Mitte Dezember veröffentlichte das Freiburger Institut für Musikermedizin ein Update seiner Risikoeinschätzung einer Coronavirus-Infektion im Bereich Musik. Berücksichtigt ist dabei eine Reihe neuer Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Studien des zweiten Halbjahrs 2020. Das Freiburger Institut möchte mit seiner Risikoeinschätzung dazu beitragen, Rahmenbedingungen zu definieren, unter denen Singen und Musizieren in Zeiten der Pandemie mit möglichst großer Risikoreduktion stattfinden können.
Grundsätzlich hat sich an den bereits im Sommer ausgesprochenen Empfehlungen zu Abständen, Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, guter Belüftung und reduzierter Probendauer nichts geändert. Werden sie eingehalten, scheint im professionellen Bereich wie beim Laienmusizieren das Risiko von Corona-Ansteckungen recht gut kontrollierbar. Die ebenfalls bereits im Juli vorgeschlagene Kontrolle der Raumluftqualität mit Hilfe von CO2-Messgeräten wird inzwischen nachdrücklich empfohlen und könnte sich als hilfreich für schulische wie außerschulische Kontexte erweisen.
Aerosole als Hauptübertragungsweg
An dieser Erkenntnis hat sich nichts geändert: Wie alle Viren können auch Coronaviren durch Berühren kontaminierter Oberflächen übertragen werden, wenn die Hände anschließend ungereinigt das Gesicht berühren und das Virus so in die Nähe der Schleimhäute transportieren (Kontaktinfektion). Regelmäßiges Händewaschen zählt damit nach wie vor zu den effizientesten Vorbeugemaßnahmen. Die Freiburger Musikermediziner empfehlen auch weiterhin die Reinigung von Instrumenten, die von mehreren Menschen abwechselnd benutzt werden (z. B. Klaviertastaturen). Als gesichert kann mittlerweile gelten, dass Kontaktinfektionen nicht das wichtigste Einfallstor der Viren in den menschlichen Körper sind. Hauptübertragungsweg von Viren, die Atemwegserkrankungen verursachen, sind Aerosole, die beim Husten und Niesen entstehen oder, in deutlich geringerer Konzentration, beim normalen Ausatmen und Sprechen von Menschen ohne Erkältungssymptome ausgestoßen werden. Sie werden vom Gegenüber beim Einatmen aufgenommen – über die Schleimhäute von Nase und Mund und über die Bindehaut des Auges. Über Entstehen und Ausbreitung von Aerosolen weiß man mittlerweile dank etlicher wissenschaftlicher Studien deutlich mehr als zu Beginn der Corona-Pandemie. Größere Tröpfchen folgen der Schwerkraft und fallen in einer Entfernung von bis zu ca. 1 m vom Emittenden zu Boden. Ein anderer Teil der Tröpfchen verdunstet. Zurück bleiben feinste feste oder flüssige Schwebeteilchen, die sich sehr schnell um die Quelle und in (geschlossenen) Räumen verteilen und in denen das SARS-CoV-2-Virus je nach Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit bis zu mehreren Stunden lebensfähig bleiben kann. Je geringer die Temperatur und je niedriger die Luftfeuchtigkeit, umso länger können Aerosole im geschlossenen Raum und auch auf Oberflächen erhalten bleiben.
Angesichts der physikalischen Eigenschaften ausgeatmeter Aerosole (Temperatur von ca. 37°C, sehr hohe relative Feuchte und geringe spezifische Dichte) ist zu erwarten, dass sie zunächst nach oben aufsteigen und sich dann mit der Raumluft vermischen. Aerosole sammeln sich also in geschlossenen Räumen zunächst an der Decke des Raumes an und verteilen sich im weiteren zeitlichen Verlauf im ganzen Raum, ähnlich wie ein Gas. Neben dem Kontakt mit Aerosolen oder Tröpfchen im Nahfeld (Entfernung < 1,5m) kann eine Viren-Exposition also auch durch zunehmende Konzentration von Aerosolen in der Raumluft entstehen. Das ist insbesondere in Kontexten relevant, in denen sich mehrere Personen über längere Zeit in einem geschlossenen Raum aufhalten; Klassenzimmer dürften ein Paradebeispiel für einen solchen Ort darstellen.
„Raumluft-Management“ mit CO2-Messgeräten?
