Einstimmig bei drei Enthaltungen: der Beschluss, den die Mitgliederversammlung des VBS am 14. März 2014 fasste, hätte eindeutiger kaum ausfallen können. Der VBS wird seine Selbstständigkeit bewahren, sich einer Fusion mit den benachbarten Verbänden VDS und AfS enthalten und kollegiale Kooperationen suchen, pflegen und ausbauen – wie bisher. Mit ihrem Votum setzte die diesjährige Versammlung den klaren Kurs des VBS fort. Mit ähnlichem Tenor hatten auch die Mitgliederversammlungen in den Jahren 2012 und 2013 entschieden.
Der VBS-Vorstand erhielt damit ausdrückliche Billigung seiner bisherigen Arbeit in der Fusionsfrage, aber auch das Mandat, die Linie der Autonomie und Kollegialität fortzusetzen. Dieser Auftrag impliziert es, Entwicklungen in den Nachbarverbänden zu beobachten. Denn nur so lassen sich Anknüpfungspunkte, gemeinsame Arbeitsfelder und strategische Vorhaben ausmachen.
Sachstand
Die Vorbereitungen zur Errichtung eines neuen „Bundesverbands Musikunterricht“ sind fortgeschritten. Ende Juni soll ein Satzungsentwurf vorliegen, auf dessen Basis der neue Verein am 20. September in Leipzig voraussichtlich gegründet werden wird. Im Laufe des Jahres 2015 sollen VDS-Vereine in Bund und Ländern sowie AfS mit dem neuen Verband verschmelzen und sich anschließend auflösen. Der AfS-Bundesvorsitzende informierte im AfS-Magazin1. Zur Information und als „Argumentationshilfe“2 bei Mitgliederversammlungen stellen AfS und VDS einen Katalog von Fragen und Antworten auf ihren Internetseiten bereit:3
„Der Arbeitskreis für Schulmusik e.V. mit seinen bundesweit rund 2700 Mitgliedern und der Verband Deutscher Schulmusiker e.V., in dem bundesweit rund 4.500 Mitglieder in 16 Landesverbänden organisiert sind, werden künftig gemeinsame Wege gehen und sich zu einem neuen gemeinsamen Verband zusammenschließen.“4
Diese Darstellung geht mit den Fakten recht großzügig um, sodass einige Punkte geradezurücken sind. Die Rede ist von „16 Landesverbänden“, die im VDS organisiert seien. Das könnte den Eindruck erwecken, als existiere ein VDS-Landesverband Bayern. Richtig ist jedoch, dass es keinen VDS-Landesverband Bayern gibt. Der VBS (gegr. 1903) ist ein eigenständiger Verein. Seine Mitglieder gehören dem VDS (gegr. 1949) nicht an. Ebenso wenig ist der VBS als juristische Person Mitglied im VDS. Unberührt davon kooperiert der VBS eng mit dem VDS, aber auch mit dem AfS und anderen Verbänden.
Die Fusion ist keineswegs in allen VDS-Landesverbänden bereits beschlossene Sache. Entsprechende Entscheidungen maßgeblicher Mitgliederversammlungen stehen noch aus. Bei mehreren Beteiligten wurden und werden Bedenken laut. Auf klare Ablehnung stößt das Vorhaben beispielsweise beim VDS-Niedersachsen.5
Erwartungen und Ziele
Wie stellen sich die Pläne zu Gründung, Fusion und Auflösung aus VBS- Sicht dar?
„Hauptziel der Verbändefusion ist, (…) einen schlagkräftigen, professionell aufgestellten und mitgliederstarken Verband etablieren zu können (…) Wir erwarten also, dass wir mit vereinten Kräften unsere Anliegen und Ziele (…) viel besser erreichen können als in zwei getrennt voneinander arbeitenden Verbänden.“6
Der Informationstext von VDS und AfS argumentiert quantitativ, und das mit einiger Berechtigung: Dass mit der Mitgliederzahl eines Interessenverbandes dessen Gewicht im politischen Raum zunimmt, liegt auf der Hand. Doch das heißt keineswegs, dass nicht auch mehrere, kleinere Verbände ebenso erfolgreich agieren können wie ein einziger großer Verband, zumal dann, wenn sie sich inhaltlich und strategisch abstimmen. So koordinierten VBS und AfS-Bayern ihr Vorgehen bei der Reform der bay-erischen Lehramtsprüfungsordnung; mehrere Schreiben aus unterschiedlichen Richtungen brachten den gewünschten Erfolg. Um den sprachlichen Duktus des Internettextes aufzugreifen: Siege lassen sich auch dann erringen, wenn man nach der Strategie „getrennt marschieren, gemeinsam schlagen“ kämpft.
