Ein Popchor auf Landesebene: Das ist das neue Projekt des bayerischen Musikrats. Ziel ist es, junge Sängerinnen und Sänger zu fördern – jenseits der klassischen Musik. Theresa Volk sprach mit Dr. Helmut Kaltenhauser, Präsident des Bayerischen Musikrats, und Philipp Weiß, Initiator und Mitglied im Leitungsteam des Bayerischen Landesjugendpopchors.
Eine Einheit, ein Team, ein Chor
Theresa Volk: Herr Kaltenhauser, wie kam die Idee, einen Landesjugendpopchor zu gründen?
Helmut Kaltenhauser: Die Idee hatten einige Popchorleiter, die auf den Bayerischen Musikrat zugekommen sind und uns schnell von der guten Idee überzeugt haben. Es gibt in Bayern bereits ganz tolle Jugendauswahlensembles auf Landesebene wie zum Beispiel das Bayerische Landesjugendorchester, das Bayerische Landesjugendjazzorchester und auch den Bayerischen Landesjugendchor, der bereits in unserer Trägerschaft ist. Aber es gibt noch keinen Jugendchor auf Landesebene, der sich der Pop- und Jazzmusik widmet. Diese Lücke wollen wir nun schließen und sind auch in der Politik auf offene Ohren gestoßen, was die Finanzierung betrifft. Die bisherige Anmeldesituation zeigt schon, dass es hier eine große Nachfrage gibt.
Volk: Warum muss es ein Popchor sein?
Kaltenhauser: Viele Menschen singen sehr gerne in Pop-, Jazz oder auch Gospelchören. Gerade für junge Menschen ist das eine attraktive Art des Chorsingens. Die ambitionierten jungen Sängerinnen und Sänger wollen wir mit einem qualitativen Angebot abholen und damit eine professionelle Anlaufstelle für die Nachwuchsförderung der Pop- und Jazzchöre in Bayern schaffen. Hier können sich Gleichgesinnte aus ganz Bayern kennenlernen, austauschen, vernetzen und neue Impulse erhalten. Mit einem breit aufgestellten Team wollen wir die Sängerinnen und Sänger so fördern und begeistern, dass sie vielleicht sogar den Schritt wagen, bei sich zuhause selbst die Leitung eines Pop- oder Jazzchors zu übernehmen oder gar einen zu gründen.
Volk: Das heißt, es geht nicht nur darum, Sänger*innen zu fördern, sondern die ganze Szene in Bayern. Weil Sie die Hoffnung haben, dass es unentdeckte Chorleitungstalente gibt?
Kaltenhauser: Für Chorleiterinnen und -leiter im Bereich Pop und Jazz gibt es in Bayern noch nicht so viele Möglichkeiten, um sich weiterzubilden. Einige unserer bayerischen Chorverbände und Musikakademien haben derartige Fortbildungsangebote, die evangelische Kirche bietet Lehrgänge zum Gospelchorleiter an, die man nebenberuflich, in der Regel an den Wochenenden, absolviert. Mit unserem Bayerischen Landesjugendpopchor wollen wir die Zahl der gut ausgebildeten Sängerinnen und Sänger im Popchor-Bereich steigern und damit den Impuls an die bayerischen Hochschulen geben, Studiengänge für Pop- und Jazzchorleitung einzuführen sowie Angebote für Musiklehramtsstudierende in diesen Bereichen auszubauen.
Volk: Jetzt ist das Wort Pop so oft gefallen – was versteht der Landesjugendpopchor darunter? Wie könnte so ein Repertoire aussehen, Herr Weiß?
Philipp Weiß: Sehr vielfältig! Von Künstler*innen wie Taylor Swift, Billie Eilish und Beyoncé über Klassiker von Michael Jackson oder aus den 70er-Jahren, aber auch Arrangements von Jazzstandards. Oder sogar Originalkompositionen von aktuellen Chor-Komponist*innen wie Rob Dietz.
