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Mehrere junge Erwachsene experimentieren in sommerlicher Kleidung musikalisch mit einem Gartenschlauch und einem Trichter.

Länge macht Tiefe, da empfiehlt sich der Gartenschlauch. Alle Fotos: Anne-Sophie Malessa

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Von Mittelalter-Musik bis zur Jazz-Combo

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Fantastische Zeit beim mu:v-Camp 2024: alle zum Tanzen gebracht
Vorspann / Teaser

An den heißen Tagen Ende Juli begegnen einem im Schloss und Schloss­park Weikersheim wundersame Situationen: Eine Gruppe läuft mit Mikrofonen durch den Schlossgarten und nimmt Geräusche auf, woanders ertönen Klänge arabischer Musik aus den Fenstern. Anderes dagegen vertrauter, wie eine Liedanalyse am Whiteboard, eine Musical-Probe, aus der man einen Ohrwurm mitnimmt, oder zwei Gitarristen, die im Schlosspark unter einem Walnussbaum sitzen und gemeinsam ihren eigenen Song schreiben.

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Das mu:v-Camp ist ein partizipatives, von einem jungen Team weitgehend in Eigenregie konzipiertes und organisiertes Projekt, bei dem sich Teilnehmer*innen und Dozierende auf Augenhöhe begegnen – ein offenes Format, in dem neben Kursen und Workshops auch reichlich Zeit für spontane Aktionen bleibt und dafür, einander kennen zu lernen. Es findet bereits seit 2010 alle zwei Jahre statt. Vom 25. bis 28. Juli 2024 kamen in der Musikakademie Schloss Weikersheim erneut 80 Musikbegeisterte junge Leute zusammen.

In Kursen wurde über drei Tage hinweg intensiv an einem musikalischen Thema gearbeitet, wie Improvisation oder Beatmaking. Jeweils drei Nachmittagsworkshops gaben den Teilnehmenden außerdem die Möglichkeit, jeden Tag in einen anderen, möglicherweise weniger vertrauten musikalischen Bereich zu schnuppern. Im vergleichsweise theo­retisch angehauchten Kurs „Musikalische Akustik“ etwa wurden zunächst die Grundlagen der Physik von Schall und Klängen erarbeitet und später auch akustische Systeme wie Säle oder Resonatoren analytisch betrachtet. Dagegen bot der eher praxisorientierte Workshop „Instrumentenbau + Akustik“ in drei Stunden den Weg von einfachen akustischen Theoriegrundlagen bis hin zu selbstgebauten Instrumenten wie einer Zucchini-Klarinette oder einer Geige mit PVC-Rohr.

Zwischen den Kursen und Workshops wurde die Zeit fleißig genutzt für gemeinsame Jam Sessions von spontan zusammen gefundenen Bands, klassischen Kammerensembles oder Jazz-Combobesetzungen. Während am späten Abend die einen aus dem Kurs „Improvisation & Songwriting“ noch gemeinsam an ihren neuen Songs arbeiteten, setzten sich andere zusammen, um spontan ein Quintett von Mozart vom Blatt ihrer eigenen Besetzung anzupassen. Auch einige Dozierende boten über ihr Kursprogramm hinaus spontane Möglichkeiten zum gemeinsamen Musizieren an. JMD-Präsident Johannes Freyer, Camp-Dozent für Musiktheorie, warf innerhalb nur einer Mittagspause gleich über 20 interessierte Musikerinnen und Musiker zu einem Salonorchester zusammen, welches in kürzester Zeit andere Teilnehmerinnen und -Teilnehmer zu Klassikern wie „Wochenend und Sonnenschein“ zum Tanzen brachte. Michael Eberle, unter anderem als Dozent für den Kurs „Mittelaltermusik“ engagiert, erarbeitete am Abend mit einer ähnlich großen und spontanen Besetzung das „Kyrie“ aus Guillaume de Machauts „Messe de Nostre Dame“, geschrieben um das Jahr 1360.