Ob und inwieweit der künftige Bundesverband an einer Zusammenarbeit mit dem VBS interessiert ist, konnte im Gespräch mit dem derzeitigen VDS-Vorstand nicht geklärt werden. Ein sehr erfreulicher Austausch hat sich mit den Kollegen im VDS-Niedersachsen entwickelt, und das eröffnet positive Perspektiven für künftige Ko-operationen.
Vereine zu vereinen, wird gewiss gelingen. Doch ebenso gewiss wird es auch künftig nicht nur einen Verband geben, sondern mindestens zwei, wahrscheinlich drei und womöglich noch mehr separate Verbände. Ein gemeinsamer Weg, der für alle Beteilig-ten gangbar gewesen wäre, ließ sich nicht finden. Der VBS-Vorstand hat, soweit das möglich war, alle Optionen eingehend geprüft. Im Ergebnis zeigte sich, dass Fusion und Auflösung für den VBS und seine Mitglieder mit gravierenden Konsequenzen verbunden wären, insbesondere im Hinblick auf Struktur, Programmatik und Finanzen.
Struktur
„Der neue Verband wird eine Bundes- und eine Länderstruktur haben. Vorgesehen sind – entsprechend der föderalen Struktur der Bundesrepublik – 16 eigenständige Landesverbände (1 pro Bundesland) sowie ein übergeordneter Bundesverband. Beide Ebenen werden durch von den Mitgliedern zu wählenden Vorständen demokratisch legitimiert, über die Einrichtung von Bund-Länder-Gremien miteinander verzahnt und satzungsbestimmt aneinander gebunden sein. Ein selbstständiges und voneinander unabhängiges Arbeiten ist auf beiden Ebenen ermöglicht.“7
Worin bestehen die Neuerungen? Bislang geht die VDS-Struktur von den Ländern aus: Das folgt der Einsicht, dass die Bildungs-, Kultur- und Schulpolitik in Deutschland vorrangig in die Kompetenz der Länder fällt – und sich daraus immer wieder ganz länderspezifische Probleme und Aufgaben ergeben. Der VDS setzt sich mehrheitlich zusammen aus eigenständigen Landesvereinen, die VDS-Bundesebene stellt sich dar als Arbeitsgemeinschaft der Länder. Dieses Prinzip macht es möglich, ein Kollegium souveräner Vereine zusammenzuführen, welche sich auf Bundesebene programmatisch und strategisch abstimmen, ihre Inhalte und Lösungen auf Länderebene jedoch eigenständig entwickeln und landesspezifisch umsetzen.
Der VDS ist also föderalistisch organisiert. Die Kompetenzen der Ländervereine leiten sich mehrheitlich nicht vom Bund her, Quelle der Legitimation ist vielmehr jeweils die Mitgliederversammlung in einem Bundesland beziehungsweise die Arbeitsgemeinschaft der Ländervertreter, die den Bundesvorstand einsetzt. Der neue Bundesverband, der Name sagt es, rückt den Bund in den Mittelpunkt. Es wird sich also um eine zentralistische Organisation handeln. Das maßgebliche Entscheidungsgremium ist eine Bundesmitgliederversammlung, die ein Bundespräsidium wählt. Landesverbände beziehungsweise -mitgliederversammlungen sind zwar vorgesehen; fraglich ist aber, ob es sich, wie behauptet, um „eigenständige Landesverbände“8 im Sinne autonomer Vereine handelt oder vielmehr um Untergliederungen ein und desselben Bundesvereins, analog zu dem, was bisher im AfS der Fall ist. Da die neue Satzung noch nicht vorliegt, lässt sich das noch nicht beurteilen; doch genügt vorerst die Erklärung, dass die Bundesebene den Ländern „übergeordnet“9 sei. Die Entscheidungskompetenz in allen wesentlichen Fragen verlagert sich damit von den Ländern auf die Bundesebene.