Wichtig ist jedoch nicht nur die Wahl des Songs, sondern auch dessen Arrangement: Wenn es spannend und raffiniert geschrieben ist, wird ein Song, den man vorher vielleicht nicht einmal kannte, plötzlich zum neuen Lieblingssong. Besonders in der amerikanischen Community, um eben Rob Dietz und den Pentatonix-Arrangeur Ben Bram, gibt es viele versierte Arrangeur*innen, die es vermögen, ein Arrangement so zu schreiben, dass man es einfach gerne singt. Und dann wollen wir nicht nur Charts-Hits singen, sondern den Mitgliedern des Chors auch ermöglichen, ein für sie vielleicht noch unbekanntes Repertoire kennenzulernen. So vielfältig, wie die musikalischen Persönlichkeiten in unserem siebenköpfigen Leitungsteam sind, so vielfältig wird auch unser Repertoire sein.
Volk: Das Ganze soll auf möglichst professionellem Niveau stattfinden. Was macht einen guten Popchor aus?
Weiß: In einem guten Chor hören sich die Sänger*innen gegenseitig gut zu – man singt ja miteinander und nicht nur nebeneinander – und kennen sich in ihrem musikalischen Agieren. Sie haben zudem als Gruppe eine große Homogenität und vor allem Vertrauen zueinander erlangt.
Speziell im Popchor liegt der Fokus auf Timing, Rhythmik und Groove: Wichtig sind das gemeinsame Empfinden der Micro-Time, eine gemeinsame Vorstellung von der Körperlichkeit des Grooves und eine sinnvolle Phrasierung. Letztendlich geht es darum, die Rhythmik zum Sprechen zu bringen. Da gibt es wirklich viel zu entdecken, was einem zuvor als musikalisches Phänomen vielleicht gar nicht so bewusst war.
Außerdem ist da die klangliche Vielfalt: In Pop- und Jazzmusik ist die Individualität und Expressivität der Künstlerperson ein zentrales Konzept. Es gibt nicht das eine zu erreichende Klangideal, sondern Sänger*innen mit gänzlich unterschiedlichem Sound und Ausdruck. Ariana Grande zum Beispiel klingt komplett anders als Lady Gaga und setzt ihre Stimme auf andere Art und Weise ein. Das liegt, neben bestimmten physiologischen Voraussetzungen, vor allem daran, dass sie eine andere Person, eine andere Persönlichkeit ist und etwas anderes aussagen möchte. Unsere Stimme ist ein so tolles, vielfältiges Instrument, und gerade im Popchor können und wollen wir uns diese Vielfalt erschließen und sie für unseren künstlerischen Ausdruck nutzen.
Ja, und schlussendlich geht es beim Singen im Chor immer um Kommunikation und Emotion: Wir musizieren, weil wir Anderen etwas mitteilen wollen, etwas, das uns betrifft und mit uns ganz persönlich zu tun hat, etwas, das wir unbedingt äußern möchten. Die zentrale Frage lautet also:
„Warum singe ich das gerade?“ Gemeinsam erarbeiten wir deshalb, was der Inhalt des Songs für die Sänger*innen jeweils bedeutet und wie wir diese musikalisch-emotionale Bedeutung als Gruppe interpretieren wollen. Erst wenn das klar ist, treten wir mit dem Song an ein Publikum heran.
Volk: Die große Herausforderung bei einem Projektchor wie dem Landesjugendpopchor ist ja, dass da viele Fremde zusammenkommen, die dann zu einer Einheit, einem Team, einem Chor werden sollen. Wie gelingt das?
Weiß: Wir sind uns der besonderen Situation bewusst, die ja anders ist als in einem Chor, der schon lange wöchentlich probt. Und es ist uns klar, dass das Projekt Zeit braucht, um wachsen zu können. Gleichzeitig haben wir den großen Luxus intensiver Probenphasen von jeweils fünf Tagen, in denen der Fokus voll und ausschließlich auf dem gemeinsamen Singen und gegenseitigen Kennenlernen liegt. Gemeinsames Singen gelingt nämlich dann, wenn Vertrauen unter allen Beteiligten herrscht, wenn man sich sicher fühlt und sich so für die Musik öffnen kann. Für uns als Leitungsteam ist es eine zentrale Aufgabe, zu ermöglichen, dass sich dieses Vertrauen zueinander im Chor aufbauen und entfalten kann.
