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Absichtsvoll gestaltete akustische Vorgänge

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Kompositionsworkshop „Wort und Ton“ für Mädchen und junge Frauen
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Durchaus entschlossen geht der Sprecher zum Flügel, „ERBUNWÜRDIG“ herrscht er die Interpreten an, nimmt einige Seiten mit scheinbar juristischen, doch sinnlosen Formulierungen und drückt sie den Musikern in die Hand. Unter deren verdutzten Blicken deklamiert er quintolisch und triolisch „Vorschriften finden Anwendung“ und klappt den Flügel zu: Das Ende von Fanja Raums gleichnamiger Komposition, die verfremdete Textauszüge des Familienrechts als eine musikalische Kafkaeske für Sprecher, Singstimme, Klarinette und Klavier vertont. Zugleich Teil des Abschlusskonzerts des Kompositionsworkshops für Mädchen und junge Frauen am 27. November 2005 in der Clara-Schumann-Musikschule Düsseldorf.

Gemeinsam mit weiteren acht Teilnehmerinnen war ich zum wiederholten Mal beim Kompositionsworkshop für Mädchen und junge Frauen dabei, der 2005 unter dem Thema „Wort und Ton“ in der Clara-Schumann-Musikschule in Düsseldorf stattfand. An zwei Wochenenden erwartete uns ein reichlich gefülltes und dabei hervorragend organisiertes Programm.

Am Beginn stand das Kennenlernen von zeitgenössischer Musik. Die Komponistinnen Elena Mendoza-López und Cathy Milliken sowie der Komponist David Graham demonstrierten anhand zahlreicher Beispiele, auf welche Weise Wort und Ton in eine Beziehung treten können. Anhand von John Cages „Aria“ wurde die Unmittelbarkeit deutlich, mit der man sich als Mensch charakterlich über die Stimme mitteilt. Bald schon konnten ein unschuldiges Kleinkind, eine temperamentvolle Russin, eine Comicfigur und eine beleibte Opernsängerin hinter den von Cage dargestellten Figuren erkannt werden. Das Beispiel demonstrierte darüber hinaus, dass Komponisten auf der Suche nach einer Sprache, die ihre Vorstellung halbwegs adäquat wiedergibt, manchmal zu ganz eigenen graphischen Notationsweisen gelangen und – unter der Prämisse, dass es Sinn hat und für den Interpreten verständlich organisiert ist – auch gelangen dürfen.

Den Präsentationen folgten stets ausgedehnte Diskussionen, bei denen wir nicht nur über die soeben kennen gelernten Möglichkeiten der Wort-Ton-Komposition nachdachten, sondern auch eigene Fantasien entwickelten.

Das Ausprobieren und Aufschreiben unserer Ideen musste jedoch noch warten, denn als Nächstes stand eine intensive Instrumentenkunde auf dem Programm. Diese verlief keineswegs trocken. Im Gegenteil: Da wir für eine von vornherein festgelegte Besetzung schreiben sollten, konnten wir uns intensiv mit den Möglichkeiten der Künstler auseinander setzen. Die Sängerin Karolina Rüegg klärte nicht nur über ihren Tonumfang und ihre persönlichen Lagen auf, sondern demonstrierte darüber hinaus einen Reichtum an Klangfarben in allen Registern sowie die bewundernswerte Fähigkeit, auch in der Höhe noch sehr leise zu singen. Der Schauspieler Tom Zahner imitierte im Sinne Cages eine Reihe verschiedener Figuren, deren Charakter er allein durch seine Stimme darzustellen vermochte, meist jedoch auch mit seinem ganzen Körper ausdrückte. Bernd Bolsinger zeigte mit seiner A-, B- und Bassklarinette, wie die Techniken des „Mundstückglissandos“ und „Zungenpizzicatos“ sowie verschiedene Obertonklänge funktionieren und wirken. Und die Pianistin Birke Bertelsmeier – die früher selbst an diesen Workshops teilnahm und nun bei Wolfgang Rihm Komposition studiert – spielte gleich ganze Werke für präpariertes Klavier und klärte damit auch über die entsprechenden Möglichkeiten der Notation auf.

Natürlich standen schließlich die von den Teilnehmerinnen mitgebrachten Texte und Ideen im Mittelpunkt. Dabei reichte die Auswahl vom Romanauszug über Kindergedichte, romantische Lyrik und eigene Werke bis hin zu Auszügen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Gleich deutete sich also an, dass sehr individuelle Arbeiten entstehen würden.

Diente das erste der Wochenenden der Ideenentwicklung, sollte die Zeit bis zum nächsten Treffen genutzt werden, um Vorstellungen zu konkretisieren und zu notieren. Und es war ganz erstaunlich, wie intensiv sich manche Komponistin in den zwei dazwischen liegenden Wochen mit ihrem Stück beschäftigt hatte. Jenen ganz eifrigen bot sich beim zweiten Zusammenkommen die Möglichkeit, gleich wieder mit den Künstlern zu arbeiten, die jede spontane Idee sehr rasch umsetzten und den Mädchen somit bei der Suche nach dem vorgestellten Klang halfen. Wer wie ich nicht so schnell vorwärts gekommen war, nutzte die Tage in den bereitstehenden Klavierräumen der Musikschule zur Klangsuche und die Nächte in der Jugendherberge zum Notenkritzeln. Dabei boten sich die Dozenten immer wieder zum Gespräch an – jedenfalls tagsüber.

Jeder arbeitete bei diesem zweiten Treffen auf die Abschlusspräsentation hin, die am letzten Workshoptag bei Anbruch der Dunkelheit stattfand. Die drei Musiker und der Schauspieler präsentierten sehr professionell neun äußerst verschiedene Werke oder Werkanfänge, die sie alle innerhalb nur eines Tages kennen gelernt und geprobt hatten. Sie scheuten sich auch nicht, untereinander Rollentausche vorzunehmen, bei denen der Klarinettist schauspielerte, die Pianistin sang oder der Schauspieler am Flügel hantierte.

Als Dankeschön für diesen besonders schönen und intensiven Workshop überraschten die Mädchen am Schluss mit einem gemeinsam komponierten Werk. Dieses fasste auf humorvolle Weise den Topos „Wort und Ton“ zusammen: Während der Zeit hatten wir unbemerkt sämtliche Ausrufe, Anweisungen und Vorschläge aus den Mündern aller Anwesenden gesammelt und entsprechend der Definition des Wortes „Komposition“ durch eine der Dozentinnen in ein Stück mit dem Namen „Absichtsvoll gestaltete akustische Vorgänge“ umgewandelt.

Der Kompositionsworkshop für Mädchen und junge Frauen wird seit 1999 jährlich vom Landesmusikrat NRW veranstaltet und von der Landesregierung gefördert; die Durchführung liegt seit 2002 bei Musikprojekte Schwiening & Otten.

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