Body
Wenn ein Quartett, alles Mitglieder eines dänischen Orchesters, auf der deutschen Insel Sylt ein Programm mit österreichischer Schrammelmusik spielt, ist das ein ein grenzüberschreitendes Ereignis. Stellt sich dann noch heraus, dass die Musiker zwar alle in Dänemark leben, es sich bei ihnen aber eigentlich um zwei Isländer, eine Schweizerin und einen Schweden handelt, wird die Sache wirklich international!
Grenzklang“ ist der Name einesEU-Projektes, das in diesem Jahrinsgesamt rund 40 Konzerte in der deutsch-dänischen Westküstenregion umfasste und vom Landesmusikrat und der Jeunesses Musicales Schleswig-Holstein organisiert wird. Das Programm reichte dabei vom Jazzkonzert bis zur Opernaufführung. Zielsetzung ist vor allem die Förderung begabter Nachwuchskünstler. Deshalb zählen auch zwei Kurse, ein Opern- und ein Kammermusikkurs zu den wesentlichen Bestandteilen des Projekts.
Ein geographischer Veranstaltungsschwerpunkt ist die Insel Sylt, dessen aus dem seit 40 Jahren von der Jeunesses Musicales auf der Insel durchgeführten Kammermusikkurs hervorgegangenes Festival „Sylt in concert“ integraler Bestandteil des Projektes ist. Hier fanden allein 28 Veranstaltungen statt. Hauptproblem ist dabei die Unterbringung der großen Ensembles (beim Opernkurs „Figaros Hochzeit“ beispielsweise zirka 80 Personen) in der Hochsaison.
Mit Hilfe der Bundeswehr, die über 100 Betten auf die Insel transportiert hatte, wurde die Westerländer Realschule in ein riesiges Nachtlager verwandelt. Die betroffenen Musiker trugen ihr Schicksal mit Fassung. Das Hamburger Jugendorchester, das den Orchesterpart zu „Figaros Hochzeit“ übernommen hatte, organisierte sich sogar ziemlich professionell: man reiste mit eigenem Kühlschrank an. Auf diese Weise war man, was die Getränkeversorgung und -lagerung anging, autark! Bei den zum Teil ziemlich sommerlichen Temperaturen ein ganz wesentlicher Aspekt von Lebensqualität, von dem auch der Rest des Ensembles profitierte. In diesem Sinne wurde schließlich aus der Not eine Tugend gemacht, was schöne, inspirierte Aufführungen zur Folge hatte, bei denen alle anpackten, wo Not am Mann war. Da wurden Choristen zu Bühnenarbeitern, während die Solisten an ihren Kostümen arbeiteten und das „Sylt in concert“-Team Verpflegung herbeischaffte. So wurde der Opernkurs auch diesmal wieder zu einem lebendigen Beweis dafür, wie der gemeinsame Wille aller Beteiligten auch unter schwierigen Umständen ein Projekt zum Erfolg führen kann.
Der Kammermusikkurs, der in diesem Jahr sein 40-jähriges Jubiläum hatte, ist seit jeher eine internationale Angelegenheit. Thema war Kammermusik für Streicher und Klavier, die Dozenten waren Adam Kostecki (Violine), Tilmann Wick (Violoncello) und Christoph Amtmann (Klavier). Die Teilnehmer, die zwischen sieben (kein Druckfehler, aber doch die Ausnahme) und 26 Jahren alt waren, kamen diesmal aus Polen, der Türkei, Schweden, Österreich, Südkorea, Kanada, Holland und Deutschland. Allein die Virtuosität, mit der die Sprachprobleme bewältigt wurden, versetzte den externen Betrachter in Erstaunen. Das hierbei auch der non-verbalen Kommunikation eine wesentliche Rolle zukam, überrascht Insider kaum. Was die Teilnehmer künstlerisch „drauf“ hatten, zeigten sie in den drei Abschlusskonzerten, die vom Publikum begeistert aufgenommen wurden. Das Dozentenkonzert in Kampen zählte, wie in jedem Jahr, zu den Höhepunkten des gesamten Festivals.
Aufgrund des grenzüberschreitenden Charakters des Projekts gab es auf deutscher Seite eine Reihe dänischer Ensembles zu bewundern. Neben dem eingangs bereits erwähnten Quartett beeindruckten besonders zwei Chöre: der international bekannte Gospelchor „KEFAS“ und das Vokalensemble „GAJA“, das sich vorwiegend der alten Musik verschrieben hat.
Ein musikalisches Ereignis besonderer Art vermittelte die Brassband „Odense Blæserne“. Den kulturellen Brückenschlag vollzogen sie unmittelbar, indem sie von der dänischen Insel Rømø mit der Fähre nach List auf Sylt, der nördlichsten deutschen Gemeinde, übersetzten. Im Lister Hafen gaben sie ein Open-Air-Konzert, das die Zuschauer zu wahren Begeisterungsstürmen hinriss. Beeindruckend, dass trotz des immer kühler werdenden Abends die Intonation perfekt blieb.
Neben der Nachwuchsförderung ist die Suche nach ungewöhnlichen Veranstaltungsorten und neuen Inhalten erklärtes Ziel des Festivals. Nachdem in den letzten Jahren Veranstaltungen wie das „Diner nach Noten“ oder die „Musik auf dem Meer“ etabliert werden konnten und die Gattung des Melodrams der Vergessenheit entrissen wurde, gab es diesmal, passend zum Goethe-Jahr, einen Abend mit Texten des Dichterfürsten und deren Vertonungen klassischer und romantischer Komponisten. Der Schauspieler Hans Jürgen Gündling rezitierte mit eindrucksvoller Mimik Nachdenkliches und Humoristisches, Monika Borchfeldt (Sopran) sang begleitet von ihrem Mann, dem Pianisten und Komponisten Thilo von Westernhagen, Kompositionen von Mozart bis Wolff. Die positive Publikumsresonanz ermutigt dazu, diesen Weg weiter zu beschreiten.
Alles in allem bot sich „Grenzklang/Sylt in concert“ als ein farbiges, lebendiges Sommerfestival dar, das den teilnehmenden Künstlern und dem Publikum viel Freude bereitet hat. Allein dem Organisationsteam wäre eine personelle Aufstockung zu wünschen. Arbeitswütige Interessenten können sich deshalb bereits jetzt für einen Praktikumsplatz im Jahr 2000 (Juli/August) beim Landesverband Schleswig-Holstein der JMD bewerben.