Wie lang fühlt sich eine Minute an, was sind ein paar Sekunden und wieso verrinnt die Zeit plötzlich viel schneller als gedacht oder bleibt sogar stehen? Zwei Wochenenden lang Musik, Klänge und Rhythmus erlebten wir, die neun Teilnehmerinnen des „Kompositionsworkshops für Mädchen und junge Frauen“ zum Thema „Musikalische Zeit gestalten“, gefördert vom Ministerpräsidenten des Landes NRW und veranstaltet vom Landesmusikrat in der „Westfälischen Schule für Musik“ in Münster. Hier waren wir nicht nur Konsumentinnen, sondern in erster Linie Produzentinnen, besser gesagt Komponistinnen, und jede von uns hatte ein paar musikalische Gedanken im Kopf herumschwirren.
Zuerst aber stellten sich unsere Dozentinnen des ersten Wochenendes vor: Karin Haußmann und Elena Mendoza López. Die erfahrenen Komponistinnen wiesen uns ein wenig in die Welt ihrer kompositorischen Gedanken ein, erweiterten Horizonte, zeigten Fremdes, aber auch Bekanntes aus dem Bereich der Moderne. Das Ganze wurde aufgelockert durch kleine spielerische Notationsübungen. Wir „spürten“ Zeit, diskutierten und lernten das Wundern neu kennen. Statt ermüdender Interpretationen fassten wir unsere Höreindrücke zusammen und fanden so für uns heraus, wie vielfältig Zeit musikalisch zu gestalten ist.
So manche hatte noch das eine oder andere Notationsproblem, denn die Hürde, seine musikalischen Ideen in Schrift zu fassen, ist größer, als man denkt. Die Dozentinnen standen uns mit Rat und Tat zur Seite und halfen mit Engelsgeduld, aus kritzeligen Hieroglyphen spielbare Partituren zu machen. Schließlich kamen die Musiker hinzu. Ein Violinist, eine Cellistin, ein Schlagzeuger und ein Klarinettist, Profis und begnadete Studenten, stellten ihre Instrumente vor. Doch war mit dem einfachen Auf- und Abstrich, dem Trommelwirbel oder dem Glissando nicht Schluss. Wir erlernten, Klangvorstellungen umsetzbar zu machen, lernten Fachbegriffe, probierten aus und konnten sofort mitschreiben, wie das Spielen mit dem Bogenholz am Steg, und zwar nur gehaucht, zu notieren sei, was dagegen das Streichen über Klangstäbe ausmachen kann und welche Gefühle Vierteltontriller hervorrufen können. Im Keller der Musikschule ging es nun an die Arbeit. Wir versuchten, schrieben auf, verwarfen und überarbeiteten unsere Ideen, hatten stets Einzelunterricht bei den Dozentinnen und arbeiteten, bis die Köpfe rauchten, Radiergummis aufgebraucht und Bleistifte zu Stummeln geworden waren.
Zwei Wochenenden später traf man sich wieder. An Stelle von Elena Mendoza López war nun David Graham unser zweiter Dozent. Stücke mussten beendet und in Reinschrift gebracht werden. Kopierer liefen auf Hochtouren, Korrekturen wurden angebracht, Notenpapier zerschnibbelt und zusammengeklebt. Der erste Eindruck: Durch die Glasscheiben des Konzertsaales konnte man leuchtende Komponistinnenaugen sehen und angestrengte Interpretenblicke. Das hektische Gebrabbel und Noteninferno wich einem aufgeregten Raunen, einem Tief-Durchatmen und begeistertem Zittern. Zur Abschlusspräsentation waren Verwandte und Freunde angereist. Jede von uns stand auf, sagte ein paar Worte, lauschte andächtig, schüttelte Hände und verbeugte sich. Interpreten und Dozenten bewiesen enormen Einsatz und großartige Leistung, und der Applaus bezeugte dies. Als Dankeschön folgte noch eine Performance aller Workshop-Teilnehmerinnen, rhythmisch verpackt und tänzerisch inszeniert, mit abschließendem Freudengeheul, warum wir all das erfahren konnten: „Weil ich ein Määäääädchen bin!“