Im September startete an 47 Pilotschulen der Schulversuch „Mittelstufe Plus“: Bayerische Schülerinnen und Schüler können auf Antrag die gymnasiale Mittelstufe in vier statt bisher drei Jahren durchlaufen. Die dazu notwendige Umgestaltung der Stundentafeln und die Umverteilung der Unterrichtsinhalte bleiben dabei weitgehend den Schulen selbst überlassen.
Ende Juni baten wir unsere Mitglieder, die an einer Pilotschule unterrichten, im Rahmen einer Online-Umfrage um Auskunft: Wie wird das Fach Musik in der vierjährigen Mittelstufe unterrichtet? Insgesamt gingen zwölf Antworten ein – eine Zahl, die sicherlich keine repräsentativen Aussagen zulässt. Festhalten lässt sich aber auch auf dieser Grundlage bereits: Es gibt eine große Vielfalt von Modellen, an die sich sehr unterschiedliche Erwartungen knüpfen. Des Weiteren: Nicht in allen Fällen war die Fachschaft Musik in die Planungen eingebunden und konnte Einfluss auf die Gestaltung der Stundentafeln nehmen – angesichts der Tragweite für das Fach ein ebenso erstaunlicher wie unerfreulicher Umstand.
Stundenkontingent und Unterrichtsverteilung
Verhältnismäßig eindeutig sieht die Sache offenbar am musischen Gymnasium aus: Musik ist Kernfach und wird durchgehend zweistündig unterrichtet. An nicht-musischen Gymnasien stehen dagegen unterschiedlich hohe Stundenkontingente für das Fach zur Verfügung. In zwei Fällen bleibt der Musikunterricht in den Schuljahren 8, 9, 9+ und 10 auf insgesamt drei Jahreswochenstunden begrenzt, an den anderen Schulen stehen vier Stunden zur Verfügung. Durchgehend einstündig erteilter Musikunterricht scheint dabei allerdings die Ausnahme zu sein. Die teilnehmenden Lehrkräfte berichten von folgenden Modellen:
Ein Schüler, dessen Familie während seiner „Mittelstufe-Plus“-Zeit innerhalb Bayerns umzieht, könnte also im einen Extremfall in vier Schuljahren keine einzige Stunde Musikunterricht bekommen – und im anderen Extremfall vier Jahre lang jeweils zwei Wochenstunden, in denen sich allerdings die Lerninhalte wiederholen... Geht man davon aus, dass sich die Vielfalt möglicher Verteilungsmodelle auch auf andere Unterrichtsfächer erstreckt, dürfte damit auch schon ein potenzieller Misserfolgs-Faktor für das Gesamtprojekt „Mittelstufe Plus“ identifiziert sein. Zudem stehen schul- beziehungsweise verwaltungsrechtliche Fragen im Raum: Wer entscheidet eigentlich an den jeweiligen Schulen über die „Stoffverteilung“ der einzelnen Fächer auf zwei, drei oder vier Unterrichtsjahre? Wer steht dafür in juristischer Verantwortung? – Musik ist ab Jahrgangsstufe 8 Vorrückungsfach. In Streitfällen können sich hier Probleme auftun, zu denen es bislang in Bayern praktisch keine Erfahrungswerte gibt.