Volk: Jetzt mal zu den Fakten: Wer kann mitmachen und wie?
Weiß: Wir freuen uns über jede Bewerbung! Es ist egal, ob es Schüler*innen, Student*innen oder bereits im Berufsleben stehende Menschen sind. Musikalische Vorkenntnisse sollten die Bewerber*innen natürlich mitbringen und da es ein Nachwuchsförderensemble ist, gilt die Altersbeschränkung von 16 bis 27 Jahren. Voraussetzung ist zudem, dass man bei beiden Probenphasen die ganze Zeit dabei sein kann und sich auch auf die Probenphasen in Eigenarbeit vorbereitet, sprich, seine Stimme mithilfe von Übedateien erlernt.
Damit alle Interessierten wirklich vom Landesjugendpopchor erfahren, freuen wir uns, wenn alle, die dieses Interview lesen, die Nachricht an geeignete junge Sänger*innen und auch Beatboxer*innen weitergeben. Bewerbungsschluss ist der 7. Juli. Und: Natürlich suchen wir – wie nahezu jeder Chor – vor allem Männerstimmen.
Volk: Und dann gibt’s ja noch das Auswahlsingen – das klingt immer so streng und schreckt vielleicht manche ab. Wie sieht das Vorsingen aus?
Weiß: Für Sänger*innen besteht das Auswahlsingen aus zwei Teilen: Erstens bringen sie einen Pop-Song mit – das kann wirklich alles sein, Hauptsache, sie fühlen sich damit wohl – und singen daraus einen Ausschnitt von gut eineinhalb Minuten vor. So bekommen wir einen ersten Eindruck von den Bewerber*innen, mit einem Song, der ihnen auf jeden Fall liegt. Und dann senden wir den Bewerber*innen etwa eine Woche vor dem Auswahlsingen einen Ausschnitt aus einem Chor-Arrangement zu, den sie mithilfe einer Übedatei vorbereiten und vorsingen. Wir Dozent*innen singen die restlichen Stimmen des Arrangements und erfahren dadurch einerseits, wie sicher die Bewerber*innen im mehrstimmigen Singen sind, andererseits, wie gut sie sich selbstständig auf eine Probe vorbereiten können. Für Beatboxer*innen gibt es eigene Anforderungen, die man, wie alle weiteren Infos, auf der Homepage des Bayerischen Musikrats findet.
Volk: Was lernen die Teilnehmenden in den Probenphasen, wie werden diese aussehen?
Weiß: Die Learnings werden sicher ganz unterschiedlich sein, weil die Teilnehmenden ja mit ihren jeweils sehr unterschiedlichen Vorerfahrungen und auch Erwartungen zu den Probenphasen kommen. Wir vom Leitungsteam werden verschiedene Akzente setzen, sowohl was die direkte Arbeit an den Arrangements betrifft als auch darüber hinaus: Es geht auch um das gemeinsame Improvisieren, um Hören lernen, um das Erweitern der stimmlichen Fähigkeiten, um das Singen in Klein-Ensembles, um Körperwahrnehmung, um Rhythmustraining, um Bühnenpräsenz und Performance.
Volk: Das ist die erste Runde des Landesjugendpopchors, aber perspektivisch soll es dann jedes Jahr wieder neue Probenphasen geben. Der Landesjugendpopchor soll, wie alle anderen Landesjugendensembles, eine Institution in Bayern werden, richtig?
Weiß: Absolut! Es zeigt sich, dass die Nachfrage nach einem solchen Nachwuchsförderensemble von Seiten der Jugendlichen und jungen Erwachsenen da ist. Und gleichzeitig wollen wir noch mehr junge Menschen für das gemeinsame Singen und Musizieren begeistern. Wir alle müssen dafür Sorge tragen, dass diese wertvolle kulturelle Praxis an die junge Generation weitergegeben wird.
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