Unabhängigkeit und Eigenständigkeit?
Dass bei dieser Struktur ein „selbstständiges und voneinander unabhängiges Arbeiten auf beiden Ebenen ermöglicht“10 werden wird, erscheint wenig plausibel. Im neuen Verband „darf es“, wie Michael Pabst-Krueger betont, „keine Trennung, kein unkoordiniertes Nebeneinander oder gar ein Gegeneinander von Bundes- und Länderebene geben.“11 Das mag ein verständlicher Wunsch sein, insbesondere aus Sicht eines Vorsitzenden. Doch „Unabhängigkeit“ und „Selbstständigkeit“– darüber dürfte Konsens bestehen – kommen zum Ausdruck in individueller Willensbildung, in eigenen Meinungen und Überzeugungen, in souveränen Haltungen und Handlungen. Das impliziert notwendigerweise Raum für Pluralität, Differenz und Kontroverse. Mit Blick auf die Vereinsarbeit heißt das: „Unabhängigkeit“ und „Selbstständigkeit“ erweisen sich gerade darin, dass zum Beispiel in einem Land Entscheidungen getroffen werden, die von Entscheidungen in Nachbarländern oder im Bund abweichen, so wie das in der Schulpolitik fortwährend der Fall ist. Wenn das, wie erklärt, unterbunden werden soll, so stellt sich die Frage, welche Auffassung von „Unabhängigkeit“ und „Selbstständigkeit“ hier als Maßstab dient. Sollen die Länder „selbstständig und voneinander unabhängig“ agieren nur soweit und solange, als sie das tun, was der Bund vorschreibt? Die Landesverbände sollten sehr genau abwägen, ob die Preisgabe von Autonomie für sie sinnvoll ist. Das gilt insbesondere mit Blick auf die wichtige Aufgabe bildungspolitischer Einflussnahme im jeweiligen Bundesland.
Gremienarbeit
Man könnte einwenden: Der neue Bundesverband sieht doch paritätisch besetzte Bund-Länder-Gremien vor! Die sorgen dafür, dass die Entscheidungskompetenzen zwischen Bund und Ländern gleich verteilt und gerecht austariert sind! Dieser Eindruck mag auf den ersten Blick entstehen. Bei näherer Betrachtung ergibt sich jedoch ein anderes Bild, wie ein Beispiel zeigt.
Zur Verzahnung der Bundes- und Landesebenen soll eine sogenannte „Bund-Länder-Versammlung“ installiert werden. Diese Einrichtung wird paritätisch besetzt, also mit gleich vielen Vertretern aus Bund und Ländern. Die Länder schicken pro Land einen Vertreter, insgesamt also 16 Personen, der Bund entsendet das Präsidium, bestehend aus 6 bis 12 Personen. Auf der Bundesseite fehlen zur Parität also noch einige Vertreter, deshalb bringt der Bundesvorstand in das Gremium noch 4 bis 10 weitere Personen mit, die von keiner Mitgliederversammlung legitimiert, sondern vom Bundespräsidium bestellt werden.
Wenn die dann 32-köpfige Bund-Länder-Versammlung einen Beschluss fassen möchte, bedarf es doppelter Mehrheiten. Beschlossen ist nur das, was sowohl bei den Länder- als auch bei den Bundesköpfen je eine Mehrheit gefunden hat. Solch eine Konstruktion ist grundsätzlich störungsanfällig, weil sich Beschlüsse leicht blockieren lassen.
Dieses Manko kann sich aber nur bei jenen beiden Punkten negativ auswirken, bei denen die Bund-Länder-Versammlung überhaupt maßgebliche Entscheidungen treffen kann (Festlegen von Kriterien für Zuweisungen aus einem sogenannten Sonderbedarfskonto; Festlegen der Beitragsanteile, die an die Länder gehen). In allen anderen Punkten ist das Schadenrisiko gering, weil die Beschlüsse des Gremiums ohnehin nur empfehlenden Charakter haben: Sie sind für das Bundespräsidium nicht bindend. Der Bund ist damit klar im Vorteil: Er kann in der Bund-Länder-Versammlung durch sein Votum alle Beschlüsse verhindern, und wenn er sie nicht verhindern will, kann er sie ignorieren. Bei dieser „Bund-Länder-Verzahnung“ sind die Länder zahnlos. Von Parität – im Sinne von gleichen Rechten – kann hier auch nicht entfernt die Rede sein.
