle nicht ausreichte, so war es eine echte Begegnung ganz unterschiedlicher Menschen, die einander in gegenseitigem Respekt und mit Freundlichkeit begegneten und sich in ihrem jeweiligen Informations- und Redebedarf ernst nahmen. „Die Stimmung war gut“ – mit diesem zum Abschied häufig geäußerten Satz war mehr als ein Wohlfühlgefühl gemeint. Die Zusammengehörigkeit und die Bekräftigung der gemeinsamen Werte vermittelte Zuversicht und beflügelte zum Handeln. So ist die Jeunesses-Gemeinschaft mit diesem Wochenende weiter gewachsen: Sinah Lehmkühler und Tabea König committeten sich als neue JM Botschafter*innen in ihren Orchestern im Saarland und in Kleinmachnow. Ihren Beitritt als Persönliches Mitglied erklärten: Elena Hestermann, Ute Kabisch und Rainer Feldmann.
Mit starkem Rückenwind tragen alle, die nach Weikersheim gekommen waren, und alle, die in der JMD verbunden sind, ihre gemeinsamen Werte von Wahrhaftigkeit, Verantwortung und Verbundenheit nun wieder in ihren Alltag mit Musik.