Ungewöhnlich starke Besucherresonanz erlebten die „Tage der bayerischen Schulmusik“, die vom 1.–3. März in der Hochschule für Musik und Theater München stattfanden. 400 Musiklehrer/-innen aller Schularten kamen aus ganz Bayern zusammen, um sich in 50 Veranstaltungen von knapp 60 Referenten auf den neusten Stand in der Musikpädagogik bringen zu lassen.
Dieser große Besucheransturm, der einzelne Veranstaltungen fast sprengte, zeigt deutlich das starke Bedürfnis nach Fortbildungsmöglichkeiten für die Musiklehrer. Da eine konsequente staatliche Fortbildung für die Musikpädagogen, wie sie in der Vergangenheit einmal in der Akademie für Lehrerfortbildung in Dillingen existierte, schon seit Längerem nicht mehr angeboten wird, sind die Lehrer fast nur auf die Angebote der Berufsverbände AfS und VBS, von MILU und einzelne Angebote freier Träger angewiesen. So ist es erfreulich, dass sich das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus an der Finanzierung des Fortbildungskongresses „Tage der bayerischen Schulmusik“ beteiligte und damit die Möglichkeit für seine Organisation und Durchführung schuf.
„Was ist ‚guter’ Musikunterricht?“, diese Frage war das Motto des Kongresses, unter dem auch alle Einzelveranstaltungen standen. Ein neues organisatorisches Konzept bildete die Grundstruktur der Veranstaltungsreihe. Referenten aus allen Ausbildungsstätten in Bayern, in denen ein Musikstudium für das Lehramt angeboten wird, stellten in exemplarischen Kursen ihre Sicht auf die Frage nach einem guten Musikunterricht heraus. Dieses praxisbezogene Angebot wurde ergänzt durch Vorträge von Hochschuldidaktikern, die neue theoretische Erkenntnisse transportierten und wissenschaftliche Untersuchungen reflektierten.
Zusätzlich wurde noch eine Reihe von Veranstaltungen angeboten, die den handlungsorientierten Zugang zur musikalischen Praxis vorstellten. Teilweise in Zusammenarbeit mit Musik- und Schulbuchverlagen war es den Organisatoren gelungen, renommierte Referenten weit über Bayern hinaus zu verpflichten, die nun erstmals bei den „Tagen der bayerischen Schulmusik“ mitarbeiteten und somit auch neue Impulse für das praktische Musizieren setzen konnten. Einen Schwerpunkt bildeten dabei die Streicher- und besonders die Chorklassen, die als Unterrichtsform stark im Kommen sind und denen daher mehrere Fortbildungsveranstaltungen gewidmet waren.
Dass ein so repräsentativer Rahmen wie die Festveranstaltung zur Kongresseröffnung, an der auch viele Persönlichkeiten teilnehmen, die in der politischen Verantwortung stehen und Weichenstellungen künftiger Kulturpolitik vornehmen können, von einem Berufsverband wie dem VBS auch genutzt werden muss, Forderungen, Wünsche und Visionen zu artikulieren, aber auch Fehlentwicklungen und Defizite klar anzusprechen, ergibt sich von selbst. Manche dieser Forderungen prägen seit Jahrzehnten die Verbandsgeschichte wie zum Beispiel die Reduzierung des Stundendeputats, die Forderung nach durchgehend mindestens zweistündigem Musikunterricht, der Abschaffung der Einteilung in „wissenschaftlichen“ und „nicht-wissenschaftlichen“ Unterricht und der Wunsch nach Gleichbehandlung in der Vorrückungsrelevanz in allen Jahrgangsstufen.
Speziell die Zuordnung des Faches Musik als „nichtwissenschaftlich“ verurteilte der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Schulmusiker, Prof. Dr. Ortwin Nimczik, in seinem Grußwort als Anachronismus. So gut die Musikerziehung durch die hohen Leistungen der Pädagogen hier auch sei, im schulpolitischen Bereich sollte Bayern hier endlich von allen anderen Bundesländern lernen, wo diese paradoxe Unterscheidung nicht gegeben sei. Durch die Inhalte der Lehrpläne, den theoretischen Unterbau des Stoffes im Fach Musik und die fundierte wissenschaftlich-künstlerische Ausbildung der Musikpädagogen erscheine diese Abqualifizierung als „nichtwissenschaftlich“ anderen Fächern gegenüber absurd.
Ähnliche Forderungen hatte auch die Vorsitzende des Verbandes Bayerischer Schulmusiker, Heidi Speth, schon zuvor in ihrer einleitenden Begrüßungsrede aufgestellt, aus der hier einige wesentliche Passagen zitiert werden.