Verhaltene Erwartungen
Die Erwartungen der befragten Lehrkräfte hinsichtlich der „Mittelstufe Plus“ scheinen eher gedämpft zu sein. Auf jeweils fünfstufigen Skalen sollten die Befragten angeben, welche Erwartungen das „Mittelstufe-Plus“-Modell ihrer Schule bei ihnen weckt: im Hinblick auf Klima und Qualität des Klassenunterrichts sowie auf den Wahlunterricht und das Musikleben an der Schule allgemein. Mit großen Vorteilen für Unterrichtsklima und –qualität rechnet keine der befragten Personen, mit großen Nachteilen eine. Die meisten Teilnehmerinnen der Umfrage gehen davon aus, dass sich Vor- und Nachteile die Waage halten dürften. Beispiele für frei formulierte Antworten dazu: „Ich erwarte positive (Zweistündigkeit in der Mittelstufe) und negative Auswirkungen (jeweils ein Jahr ohne Unterricht).“ „Durch eine Wochenstunde mehr über die vier Jahre verteilt ist es vielleicht möglich, den Lehrplan von 8–10 ganz zu schaffen.“
Positive Erwartungen scheint es vor allem mit Blick auf den Wahlunterricht zu geben: „mehr und ältere Chorsänger/-innen und Instrumentalist/-innen für Ensembles, einfachere Organisation“; „mehr Schüler aus der Mittelstufe, die sich für die Ensemblearbeit begeistern lassen“; „die Schüler stehen ein Jahr länger für die Ensembles zur Verfügung!“; „mehr Zeit der Schüler für Wahlfächer“. „Ich hoffe, dass mehr Schüler in den Wahlunterricht Chor können, wegen der freien Nachmittage.“
Bezüglich des Klassenunterrichts wird die Möglichkeit begrüßt, im Rahmen der Epochen-Modelle auch in der Mittelstufe zweistündigen Musikunterricht erteilen zu können. Die Kehrseite bilden negative Erwartungen, weil dann Musikunterricht nicht mehr durchgehend gegeben wird: „Jeweils ein Jahr ohne Musik: Es wird sicher noch mehr vergessen als sonst. Kein Kontakt zu den Schülern in Jahrgangsstufe 9 und 10 – möglicherweise Auswirkungen für Wahlkurse?“ Befürchtet wird auch ein Einstieg in den Ausstieg aus dem Pflichtunterricht „durch ‚Null-Musik‘ in Klasse 8 und 10“. Mehrfach als problematisch benannt wird der Verzicht auf Musikunterricht in der Jahrgangsstufe 10: Fehlende Kontaktmöglichkeiten zur Schülerschaft der Jahrgangsstufe 10 wecken die Befürchtung, dass die Jugendlichen frühzeitig wieder aus den Wahlunterrichten aussteigen oder das Fach Musik in der Oberstufe abwählen könnten.
Ein heterogenes Bild ergeben die Antworten auf die Frage: „Die ‚Mittelstufe Plus‘ soll kostenneutral eingerichtet werden, das Stundenbudget der Schulen wird dafür nur geringfügig erhöht. Erwarten Sie Auswirkungen auf den Umfang des Wahlunterrichts-Angebots Musik an Ihrer Schule?“ – Knapp die Hälfte der Befragten rechnen mit Nachteilen, es gibt jedoch auch neutrale und eine positive Bewertung der Aussichten. Ein Teil der Befragten traut sich keine Prognose zu, was angesichts der vielen Faktoren, die bei der schulinternen Unterrichtsverteilung eine Rolle spielen, vollkommen nachvollziehbar erscheint.
Fazit
Positive Prognose für den musikalischen Wahlunterricht – gemischte Aussichten für den Klassenunterricht? Möglicherweise lassen sich die in der Umfrage gegebenen Auskünfte auf diese kurze Formel verknappen. Angesichts der Vielfalt der geplanten Modelle scheint ein kontinuierlicher Erfahrungs- und Informationsaustausch dringend geboten.
Wir bitten die Kolleginnen und Kollegen, die an einer Pilotschule unterrichten, uns in den kommenden beiden Jahren ihre Erfahrungen mit der „Mittelstufe Plus“ mitzuteilen! Erfolgsgeschichten sind dabei ebenso wichtig wie Berichte über Probleme. Nur auf dieser Grundlage lässt sich verlässlich beurteilen, welche der zur Erprobung anstehenden Modelle unter welchen Bedingungen empfehlenswert erscheinen.
Herzlichen Dank an die Kolleginnen und Kollegen, die sich Zeit genommen haben, den Online-Fragebogen auszufüllen – und damit bereits Pionierarbeit geleistet haben!