Ein junger Mann, Anatoli Tizian Moseler aus Datteln, tritt mit seiner Geige auf die gläserne Bühne und spielt ein Werk, das ich in drei Jahrzehnten „Jugend musiziert“ hier noch nie gehört habe: Bachs Chaconne aus der Partita d-Moll BWV 1004, ein gigantischer Eckpfeiler der Violinliteratur, wenn nicht der Musik überhaupt. Entsprechend groß ist die Spannung im Saal, alles mäuschenstill.
Was dann kommt, werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Anatoli Moseler taucht ein in die Musik, wird eins mit seinem Instrument und spielt das gigantische Werk auf eine Weise, die auch professionellen und erwachsenen Geigern nur selten gelingt. Puristen würde auffallen, dass er das im Stil der großen Geiger der Mitte des letzten Jahrhunderts tut, also „nicht historisch informiert“, aber das ist egal. Technische Hürden gibt es nicht, die Intonation ist makellos, der Ton groß und die Musik scheint aus dem jungen Musiker herauszufließen.
Ich selbst, Mitglied der Jury, lege meinen Füller beiseite, lehne mich zurück und denke bei mir: „Möge dies nie zu Ende gehen!“Augen wischen, durchatmen, berichten: Es ist ein großer Saal in Gelsenkirchen, den sich die Verantwortlichen für den Regionalwettbewerb „Jugend musiziert“ Ruhr – Nord ausgesucht haben. Der Stadtbauraum ist Teil des Baudenkmals der „alten“ Zeche Consolidation
, ein ehemaliger Maschinensaal. Die Akustik und das Ambiente sind traumhaft, und groß ist in diesem Jahr auch nicht verkehrt. Der Zugang erfolgt ausschließlich nach der „2G“-Regel.
Zu hören waren Geigen, Celli, ein Kontrabass, Harfen, Sänger:innen, ein Klaviertrio, ein Klavierquintett, mehrere Pop-Sängerinnen, ein Akkordeon und mehrere Duos mit Bläser und Klavier. Alle machten ihre Sache gut, einige sehr gut und manche auch so gut, dass eine Weiterleitung zum Landeswettbewerb gewährt werden konnte. Neben Moseler so auch das Gesangtrio der drei Schwestern Soijcic, begleitet von ihrem Vater auf dem Klavier, die einen ganz besonders charmanten Beitrag boten.
Die Regionalwettbewerbe fanden an 24 Standorten in Nordrhein-Westfalen statt, alle in Präsenz und unter strengsten Hygieneregeln. Mit 814 Teilnehmenden wird der Landeswettbewerb zwar kleiner als der Wettbewerb im Vergleichsjahr 2019 mit vierstelliger Teilnehmerzahl, trotzdem gibt diese Zahl aber ein eindrucksvolles Zeugnis davon, dass die Musik sich nicht unterkriegen lässt, auch nicht bei Kindern und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen.