Am Samstag, 23. Februar 2019, fand in Freising die Jahrestagung des Arbeitskreises Musischer Gymnasien in Bayern statt. Gastgeber war in diesem Jahr das Camerloher-Gymnasium mit Schulleiterin OStDin Andrea Bliese. Der Arbeitskreis Musischer Gymnasien in Bayern existiert seit 1974 und ist ein in der bayerischen und deutschen Schullandschaft herausragendes Gremium. Hier finden Eltern, Musik- und Instrumentallehrkräfte, Kunst-, Theater- und Filmlehrkräfte sowie Schulleitungen musischer Gymnasien Bayerns ein Forum für vertrauensvollen Erfahrungsaustausch.
Durch die Möglichkeit, Beschlüsse zu fassen und Anträge zu verabschieden, hat der Arbeitskreis auch praktische Gestaltungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt bedingt durch die Mitwirkung der Elternschaft sind die Positionen des Arbeitskreises von Interesse für den bildungspolitischen Diskurs in Bayern und finden durchaus Gehör bei den politischen Entscheidungsträgern. Alle Mitglieder des Gremiums sehen die musischen Gymnasien als wichtigen und unverzichtbaren Bestandteil der bayerischen Schullandschaft. Daher setzt sich der Arbeitskreis Musischer Gymnasien in Bayern dafür ein, die Optimierung dieser Ausbildungsrichtung kompetent voranzutreiben. Das Zusammenführen der unterschiedlichen Vertretergruppen ermöglicht es, deren Kompetenzen zu bündeln.
Die Tagung stand in diesem Jahr unter dem Motto „Digitalisierung neu begreifen – Digitalisierung musisch begreifen: Selbst gestalten statt konsumieren“. Der Zeitpunkt hätte nicht passender gewählt sein können: Nur drei Tage zuvor hatte der Bundestag nach einer Einigung von Bund und Ländern eine Grundgesetzänderung verabschiedet und den Weg für den Digitalpakt, offiziell DigitalPakt Schule, freigemacht. Mittlerweile hat am 15. März 2019 nun auch der Bundesrat der Änderung des Grundgesetzartikels Art. 104c zugestimmt, womit der Digitalpakt endgültig beschlossen ist. Fünf Milliarden Euro des Bundes können in die Digitalisierung von rund 40.000 Schulen fließen. Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern dürfen auf zeitgemäße technische Ausstattung, besseres Internet und digitale Lehr- und Lernmethoden hoffen.
Auch die musischen Gymnasien hegen hier Hoffnungen, tragen sich aber gleichzeitig mit Bedenken, dass das Musische angesichts anderer Ausbildungsrichtungen, denen grosso modo eine größere Affinität zu Digitalthemen nachgesagt oder zugetraut wird, ins Hintertreffen geraten könnte. Digitalisierung in der Schule ist nicht damit getan, dass jeder ein Tablet in der Hand hält. Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen der musischen Gymnasien sehen vielmehr das Musische als Ressource in der digitalen Bildung, gerade auch in der neuen Oberstufe, und sind überzeugt, dass das Musische im Kontext der Digitalisierung noch ungeahnte Möglichkeiten birgt und unterschätzt wird.
Schon im Vorfeld zeichnete sich angesichts der brennenden Thematik ein reges Interesse an der Tagung ab. Als Vertreter aus der Politik nahmen für das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus Ministerialrat Stephan Zahlhaas sowie OStR Simon Schwab teil. Ersterer ist zuständig für musische Gymnasien sowie Lehrpläne und Oberstufe, letzterer Mitglied der Projektgruppe „Weiterentwicklung des Gymnasiums“. In seinem Impulsreferat unterstrich MR Zahlhaas die „Bedeutung der Bildung in einer digitalisierten Welt“. Der neue Lehrplan setze Schwerpunkte in diesem Bereich.
Zum gegenwärtigen Stand der Digitalisierung an den musischen Gymnasien wurde in den Arbeitsgruppen festgestellt, dass eine große Heterogenität herrscht – von Volldigitalisierung bis zum Mangel am Nötigsten. Das wird dadurch verstärkt, dass Digitalisierung oft getrieben wird von Einzelengagement und gebunden ist an einzelne Personen unter den Lehrkräften. Dies führte zur Forderung, die Digitalisierungsoffensive müsse mit höherer personeller und finanzieller Ausstattung, professionellen Systemadministratoren und Digitalexperten erfolgen. Bezüglich der technischen und personellen Ausstattung müssen Mindeststandards gelten, eine kontinuierliche Lehrerfortbildung muss in höherem Maße als bisher sichergestellt werden.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Eltern formulierten die Sorge, dass die Mittel, die im Rahmen des Digitalpakts ausgeschüttet werden, nach dem „Gießkannenprinzip“ verteilt werden und in der Breite versickern könnten. Zudem stehe zu befürchten, dass die Zuschüsse wenig nachhaltig eingesetzt werden und Folgekosten unberücksichtigt bleiben könnten. Die Eltern plädieren dafür, dass im Rahmen einer Zweigprofilierung gezielt Mittel zugewiesen werden sollten; insbesondere solle die musische Ausbildungsrichtung auch nach ihren besonderen digital-kreativen Bedürfnissen gefördert werden. Schulleiter und Lehrkräfte sehen hier Chancen für die Gestaltung der neuen Oberstufe im achtjährigen Gymnasium mit speziellen Vertiefungsmöglichkeiten für musische Gymnasien im Bereich Kunst und Musik. Das musische Profil soll in der neuen Oberstufe erkennbar bleiben. Einig war man sich zudem darin, dass der Fokus der Digitalisierung mehr auf die Inhalte gerichtet werden müsse, also auf Lehr- und Lernmaterialien, den Erwerb von Kompetenz im Umgang mit diesen Inhalten und auch auf das eigene Erzeugen und Gestalten von Inhalten im Gegensatz zum reinen Konsum.
Die Vorjahrestagung des Arbeitskreises Musischer Gymnasien in Bayern hatte sich mit Chancen, Risiken und Gestaltungsmöglichkeiten des neuen bayerischen Gymnasiums befasst. Daran anknüpfend wurde auf der Freisinger Tagung gemeinsam herausgearbeitet, dass die im musischen Gymnasium in besonderer Weise entwickelten Schlüsselkompetenzen von Schülerinnen und Schülern als besondere Chance erkannt und weiterentwickelt werden müssen – auch und vor allem im Kontext der Digitalisierung. Diese Kompetenzen umfassen insbesondere eigenständiges und fokussiertes Lernen, Kooperationsfähigkeit, integratives und inklusives Vermögen, kompetitive Fähigkeiten, Repräsentationsfähigkeit sowie geübte Frustrationstoleranz – alles Eigenschaften, die in unserem rapide sich verändernden gesamtgesellschaftlichen Umfeld, angesichts der Anforderungen der Digitalisierung sowie im Umgang mit den Herausforderungen durch die Nutzung neuer Medien Schlüsselqualifikationen von unschätzbarem Wert darstellen. Diese sollten daher in ihrer gesellschaftlichen Relevanz stärker anerkannt und in ihrer Ausbildung noch aktiver gefördert werden.
Kunst- und Musikschaffende loten schon immer Möglichkeiten und Grenzen von Medien aus und experimentieren mit ihnen. Sie sind daher wichtige Ansprechpartnerinnen und -partner bei der Entwicklung von Medien- und Digitalisierungskonzepten. Bei der Implementierung des Digitalpakts Schule darf es nicht nur um technische Fragen gehen. Berücksichtigt werden müssen auch die Gestaltung und kompetente Nutzung von Kommunikationssystemen, die vorrangig über Bilder funktionieren. Im Hinblick auf die Herausforderung einer wachsenden Bilddominanz sind vor allem auch Kunst, Theater und Film als Schlüsselfächer zu sehen, die wichtige Impulse für die fächerübergreifende Zusammenarbeit bieten.
Im Rahmen einer kontinuierlichen, nachhaltigen und professionell administrierten Digitalisierungsoffensive sollte an den musischen Gymnasien die ästhetische Medien- und Filmbildung eine zentrale Rolle spielen, und dies in einer Weise, die über das Erlernen des digitalen Handwerkszeugs deutlich hinausgeht. Die Lehrkräfte für Musik, Kunst, Film und Theater haben eine besondere Expertise im Bereich der sensitiven Wahrnehmung, der kritischen Bildkompetenz und des kreativen Gestaltens. In diesen Fächern wird auch eingeübt, disruptiv außerhalb der vorgezeichneten Bahnen zu denken, damit innovativ zu handeln, und das vermeintlich Selbstverständliche zu hinterfragen. Der Tendenz zur Verstärkung von Klischees und Typisierungen in den Echokammern der sozialen Medien muss durch Ausbildung einer digitalen Mündigkeit und Dechiffrierungskompetenz entgegengewirkt werden. Erst dadurch wird es wieder möglich, frei zu wählen, welchen Stellenwert man Medien bei der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit geben möchte.
Für eine musische Erziehung in diesem Sinne muss eine leistungsstarke technische Ausstattung gefordert werden. Digitalisierung muss dabei aber von den Bedürfnissen der Jugendlichen und Lehrkräfte her gedacht werden, schon beginnend mit der Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte, und nicht von der flächendeckenden Geräteversorgung. Die digitale Bildung sollte auch am musischen Gymnasium kontinuierlich über alle Jahrgangsstufen und innerhalb eines festverankerten Rahmens erfolgen. Dabei soll genug Freiraum für die Entwicklung einer umfassenden Medienkompetenz gegeben werden, die es den Lernenden ermöglicht, den kritischen Umgang mit aktuellen Phänomenen theoretisch wie praktisch einzuüben, ohne den Bezug zum handwerklich-sinnlichen Begreifen zu verlieren.
Oberstufenchor, Sinfonieorchester und Blechbläserensemble des Camerloher-Gymnasiums trugen wesentlich zur Gestaltung der Tagung bei. Sie machten bei allen Diskussionen um Fragen der Digitalisierung in der musischen Bildung in besonderer Weise erfahrbar, dass sinnlich-handwerkliche musische Übung einen unersetzbaren Wert darstellt und geeignet ist, eine Balance zwischen analoger und digitaler Welt herzustellen. Schülerinnen der 9. Jahrgangsstufe präsentierten ihren preisgekrönten Dokumentarfilm „Die lieben ihre Eltern trotzdem“ und demonstrierten, wie ein gelungener Umgang mit neuen künstlerischen Gestaltungsformen aussehen kann.
Das Feedback zu Tagung und Thema ist auch im Nachgang noch sehr groß und positiv. Das Thema Digitalisierung an musischen Gymnasien ist vor allem bezüglich Ausgestaltung der Inhalte noch nicht „durcherzählt“, sodass hier Anknüpfungspunkte für die nächste Jahrestagung bestehen. Diese wird im Frühjahr 2020 am Korbinian-Aigner-Gymnasium in Erding stattfinden. Mehr Informationen folgen unter www.ak-musische-gymnasien-bayern.de.