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Mit den Ohren singen

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450 Teilnehmer beim 6. Leipziger Symposium zur Kinder- und Jugendstimme
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Leipzig. Der riesige Hörsaal in der Musikhochschule ist bis auf den letzten Platz besetzt. Der Dozent steht am Rednerpult und alle lauschen. Plötzlich tuschelt es auf allen Rängen. Das Wispern schwillt an und bemüht sich nicht einmal um Diskretion. Eine Vorstellung, die jedem Professor den Angstschweiß auf die Stirn treiben würde. Nicht aber Claus Harten. Vielmehr ist seine Probe aufs Exempel blendend gelungen. Sein interaktiver Vortrag zur „Kunst der stimmigen Kommunikation“ brachte die Zuhörer ins verstehende Gespräch.
Zahllosen Menschen verhalf der Kommunikationstrainer und Musiker schon zum ziel- und lösungsorientierten Gedankenaustausch. So auch den fast 450 Teilnehmern des 6. Leipzigers Symposiums zur Kinder- und Jugendstimme. Sie hatten beratschlagen sollen, wie eine prekäre zwischenmenschliche Situation in einem Chor durch ein sorgfältig vorbereitetes Gespräch gelöst werden kann. Hartens Frage „Wie schaffe ich es, zu sagen, was ich will, sodass der andere hörend mich versteht, auf dass wir gemeinsam handeln?“ fand eine scheinbar leichte Antwort: Der Ton macht die Musik. Zumal Musik wohl die unmittelbarste und emotionalste Form der Kommunikation ist. Was das Hören, Verstehen, Sortieren von Informationen und Emotionen sowie die Artikulation erschwere, sei der Überückstand.

Über die kausalen Zusammenhänge zwischen „Hören – Wahrnehmen – (Aus)Üben“ informierten sich beim Stimmsymposium in der Musikstadt Leipzig Wissenschaftler, Mediziner, Musiker, Sänger, Gesangspädagogen und Stimmtherapeuten aus ganz Deutschland. Sie waren begeistert von Inhalt und Form des einzigartigen interdisziplinären Forums. Zwei Tage lang schenkten sie der attraktiven Kombination aus Fachvorträgen, Workshops und hochklassigen Vokalkonzerten offene Ohren. Regie führten einmal mehr die phoniatrische Abteilung der HNO-Klinik Leipzig und der Arbeitskreis Musik in der Jugend in Kooperation mit der Leipziger Musikhochschule und dem Bundesverband Deutscher Gesangspädagogen. Mit dem ehemaligen Thomaner Dr. Michael Fuchs, wissenschaftlicher Leiter des Symposiums und Leiter der Abteilung für Stimm-, Sprach- und Hörstörungen an der Uni Leipzig, gingen die Disziplinen auf die spannende Reise des Schalls durch Ohr, Gehirn und Stimmapparat bis zu den Lippen. Aus berufenen Mündern erfuhren sie, dass die Qualitäten des Ohres, je früher desto besser, trainierbar sind und dass die Schärfung der akustischen und der emotionalen Wahrnehmungsfähigkeit Stimmklang und (künstlerische) Ausdrucksfähigkeit verbessert. Interessensüberschneidungen gab es auch im Hinblick auf angeborene wie erworbene Störungen der Schallleitung und damit des Hörens und Verstehens, auf die verheerenden Folgen (Spracherwerb, Musikempfinden), wenn diese nicht oder zu spät erkannt werden und therapeutische Möglichkeiten bis hin zum Heilen mit Musik.

Wissenschaftliche Untersuchungen erinnerten daran, dass regelmäßiges und qualifiziert begleitetes Singen von Kindesbeinen an positiven Einfluss hat auf die Klangwahrnehmung und die bewusste Steuerung des Stimmapparates. Bei allen Gefahren durch schlecht geschulte Bezugspersonen, falsch ausgewählte Literatur oder Missachtung individueller Stimm- und Persönlichkeitsentwicklung überwögen die besseren Chancen singender Kinder. Daran ändere auch die Tatsache nichts, dass es Stimmapparate „für nen Groschen, nen Fuffziger oder ne Mark“ gibt.

Dass es mit Üben allein nicht getan ist, zeigten Parallelen zur Motivationsforschung im Hochleistungssport und der Blick hinter die Kulissen eines Kinderchores. Neben der Balance aus Belastung und Entspannung sei es vor allem die Freude, die es zu erhalten gelte. Wesentliche Grundlagen: Das Wahrnehmen und Respektieren von Kindern unabhängig von Leistung, Schaffen von Geborgenheit und Emotionalität. Auch die Stimme eines Kindes, das mit Begeisterung ungeniert laut und falsch singt, könne mithilfe seiner Lust am künstlerischen Ausdruck entwickelt werden. Dazu gehörten technische Übungen genauso wie das Schulen von Aufmerksamkeit und dem Sinn für Stille.

Die Teilnehmer ließen sich begeistern von praktischen Übungen zu Stimmklanglauschen, sensitivem Singen, spielerischem Umgang mit der Stimme oder dem Zugang zum Klanginstrument Körper mithilfe von Sprach- und Klangphantasien. Besonders intensiven Eindruck hinterließ ein Workshop zur relativen Solmisation, also der elementaren Erfahrung mit Musik von klein auf – eine wieder in Mode kommende Methode, Musik nicht zu erklären, sondern Spannungsbögen und Rhythmen theoriefrei über das Hören, Wahrnehmen und Üben zu erspüren und so fürs Leben zu verinnerlichen. Verinnerlichen sollte man sich auch schon den Termin für das kommende Jahr: Das 7. Symposium zur Kinder- und Jugendstimme wird vom 20.-22. Februar 2009 stattfinden.

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