Es war ein wunderliches Treffen Ende Februar im verschneiten Schloss zu Weikersheim: Es kamen sechs junge Komponisten und Komponistinnen aus Frankfurt – mit Musik im Kopf, im Computer und auf dem Papier und ihrem Hochschulprofessor Gerhard Müller-Hornbach im Gefolge. Aus den Musikhochschulen in Würzburg, Frankfurt, Augsburg und Stuttgart reisten tatendurstig junge Musikerinnen und Musiker mit ihren Flöten, Oboen, Fagotten an – gespannt auf ihre Begegnung mit den weltweit für die Interpretation zeitgenössischer Musik nachgefragten Profis des Aeolian Trio: Die Flötistin Carin Levine (USA), der Oboist Peter Veale (Neuseeland) und der Fagottist Pascal Gallois (Frankreich). Auch fand sich eine junge Musikjournalistin vom Bayerischen Rundfunk ein – und ein Computerspezialist für internetgestütztes Lernen. Eingeladen hatte die Jeunesses Musicales Deutschland (JMD).
Dass das Gemisch der rund 25 Teilnehmenden aus dem ganzen süddeutschen Umfeld rührte und dabei zehn verschiedene Nationalitäten ihre Ingredienzien einwürzten, ist für den bundesweit und international rührigen Verband junger Musiker eher normal. „Ähnlich wie Graf Wolfgang dazumal in seiner Alchemistenküche auf Schloss Weikersheim laborierte, macht auch die JMD hier immer wieder Experimente“, sagt ihr Generalsekretär Ulrich Wüster, „und es ist fantastisch, dass sich Musiker hier in Weikersheim zusammenfinden mit dem Mut, Neues zu wagen, sich ins Ungewisse zu begeben, aber auch natürlich mit dem Selbstvertrauen in die Kraft ihrer eigenen Kreativität“. Ein Experiment ist schon die ungewohnte Ensemblebesetzung aus Flöte, Oboe und Fagott, für die es fast keine Originalstücke gibt. Für Carin Levine und ihre Kollegen vom Aeolian Trio kein Hindernis und eher ein Grund, für diese „ohrenkitzelnde Klangkombination“ komponieren zu lassen. Bereits im vergangenen Jahr hatten sie gemeinsam mit der JMD einen internationalen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben, dessen Uraufführungen im Weikersheimer Gärtnerhaus stattfanden. „Jetzt möchten wir, dass junge neugierige Komponisten mit experimentierfreudigen jungen Musikern im direkten Dialog miteinander Musik entstehen lassen“, erläutert Carin Levine – und darin steckt dann das zweite Experiment: Denn welcher Tonsetzer lässt sich schon gern über die Schulter schauen, geschweige denn in sein Werk hineinreden, noch dazu, bevor es fertig und damit vorzeigbar ist?
Weitgehend vermeidbar war dies Risiko für die 28-jährige Komponistin Elvira Garifzyanova, die bereits gut vorgearbeitete 13 Seiten Partitur präsentierte. Dennoch – gespannt lauschte sie den Klängen, für die sie selbst verantwortlich zeichnet, und ein wenig ängstlich, wie die Reaktionen ausfallen könnten. Aber diese Unmittelbarkeit schuf eine Nähe, die sich in rückhaltloser menschlicher und künstlerischer Intensität äußerte. So konnte auch Saskia Bladt, die erst am zweiten Tag eine originelle Fuge vorzeitig aus ihrem Computer-Notensatz entließ, die Gunst der vertrauensvollen Stunde nutzen. Vom Notengestrüpp einer Fuge von heute ließ man sich in diesem konspirativen Kreise nicht schrecken. Ihre deklamatorische Ader – welche die 23-jährige schon als Regieassistentin bei der Weikersheimer „Carmen“-Inszenierung der JMD ausleben konnte – brachte Oboe, Flöte und Fagott auf die richtige Fährte. So ins ganz überraschend Menschliche gewendet, „lohnt sich direkt die Überei an den schwierigen Stellen“ dieser Musik, die im Zusammenwirken mit dem Bläsertrio aus Würzburg vollendet wird. Jedes der vier Hochschultrios übernimmt nämlich die Verantwortung für eines oder auch zwei Werke der Komponistenkollegen, die Uraufführungen sind am 13. April.
Wegen der Kürze der Zeit, die bis dahin noch bleibt, und wegen der Entfernung muss die Zusammenarbeit über das Internet erfolgen – und das ist das dritte Experiment: „ein unglaublicher, noch nie gemachter Versuch, auf dessen Verlauf und Ergebnis wir alle riesig gespannt sind“, begründet Kompositionsprofessor Müller-Hornbach sein Interesse an dem Projekt. Die JMD hat für diesen Zweck einen geschützten Bereich auf ihrer Internetseite geschaffen, eine Art virtuellen Klassenraum, in dem die Teilnehmer regelmäßig Dateien hochladen und sich über diese praktisch auf Zuruf austauschen können. Notenbilder werden gescannt oder gleich aus dem Computer geladen, Aufnahmen der gespielten Musikstücke werden als Soundfiles geliefert. „Später kann man ganz schön nachvollziehen, wie sich eine Komposition entwickelt hat und wie die Interpreten damit immer besser zurecht kommen“, lobt Müller-Hornbach das Konzept. Er selbst wie auch die drei Instrumentaldozenten stehen den Teilnehmern in vereinbarten online-Sprechstunden zur Verfügung oder melden sich zu eingesandten Fragen und Problemstellungen. Alle können diese Wechselwirkungen mitverfolgen und sich einschalten.
Dass sie dies tun werden, daran lässt der online-Tutor und Programmierer dieser Plattform, der Weikersheimer Musiker und Verleger Dirk Hangstein, keinen Zweifel: „Junge Leute von heute“, weiß er, der im Auftrag der Bundesregierung eine ausgewachsene Kommunikationsplattform für Trinkwasserexperten im nördlichen Afrika aufgebaut hat, „und auch junge Musiker gehen mit dem Computer und dem Internet locker um, aber auch kritisch: Sie mögen keinen Schnickschnack und merken auch schnell, was ihren Interessen dient.“ Für JMD-Generalsekretär Wüster ist klar, dass online-Learning allein gerade für Musiker nicht ausreicht: „Die persönliche Begegnung, von der Wahrhaftigkeit und Intensität ausgeht, muss einfach sein, dafür steht die Jeunesses Musicales“. Wenn diese Chemie stimmt, dann dürfte sie auch die Internet-Lernzeit bis zum nächsten Treffen tüchtig gären lassen. Das Labor dafür steht in Weikersheim, und ab jetzt hat es mit der JMD-eCommunity einen neuen Inkubator.