Epidemiologische Erkenntnisse aus dem Verlauf der COVID-19-Pandemie zeigen, dass Raum- und Luftverhältnisse sowie die Dauer der Exposition bei der Ansammlung von Personen das Infektionsrisiko entscheidend beeinflussen. Mittlerweile liegen verschiedene Rechenmodelle vor, mit deren Hilfe sich anhand der Parameter Raumvolumen, Aktivität, Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, Belüftung sowie Frischluftmenge das Infektionsrisiko einer COVID-19 Infektion durch Aerosole grob abschätzen lässt. Da bisher noch nicht bekannt ist, wie viele Viren, infektiöse Aerosole oder Tröpfchen ausreichen, um eine Infektion auszulösen, stellen solche Rechenmodelle aber lediglich Orientierungshilfen dar, aus denen keine sicheren Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.
Parallel zum Gehalt an Aerosolen in der Raumluft steigt auch der anderer Bestandteile, allen voran der Kohlendioxid-Gehalt der Luft. Deshalb bietet sich der Einsatz (vergleichsweise kostengünstiger) CO2-Messgeräte als recht präzise Möglichkeit an, die Luftqualität in einem Raum zu bestimmen und damit auch Rückschlüsse auf die Aerosolkonzentration zu ziehen. Die Arbeitsgruppe am Freiburger Institut für Musikermedizin hat dazu an der Musikhochschule Freiburg eine umfangreiche Messreihe mit 141 Musiker*innen durchgeführt. Während 47 Unterrichtseinheiten und Proben wurden die CO2-Konzentrationen in der Raumluft ermittelt. Für jeden Raum der Musikhochschule konnte so definiert werden, wie viele Menschen sich mit welcher musikalischen Tätigkeit wie lange in dem jeweiligen Raum aufhalten dürfen, bis die Normschwelle von 800 ppm für die CO2-Konzentration erreicht ist (Europäische Norm für Innenräume, EN 13779). Außerdem wurde gemessen, wie viele Minuten der jeweilige Raum gelüftet werden musste, bis der Ausgangswert von 400 ppm wieder erreicht wurde. Die Forscher bilanzieren: „Die Messungen ermöglichten eine individuelle Risikobewertung des Instrumental- und Gesangsunterrichts sowie der Probenarbeit in Abhängigkeit von Raumgröße und Anzahl der Musiker.“ – An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, wieviel Aufwand derzeit betrieben werden muss, um in einem konkreten Unterrichtsraum verlässlich für eine hinreichend gute Luftqualität zu sorgen. Mit korrekt eingestelltem Grenzwert lassen sich CO2-Messgeräte vermutlich auch gut zur Kontrolle der Luftqualität im laufenden Unterrichts- oder Probenbetrieb nützen.
Hygienekonzepte müssen auch eingehalten werden
Die grundlegenden Empfehlungen zur Minimierung des Infektionsrisikos haben sich durch die seit Juli hinzugekommenen Forschungsergebnisse nicht verändert, sie sind eher bestätigt worden: Musizierende sollten einen radialen Abstand von mindestens 2 Metern zu anderen Menschen einhalten, beim Musizieren auf Querflöten insbesondere nach vorne noch deutlich mehr. Weiterer wichtiger Baustein der Risikoreduktion ist das korrekte(!) Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes (MNS). Das Forschungsteam bekräftigt: „Beim MNS geht es v.a. darum, dass er angewandt wird, obwohl er zum Beispiel beim Singen oder Spielen eines Streich-, Zupf- oder Tasteninstruments spontan als unpassend oder störend empfunden werden kann.“ Die Wissenschaftler betonen auch, wie wichtig auf die jeweiligen Örtlichkeiten abgestimmte Hygienekonzepte und deren penible Einhaltung sind. So stellen sie für ihre Musikhochschule fest, „dass die Anwesenheit von Studierenden und Lehrenden, die im nachhinein als asymptomatische Kontaktpersonen positiv getestet wurden und sich vorher noch in Lehrveranstaltungen der Musikhochschule aufgehalten hatten, nicht zu einer Weiterverbreitung der Coronavirus-Infektion innerhalb der Musikhochschule geführt hat. Daraus lässt sich schließen, dass empirisch überprüfte Lüftungsmaßnahmen, Einhaltung der Abstandsregeln, MNS, Hände- und Kontaktflächenreinigung die Wahrscheinlichkeit einer Coronavirus-Infektion stark vermindern können. Im Fall einer ähnlichen Institution, in der die Hygienemaßnahmen nicht eingehalten wurden, führte dieselbe Situation – Singen in der Gruppe – dagegen zu einer hohen Ansteckungsrate der Beteiligten.
- Die jeweils aktuelle Risikoeinschätzung des Freiburger Instituts für Musikermedizin kann heruntergeladen werden unter https://www.mh-freiburg.de/hochschule/covid-19-corona/risikoeinschaetzu…