„Jede Woche arbeiten wir Musiklehrer vier Stunden mehr als die Kolleginnen und Kollegen in den so genannten ‚wissenschaftlichen’ Fächern. Rechnet man das hoch, so kommen in einem Schuljahr rund 150 Stunden zusammen, die zusätzlich abgeleistet werden müssen! Das sind etwa sechs Wochen Mehrarbeit pro Jahr! Vollkommen unverständlich ist mir schon allein die Abqualifizierung von Musikunterricht als ‚nicht wissenschaftlich’. Das suggeriert ja, im Musikunterricht würde das Denken ausgeklammert!
Wir fordern das Kultusministerium daher mit Nachdruck auf, endlich diese unselige Trennung von wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Fächern aufzuheben und das Stundenmaß der Musiklehrkräfte an das Deputat der Kollegen der anderen, der sogenannten ‚wissenschaftlichen’ Unterrichtsfächer anzugleichen! Dabei habe ich noch gar nicht von den vielen Zusatzbelastungen gesprochen, die den Alltag von uns Musiklehrern zu einem wahren Hürdenlauf werden lassen: Ich will jetzt nicht einen ganzen Katalog von Klagen auflisten, denn wir wissen alle,
- dass der allenthalben geforderte, aber nur selten zentral koordinierte Projektunterricht, zum Beispiel im Rahmen der Seminare in der gymnasialen Oberstufe die langfristig geplante regelmäßige Probenarbeit unserer Schulensembles torpediert, weil jede Woche ein anderer Teil der Schüler auf einer wichtigen Veranstaltung weilt,
- dass Zwischenstunden in der Schule nicht sinnvoll genutzt werden können, weil uns kein adäquater Arbeitsplatz zur Verfügung steht,
- dass Schülerinnen und Schüler ab der Mittelstufe immer weniger zeitliche Ressourcen haben, um ein Instrument zu erlernen oder in einem Ensemble zu spielen.“ (…) „Ich meine damit, dass wir Anerkennung für unsere Arbeit brauchen, Anerkennung, die viele Formen haben kann. Ich spreche zum Beispiel davon,
- dass es an den Gymnasien auch für Musiklehrer eine angemessene Zahl von beförderungsrelevanten Funktionsstellen geben muss,
- dass Musik in allen Jahrgangsstufen Vorrückungsfach werden muss,
- dass die Betreuung der Musiksammlung durch die Gewährung von Anrechnungsstunden honoriert werden muss,
- dass sinnvolle Zeitfenster für die Ensembles in die Stundenpläne integriert werden müssen.
Sieht man sich die jüngst veröffentlichten Leitlinien zur Vermeidung von Unterrichtsausfall an, so gehen die Pläne unseres Kultusministeriums in eine vollkommen andere Richtung: da wird zum Beispiel gefordert, Fahrten nach Möglichkeit an den Wochenenden oder in den Ferien durchzuführen und die Lehrkräfte zu zusätzliche Präsenzzeiten in den Schulen zu verpflichten. Dabei ist das Ziel, den Unterrichtsausfall so gering wie möglich zu halten, ja nachvollziehbar.
Gefordert wird also ein Lehrer, der wochentags seinen Unterricht hält, in seinen Freistunden für Vertretungen zur Verfügung steht, bis tief in die Nacht seinen Unterricht vor- und nachbereitet und zur Erholung am Wochenende und in den Ferien rund um die Uhr die Schüler betreut. Dass viele Kolleginnen und Kollegen sich wie eine ausgequetschte Zitrone vorkommen, ist da nur allzu verständlich. Denn guter Unterricht, guter Musikunterricht benötigt adäquate Rahmenbedingungen. Und dazu gehört unbedingt ausreichend Zeit für die Vor- und Nachbereitung!
Was wir benötigen, ist nicht die Überlastung der Lehrkräfte bis zum Zusammenbruch, sondern eine ausreichende Personalversorgung. Zum Beispiel brauchen wir endlich auch an den weiterführenden Schulen eine Lehrer-Reserve, die für die individuelle Förderung begabter oder problematischer Schüler zur Verfügung steht und bei Abwesenheit von Lehrkräften die Vertretung des Unterrichts sicherstellt! So etwas kostet freilich Geld, aber dieses Geld muss uns die Bildung unserer Kinder und Jugendlichen unbedingt wert sein! Nur so lässt sich langfristig sicherstellen, dass unsere Kinder und Jugendlichen die bestmögliche Förderung erfahren.