Insbesondere für mitgliederstarke Länder halten die Regularien der Bund-Länder-Versammlung weitere Restriktionen bereit. Bei Fragen zu Finanzen ist ein Mitgliederproporz vorgesehen. Pro angefangene 400 Mitglieder im Lande bekommt die Landesdelegierte eine Stimme, höchstens aber 4 Stimmen, will heißen: Die Delegierte einer Landesgruppe mit 70 Mitgliedern hat dasselbe Stimmgewicht wie jene, die 350 Mitglieder vertritt. Dieser bemerkenswerte Proporz ist bei inhaltlichen Fragen freilich aufgehoben. Da zählt jede Delegiertenstimme gleich viel, unabhängig von der Zahl der Mitglieder im betreffenden Land. Bei sechzehn Ländern reichen neun Stimmen für eine Ländermehrheit, folglich könnten neun „kleine“ Länder sieben „große“ Länder überstimmen. Im Falle des Beitritts von VBS und VDS-Niedersachsen wären neun Länder mit 1.963 Mitgliedern imstande, sieben Länder mit 5.556 Mitgliedern in der Bund-Länder-Versammlung zu majorisieren.12
Doppelte Souveränität als Lösung
Mit der Vereinsarbeit auf Bundes- und auf Landesebene stellt sich, auch darüber dürfte Konsens bestehen, eine Doppelaufgabe. Diese Aufgabe kann nur dann hinreichend bewältigt werden, wenn auf Bundes- und Landesebene eigenständiges, inhaltlich und finanziell autonomes Arbeiten gewährleistet ist: Diese Doppelaufgabe braucht doppelte Souveränität. Sie lässt sich im Rahmen jener „Landeslösung“ realisieren, für die sich 2011 fast alle VDS-Landesverbände, der VDS-Bundesvorstand und der VBS ausgesprochen hatten. Einen Grundriss dazu legte der VBS vor: Nicht Hierarchie, sondern Heterarchie charakterisiert diese Form, die weitere Vorteile bietet.
Sie baut auf eigenständige Vereine, eröffnet aber auch jenen Verbänden, die das wünschen, die Fusionsoption. Sie respektiert Traditionen und Identitäten und begünstigt damit kollegiale Kooperation ohne Nebengeräusche und Reibungsverluste. Dieses Modell lässt sich schrittweise realisieren und erfordert vergleichsweise geringen juristischen Aufwand. Und das hätte nicht zuletzt den Charme (gehabt), erhebliche Kosten, etwa für Anwälte oder Moderation, zu sparen.
Wer sich der „Bundeslösung“ anschließt, die VDS und AfS derzeit anstreben, muss sich dessen bewusst sein, dass damit künftig wesentliche Belange des eigenen Bundeslands vor allem auf Bundesebene verhandelt und letztlich vom Bundespräsidium entschieden werden.
Unberührt davon, ob der künftige Bundesverband das Gelübde höherer Professionalität und größerer Schlagkraft einlösen kann, stellt sich die Frage, ob dieses Versprechen den Nachteil eines enormen Verlusts an Autonomie auf Länderebene aufwiegen kann. Über einen Beitritt zum Bundesverband Musikunterricht entscheiden nicht Vorstände, sondern Mitglieder. Letztlich sind sie es, die die Fragen zu beantworten und die Folgen zu verantworten haben.
Anmerkungen
1 Michael Pabst-Krueger: Gründung des Bundesverbandes Musikunterricht auf der Zielgeraden. In: AfS-Magazin 37/2014, S. 30 ff.
2 Sitzungsprotokoll der „Gremien AfS-BuVo und VDS-BVL“, 29./30.3.2014, S.2
3 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/ Zugriff: 26.5.2014
4 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/ Zugriff: 26.5.2014
5 Vgl. hierzu VDS-Kollegenbrief OSKKa Nr. 8, 11/2013, S. 2
6 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/ Hervorhebung in der Quelle.
7 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/
8 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/
9 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/
10 siehe http://www.vds-musik.de/infos-verbaendefusion/
11 Pabst-Krueger a.a.o., S. 31
12 Quelle für die Mitgliederzahlen: Statistik des VDS