Beim Internationalen Opernkurs der JMD wurde Ende vergangenen Jahres in einem Auswahlvorsingen entschieden, wer im Sommer bei den „Lustigen Weibern von Windsor“ von Otto Nicolai mit von der Partie sein wird. Käthe Bildstein sprach mit dem Kursleiter Patrick Bialdyga über Luxus in Weikersheim, Neugier und intensives Training.
Käthe Bildstein: Herr Bialdyga, Sie arbeiten als Regisseur unter anderem für die Neuköllner Oper und das Theater Dortmund. Was reizt sie an Weikersheim?
Patrick Bialdyga: Die Familie der Jeunesses, angefangen vom Generalsekretariat bis hin zu all den Leuten, die über Jahre Oper gemacht haben, die ich kennengelernt und von denen ich gelernt habe. In Weikersheim kommen Leute zusammen, die Oper pur machen wollen. Man lebt 24 Stunden Oper. Orchester, Chor, Dramaturgen, Pressearbeit, Betriebsbüro, Organisation, Kursleitung, Regisseur – dass man mit all diesen Leuten aus unterschiedlichen Disziplinen, die die Oper am Ende zum Gesamtkunstwerk machen, zusammen lebt, isst, schläft, spielt und trinkt, das gibt es im realen Theater nicht. Das gibt es vielleicht bei einem Festspiel, aber doch sehr viel abstrakter und mit dem ganzen Starkult. Hier ist jeder gleich wichtig.
Bildstein: Während des Opernkurses arbeiten Sie intensiv mit den Sängern. Wie erleben Sie das Verhältnis von Dozenten und Teilnehmern?
Bialdyga: Wir versuchen die Teilnehmer zu begeistern und etwas von unserem Wissen und unserem Verständnis von Oper weiterzugeben – und von unseren Idealismus! Umgekehrt bekommen wir von den Sängern sehr viel Energie, Wissensdurst und Begeisterung wieder zurück. Junge Sänger sind oft so pur. Die machen sich zwar furchtbar viele Gedanken – auch verquaste Gedanken – darüber, was sie können, und wie die Opernwelt aussieht, aber das inspiriert ungemein. Auf der anderen Seite stutzen wir die jungen Sänger während des Kurses auch ein bisschen zurecht. Oper bedeutet Arbeit und Disziplin.
Bildstein: Worin unterscheidet sich das Auswahlverfahren von einer Audition in einem Opernhaus?
Bialdyga: Unser ganzes Projekt ist ein Kurs, in dem nicht nur einfach Oper geprobt wird. Die Sänger werden in unterschiedlichen Disziplinen unterrichtet: Körperbewegung, Gesangstechnik, Repetition, Erarbeiten eines Regiekonzeptes, Kritik nach einer Aufführung von den Assistenten, wie läuft eine Aufführung ab und so weiter. Unser Vorsing-Workshop ist eine solche Präparation für all das, was in der Oper von einem Sänger verlangt wird und von außen an ihn herangetragen wird, ein Schnupperkurs. Verglichen mit einem Vorsingen im Theater ist das Luxus, steht der Jeunesses aber gerade gut.
Bildstein: Was erarbeiten sie mit den Teilnehmern?
Bialdyga: Oper machen bedeutet, eine heterogene Truppe, die sich nicht kennt, in kürzester Zeit aufeinander einzuschwören. Wir trainieren deshalb körperliche und sensitive Fähigkeiten, auch ohne dass die Teilnehmer dabei ihre Stimme einsetzen. Unsere Choreographin etwa macht Koordinationsbewegungen mit dem Körper. Wie funktionieren Hände, Körper und Füße? Wie entkrampfe ich mich? Wie bewege ich mich? Auf der Opernbühne miteinander spielen bedeutet, dem anderen nicht auf die Hände zu treten, seinen Kopf nicht zu stoßen, ihn wahrzunehmen über Körper- und Augenkontakt. Der Workshop ist sehr stark eine physische Erfahrung für die Sänger, nicht nur eine Verstandessache.
Auch Dialogproben sind ein wichtiger Bestandteil des Workshops. In einer Spieloper wie den „Lustigen Weibern von Windsor“ sind Dialoge das A und O, weil sie die Handlung erklären, während die Arien und Duette, Ausdruck der Emotionen sind. Das gesprochene Wort muss deshalb glasklar zu verstehen sein. Wie souverän gehen die Teilnehmer mit einem Text um, den sie zehn Minuten vorher in die Hand gedrückt bekommen haben? Zu jeder Arie stellen wir kleine szenische Aufgaben, an denen wir sehen, wie ein Sänger mit der Musik arbeitet. Ist er flexibel und kann sich auch einmal völlig frei von der Musik bewegen und alles Mögliche nebenher machen?
Bildstein: Entscheidend ist also nicht allein das Vorsingen?
Bialdyga: In der Tat: Das Singen ist zwar ein wichtiger, aber ein kleiner Prozentsatz dessen, was wir mit den Sängern erarbeiten. Wie ja auch bei einer Opernaufführung der Gesang immer nur ein Teil ist. Vielfach meinen Sänger im Opernhaus, gerade im Anfangsengagement: „Ich bin hier, weil ich eine tolle Stimme habe, alles andere ist egal. Und in zwei Jahren sing ich an der Met.“ Solche Allüren haben in Weikersheim keinen Platz. In einem Vorsingworkshop kann man interdisziplinär sehen und entscheiden, welche Qualitäten ein Sänger hat. Hat er den Tunnelblick oder lässt er sich in kurzer Zeit, auf all das ein, was man ihm anbietet? Am Ende werden in einem demokratischen Prozess diejenigen Sänger ausgewählt, die alle im Team mittragen, und die einem differenzierten Qualitätsurteil standhalten. Entscheidend ist, wer die Qualifikationen mitbringt, auf verschiedenen Gebieten neugierig zu sein.
Bildstein: Vielen Dank für das Gespräch.
Premiere der Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ ist am 22. Juli 2009 im Schlosshof Weikersheim.
Die nächste Möglichkeit für junge Sänger, sich in der Musikakademie Schloss Weikersheim auf ein Vorsingen vorzubereiten, ist der Kurs „Vorsingtraining und Rollenfindung“ im April.