Musik, Kunst und Sport sollen in den Ganztagsangeboten einen festen Platz erhalten. Mit dieser Zielsetzung hatten die bayerischen Dachverbände Musik-Kunst-Sport am 7. März 2018 zum dritten Fachtag „Bildung stärken – Musik, Kunst, Sport im Ganztag“ nach München eingeladen. Über 150 Teilnehmende aus den Bereichen Schule, Verbände und Politik diskutierten am „Runden Tisch“ verschiedene Aspekte, damit Ganztag mit mehr Musik, Kunst und Sport gelingt. Dabei wurden auch Widersprüche und offene Fragen deutlich.
Für die Gesellschaft seien Kunst und Kulturelle Bildung lediglich ein „luxuriöses Glasperlenspiel“. Mit dieser These eröffnete Prof. Dr. Eckart Liebau, Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturelle Bildung und Vorsitzender des Rates für Kulturelle Bildung, seinen Impulsvortrag. Liebau schilderte die kontrovers geführte Debatte über den Wert von Kunst, Musik und Sport in der Bildung und kam zu dem Schluss, dass die Künste die eigentliche Grundlage für jeglichen Erkenntnisgewinn bildeten: „Die Künste bieten mit ihren Klangwelten, Bewegungswelten, Bildwelten, Sprachwelten etc. das reichste und anspruchsvollste Repertoire für die Wahrnehmung, das es gibt. Zugleich sind sie immer für Überraschungen gut. Die hier zu erwerbenden Fähigkeiten und Fertigkeiten sind daher die Grundlage von allem anderen (…) auch aller kognitiven Leistungen und Operationen. Man kann nicht denken, wenn man nicht wahrnehmen und gestalten kann. Man kann nicht gut leben, wenn man seine Sinne nicht differenziert gebrauchen kann. Differenziert zu hören lernt man durch das Hören und Spielen von Musik, differenziert zu sehen lernt man durch das Sehen und Machen von Bildern, sich differenziert zu bewegen durch Tanzen und Beobachtung von Tanz, durch Parcours und sportliche Spiele. Im Theater und im Film erfahren wir, wie die Welt sein und was sie bedeuten kann. Und die Literatur bringt uns ins Gespräch mit den historischen und aktuellen Kulturen der Welt und mit uns selbst.“
Bereits bei der Eröffnung der Tagung hatte der Präsident des Bayerischen Musikrats, Dr. Thomas Goppel, den gemeinsamen Vorstoß der Verbände, des Bayerischen Musikrats, des Bayerischen Landessportverbandes, des Berufsverbandes Bildender Künstler und des Landesverbandes der Jugendkunstschulen und Kulturpädagogischen Einrichtungen damit begründet, dass man in den letzten Jahren den Anteil an affektiven Lernzielen im Unterricht zugunsten der MINT-Fächer zurückgefahren habe. Das deutlich höhere Stundenvolumen der Ganztagsschule müsse genützt werden, um affektive Zielsetzungen aufzuwerten. Michael Rißmann, Leiter des Referats „Ganztagsschule, Mittagsbetreuung“ im Bayerischen Bildungsministerium, gab einen ausführlichen Blick auf Zielsetzung und Ausweitung des Ganztagsschul-Angebots in Bayern. Er unterstrich die Bedeutung der „Kulturellen Bildung“ im Zusatzangebot und die Rolle externer Kräfte, die im Zusammenspiel mit dem Stammpersonal der Schulen die Ganztagsangebote gestalten.
Expertenaustausch
Am Vormittag hatten Expert*innen und Ratsuchende aus den Bereichen Schule, Verwaltung und externe Anbieter von Kunst, Musik und Sport an insgesamt sieben „Runden Tischen“ übergreifende und fachbezogene Themen erörtert und diskutiert. Ihre Arbeitsergebnisse wurden im letzten Teil der Tagung vorgestellt.
Modellprojekte für kulturelle Schulentwicklung
Andrea Engl vom Kulturreferat München erläuterte das bundesweit etablierte Programm zur Verbesserung der Kooperation zwischen Schulen und externen Partnern im Bereich kultureller Bildung. Einmütig verlief der Austausch darüber, dass kulturelle Bildung dem System Schule durch viele erzielte Effekte positiv zur Seite stehe, dazu zählten u.a. die Bereiche Inklusion, Integration und Partizipation durch selbstbestimmtes Handeln. Einig waren sich alle Tisch-Teilnehmenden auch darin, dass kulturelle Bildung im Ganztag einen großen Mehrwert für alle Beteiligte darstelle. Diese positiven Ergebnisse würden aber nur erzielt, wenn alle Bereiche gut aufgestellt seien.
Gute Argumente für mehr Kunst, Musik und Sport
… hatte am Vormittag bereits Prof. Dr. Liebau in seiner Ansprache formuliert. Henry Steinhäuser vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) fasste die wichtigsten Argumente nochmals zusammen und stellte heraus, dass diese Effekte nur erzielt werden könnten, wenn Qualität im Mittelpunkt stehe. Ein weiterer wichtiger Baustein in der Überzeugungsarbeit gelte den Eltern und weiteren „Verbündeten“ auf Schulebene.