Natürlich blieb neben all der Musik auch reichlich Zeit, dass sich die Teilnehmenden bei verschiedenen anderen Aktivitäten näher kennenlernten. Während manche tagsüber eine Wanderung in die Weinberge unternahmen, eigens designte mu:v-T-Shirts batikten oder einfach gemeinsam im Schlossgarten die Seele baumeln ließen, wurde abends, mitunter auch bis tief in die Nacht, ausgiebig im Jeunesses-Keller gefeiert und Tischkicker oder Billard gespielt.

Der Enthusiasmus der Teilnehmenden und der ebenfalls überwiegend jungen Dozierenden wurde besonders beim abschließenden Wandelkonzert noch einmal deutlich, als alle Kurse die Ergebnisse ihrer dreitägigen Arbeit präsentierten. Dabei wurde gemeinsam improvisiert, über neue selbst gebaute Instrumente wie die überraschend klangschöne und zu 100-prozent biologisch abbaubare „Zucchinette“ oder ein tiefes tonendes Gartenschlauch-Horn gestaunt, und zu frischen Beats getanzt. Auch die Präsentation selbst komponierter Stücke, eine Musical-Performance oder mitreißende südamerikanische Musik begeisterten. Alle gemeinsam erlebten eine unglaublich intensive und unvergessliche Zeit.

Drei Tage lang zeitreisen

Camp-Teilnehmerin Clara Dobbelstein schildert ihre persönlichen Eindrücke: „Nach dem Frühstück ging’s gleich in die verschiedenen Kurse, welche von Songkomposition über Akus­tik und Instrumentenbau bis hin zu Musical reichten – jeder fand hier etwas Passendes. In meinem Fall fiel die Wahl auf Mittelaltermusik. Unser Dozent Michael Eberle nahm sieben weitere Teilnehmende und mich mit auf eine Zeitreise bis zurück ins 11. Jahrhundert. Schon bald sangen wir aus voller Kehle Mönchschoräle, entzifferten uralte Neumenhandschriften, tauchten ein in die Kirchentonarten und improvisierten auf unseren Instrumenten Rhythmen sowie Vor- und Nachspiele. Wir lernten sowohl klös­terliche Lieder für die Messe kennen als auch ein altfranzösisches Minnelied in okzitanischer Sprache, in dem ein Liebender voller Sehnsucht nach seiner unerreichbaren Dame schmachtet. Dieses Werk arrangierten wir für unsere Besetzung im Kurs und führten es auf, wobei jeder eigene Ideen einbringen konnte, da weder ein fester Rhythmus noch Hinweise zur Dynamik oder Interpretation in der Handschrift zu finden waren – nicht untypisch für überlieferte Melodien aus dem Mittelalter. All dies überlegten wir uns also selbst und konnten kreativ werden.“

Konzert-Act mit Extraklasse

Besonderes Highlight des Camps war gleich zu Beginn das Konzert des Feuerbach Quartets mit seinem neuen Programm „LEGENDS“ in der TauberPhilharmonie. Das Streichquartett spielte Musik verschiedener kompositorischer Legenden von Klassik bis Pop, von Vivaldis „Sommer“ aus den Vier Jahreszeiten bis zu Amy Winehouse mit „Back to Black“ oder Michael Jacksons „Smooth Criminal“. Alle Stücke wurden eigens vom Quartett arrangiert, und nicht selten fusioniert zu Werken wie beispielsweise einer Weiterführung von Mozarts Requiem im Stile Bob Dylans. Auch instrumental zeigten sich die vier Musiker*innen als mehr als nur ein Streichquartett. Wenn der Cellist nicht gerade ohnehin schon mit verschiedenen Spieltechniken Schlagzeug und Bass in seinem Instrument verkörperte, ließ er auch mal elektronische Samples klingen oder spielte sein Cello wie eine Gitarre. Geiger Max Eisinger tauschte seine klassische Geige hin und wieder gegen eine verzerrte E-Geige aus, und zum Schluss gegen eine Keytar, auf der er sein Können nicht nur auf Saiten, sondern auch auf Tasten zeigte. In ihrer Version von „Bohemian Rhapsody“ fügte das Quartett sogar gewagte gesungene Passagen ein und zeigte sich somit über das gesamte Konzert hinweg genauso vielfältig, wie die Kurse und Workshops der anschließenden drei Tage des mu:v-Camps sein würden.

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