Weil wir Musiklehrer wissen, wie viele Kompetenzen unsere Arbeit bei unseren Schülern fördert, deshalb sind wir heute hier. Wir wollen uns miteinander austauschen, diskutieren und selbstverständlich auch musizieren, um unsere Unterrichtspraxis zu optimieren. Denn nur in den Schulen erreichen wir alle gesellschaftlichen Schichten ohne Ansehen des sozialen Hintergrunds. Die viel zitierten Migrantenkinder nehmen ausnahmslos am Unterricht der allgemeinbildenden Schulen teil. Ihr Interesse für Musik, für unsere Kultur, auf dem später Musikschulen, Chöre, Orchester und Musikvereine, kurz alle musikalischen Institutionen aufbauen, kann nirgendwo so gut geweckt und wach gehalten werden wie in der Schule.
Wir benötigen aus diesem Grund durchgehenden Musikunterricht in allen Schularten, auch und gerade an der Mittelschule!“
Die anwesenden Musiklehrer unterstützten diese Gedanken und Forderungen durch langanhaltenden Applaus. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung durch die Salsaband der Hochschule für Musik und Theater München unter der Leitung von Prof. Tilman Jäger.
Inhaltlich eingeleitet wurde der Kongress mit einer Podiumsdiskussion, in der grundsätzliche Gedanken zur Frage, was sich unterschiedliche Interessenskreise unter einem „guten“ Musikunterricht vorstellen, angerissen wurden. Teilnehmer der Diskussionsrunde waren mit MR Michael Weidenhiller ein Vertreter des Kultusministeriums, Prof. Dr. Bernhard Hofmann vertrat die Musikdidaktiker der Hochschulen, Ursel Lindner war die Vertreterin der Seminarlehrer, den Blickwinkel der Musikstudenten präsentierte Regina Roithner und Ann-Kathrin Schiffmann beschäftigte sich mit diesem Thema aus Schülersicht. Moderiert wurde die Veranstaltung von Andreas Kolb, Chefredakteur der neuen musikzeitung, die am Eröffnungsabend der „Tage der bayerischen Schulmusik“ eine „taktlos“-Sendung zum Wert des Musikunterrichtes produzierte, an der auch Evelyn Beißel, stellvertretende Vorsitzende des VBS, MR Michael Weidenhiller und der Coach und Management-Trainer Wolfgang Schneider beteiligt waren. Die Sendung kann unter der Internetadresse http://www.nmz.de/aggregator/sources/13 angehört werden.
Neben der fachlichen Weiterbildung spielen bei solchen Fortbildungskongressen wie den „Tagen der bayerischen Schulmusik“ natürlich immer auch die Information über schon vorhandene oder erst kürzlich neu erschienene Fachliteratur, das Notenangebot der Musikverlage und Angebote zum Instrumentenerwerb eine wichtige Rolle. Auch hier war es gelungen, in mehreren Räumen der Musikhochschule einen informativen Überblick über das aktuelle Angebot der Schulbuchverlage zu präsentieren. Ansichtsmaterial von Notenausgaben bot die Möglichkeit, sich umfassend über interessante Neuerscheinungen zu informieren und schon Vorüberlegungen für kommende Konzertplanungen zu machen.
Dass neben den intensiven Fortbildungsveranstaltungen auch der Spaß und die Freude nicht zu kurz kommen dürfen, war auch den Veranstaltern natürlich klar. Daher gab es an den beiden ersten Veranstaltungstagen zum Schluss immer ein vergnügliches „Schmankerl“. So leitete am ersten Veranstaltungsabend Michael Well, bekannt von der vor Kurzem aufgelösten Kultgruppe „Biermösl Blosn“, einen Volkstanzkurs, bei dem über 100 Teilnehmer sowohl bayerische wie auch internationale Volkstänze kennenlernten. Und am zweiten Veranstaltungsabend verriet der Kabarettist und Komponist Felix Janosa Geheimnisse aus der Hitfabrik, indem er Ausschnitte aus seinem neuen Kabarettprogramm vorstellte.
Nach zweieinhalb Tagen gingen sie dann zu Ende, die „Tage der bayerischen Schulmusik 2012“. Vollgefüllt mit neuen Eindrücken traten die Teilnehmer die Heimreise an, wobei immer wieder das Fazit gezogen wurde, dass diese Veranstaltungsreihe sowohl inhaltlich wie organisatorisch den Wünschen der Musiklehrer voll gerecht geworden ist und möglichst bald weitere derartige Veranstaltungen konzipiert werden sollten.