Rahmenbedingungen für externe Anbieter
Die Teilnehmer arbeiteten unter Leitung von Sebastian Bauer von der BSJ-Agentur Sport im Ganztag und von Steffen Heußner aus dem Kultusministerium. Als positive Entwicklung werteten sie, dass das Kultusministerium alle Problemfelder kenne und signalisiere, dass die Finanzierung der Angebote nicht ausschließlich über den „Ganztag“ gelingen könne und auch nicht müsse. Schnell kristallisierte sich heraus, dass es noch eine Vielzahl an Spannungsfeldern gebe, die es zu regeln und zu moderieren gelte. Dabei fielen Stichworte wie Raumvergabe und Ausstattung, Kontinuität und Befristung der Projekte, Verbindlichkeit und Flexibilität, Qualität versus Quantität. Das begrenzte Budget erfordere jedoch einen Balanceakt, der sich durch Fragen zur Verrechenbarkeit – Bemessung des Leistungsendgeltes (Arbeitsendgelt - abhängig von Qualifikation, Umfang, Dauer der Beschäftigung) sowie durch Fragen um langfristige Qualitätsentwicklung und Verwaltung mit älter und damit teurer werdenden Mitarbeitern noch verschärfe.
Die Rolle der Kommunen im Ganztag
Hierzu stellte Dr. Christian Büttner vom Bürgermeisterbüro Schule/Sport Nürnberg fest, dass es in München und Nürnberg erfolgreiche Modelle gebe. Im Zuge der Übertragbarkeit auf andere Städte und Räume gelte es, gleich mehrere Herausforderungen im individuellen Zuschnitt zu meistern, zumal es gleichwertige Lebensverhältnisse in Bayern nicht gebe. Die Kommune spiele hier als Netzwerkpartner, Moderator und Anlaufstelle zur Bewältigung von Finanzierungsmodellen, Antragstellungsverfahren und Rechtsberatungsbedarf eine entscheidende Rolle. Im Vorfeld müssten Qualitätssicherungsmaßnahmen ergriffen werden, um Standards einfordern zu können.
Die notwendige Kontinuität von Ganztagsangeboten erfordere entsprechende Räumlichkeiten. Einen Spagat stelle die Finanzierung von qualifiziertem Personal dar. Erschwerend hinzu komme die unterschiedliche Finanzkraft der einzelnen Kommunen. Bildungsregionen könnten hier unter Umständen Abhilfe schaffen.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Unter drei Aspekten fasste Daniela Biebl von der Landesvereinigung Kulturelle Bildung die Ergebnisse zusammen: Zum einen gehe es um den Handlungsspielraum zwischen der Lehrkraft und der externen Fachkraft. Beide Seiten sollten unbedingt offen sein gegenüber neuen Strukturen und Themen, eines eventuellen Konkurrenzempfindens solle man sich bewusst sein und es in ein Teamgefühl umwandeln, die eigene Grundhaltung hinterfragen, reflektieren und entsprechend ausrichten.
Der zweite Aspekt betreffe die Schulleitung inklusive des Kollegiums. Grundsätzlich seien eine Begrifflichkeit zur Differenzierung in externe und interne Fachkräfte zu definieren, sie in den Gesamtablauf der Schule zu integrieren und Begegnungsräume aller Fachkräfte zu schaffen, um über die Kommunikation eine beidseitig ausgewogene Grundhaltung zu erzielen. Schließlich ist die Politik gefordert. Indem sie den finanziellen Rahmen schafft, damit der Ganztag räumlich und personell qualitätvoll ausgestattet und bedarfsgerecht auch die Bedürfnisse der Eltern individuell und flexibel berücksichtigt, trägt sie maßgeblich zum Gelingen bei.
Ganztagsgestaltung mit eigenem Personal
Dr. Dieter Rossmeissl vom Kulturausschuss Deutscher Städtetag fasste zusammen, dass die kulturelle Bildung trotz PISA in der Schule angekommen sei, die Kommunen zwischenzeitlich mit finanziellen Mittel dazu beitrügen, dass Angebote im Bereich kultureller Bildung möglich würden, ohne den Geldbeutel der Eltern zusätzlich zu belasten und Lehrerstunden für den Ganztag prinzipiell zur Verfügung stünden, auch wenn es dabei kein Sonderkontingent für kulturelle Bildung gebe.
Klärungsbedarf sahen die Teilnehmer in der Frage, wie sich Ganztagsbetreuung und Ganztagsbildung zueinander verhalten und forderten, ein verbindliches Grundkonzept vorzugeben, das sich nicht nur am Betreuungsanspruch der Eltern, sondern auch am Bildungsanspruch der Kinder orientiere. Wo Selbständigkeiten wie die des Lehrers und des Künstlers zusammenwirken, gelte es, diese zu wahren und gegenseitig zu respektieren, indem man klar anerkennt, dass die pädagogische Verantwortung beim Lehrer, die künstlerische beim Künstler liege. Weiteren Handlungsbedarf beschrieben die Teilnehmer mit Blick auf die Vorbereitung der Lehrkräfte auf den Ganztag.
Im Bereich der Lehrerfortbildung gäbe es gute Ansätze, im Bereich der Lehrerausbildung hingegen fehle es grundsätzlich an Angeboten, zukünftige Pädagogen auf ihre Arbeit zum Unterricht im Ganztag mit multiprofessionellen Teams vorzubereiten.
Christiane Franke, Bayerischer Musikrat