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Die Klasse 2a der Gangolfschule erlebt Musik – unter Anleitung einer Bamberger Studentin.  Foto: Dr. Ursula Schmid-Kayser Stiftung
Die Klasse 2a der Gangolfschule erlebt Musik – unter Anleitung einer Bamberger Studentin. Foto: Dr. Ursula Schmid-Kayser Stiftung
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Grenzen überwinden und Verbindung stiften

Untertitel
Ein Bamberger Musikprojekt für Kinder mit Migrationshintergrund
Publikationsdatum
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Heutzutage dürfte außer Frage stehen, dass die Gestaltung von Migrationsprozessen eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft ist. Um hierzu einen Beitrag zu leisten, wurde in Bamberg das Projekt „Mit Musik Grenzen überwinden und Verbindung stiften“ ins Leben gerufen. An ihm beteiligt sind Schülerinnen und Schüler der Gangolfschule und ihre Lehrkräfte, Studierende und Lehrpersonal des Lehrstuhls für Musikpädagogik und Musikdidaktik der Universität sowie vier für die ideelle und finanzielle Unterstützung zuständige, miteinander in enger Verbindung stehende Kooperationspartner: die Dr. Ursula Schmid-Kayser Stiftung, das Don Bosco Jugendwerk, die Don Bosco Stiftung „Chance Jugend“ und das Projekt „Schüler.Bilden.Zukunft“ des Don Bosco Jugendwerks der Dr. Ursula Schmid-Kayser Stiftung und des Industrie- und Handelsgremiums.

Struktur und Intentionen des Projekts

Dem Projekt liegt eine dreiteilige modulare Struktur zugrunde, die sich über drei Hochschulsemester (1½ Jahre) erstreckt und prinzipiell auf Wiederholbarkeit hin angelegt ist. Im Zentrum des ersten Moduls/Semes-ters steht eine musikalische Begegnung, beispielsweise im Rahmen einer Musikfreizeit oder eines Musiktages. Sie wird von Studierenden unter Anleitung von Hochschullehrkräften für Schulkinder geplant und mit ihnen gemeinsam durchgeführt. In den nächsten beiden Semestern schließen sich die Module 2 und 3 an. Sie sind der selbstständigen Gestaltung von schulischem Musikunterricht durch die Studierenden, zunächst mit und dann ohne Supervision, gewidmet. Die Zielperspektiven gehen dabei in zwei Richtungen. Zum einen gilt es, Kindern vielfältige und lustvolle Erfahrungen und Begegnungen mit Musik sowie ein intensives Gemeinschaftserlebnis zu ermöglichen. Zum andern sollen Studierende einen Einblick in die methodischen Ansätze der Elementaren Musikpädagogik erhalten, um daraus Impulse für das eigene Unterrichten schöpfen zu können und eventuell vorhandene Berührungs- ängste mit einer kulturell sehr differenten Zielgruppe mindern zu helfen.

Beteiligte an der Musikfreizeit

Der erste Projektzyklus startete im Wintersemester 2015/16 mit einer Musikfreizeit. Sie wurde als Angebot für die Klasse 2a der Gangolfschule konzipiert. Diese Ganztagsklasse bestand zum Zeitpunkt der Projektdurchführung aus 22 Kindern im Alter von 7–9 Jahren, davon 2 deutscher und 20 ausländischer Herkunft. Letztere stammten aus China, Syrien, Irak, Aserbeidschan, Russland, Ukraine, Rumänien, Griechenland, Türkei, Slowenien, Albanien, Armenien und Togo. Die somit 14 verschiedene Nationalitäten umfassende Klasse hatte seit ihrer Konstituierung mit der Einschulung der Kinder vor knapp 1½ Jahren nicht weniger als 27 Wechsel (Zugänge oder Abgänge) von Schülerinnen und Schülern erlebt. Geplant und durchgeführt wurde die Musikfreizeit von Lehramts- und außerschulisch orientierten Bachelor-Studierenden, die sich zur Teilnahme an einem Wahlpflichtseminar mit entsprechender Ausrichtung an der Universität entschlossen hatten. Sie wurden unterrichtet von Michael Forster und Susanne Hartleb-Hörmann, die sich als hochschulische Lehrkräfte auf dieses Veranstaltungsformat und die damit verbundenen Herausforderungen einließen.

Ablauf des Seminars und der Musikfreizeit

Zuerst lernten die Studierenden selbst verschiedene Musiziermodelle praktisch kennen und reflektierten diese anschließend gemeinsam, um daraus erste Rückschlüsse für die musikalische Arbeit mit der Zielgruppe ziehen zu können. Danach fand ein ers- ter Schulbesuch statt. Im musikpraktischen Unterricht, angeleitet durch den Dozenten, hatten die Studierenden die Möglichkeit, sich einen Eindruck von den Kindern zu verschaffen. In den weiteren Treffen an der Universität wurden in Kleingruppen Unterrichtsmodelle konzipiert. Die Studierenden konnten unter Berücksichtigung der gewonnenen Eindrücke aus dem Schulbesuch Lernbereiche und musikalisches Material frei wählen. Nach der konzeptionellen Phase gab es insgesamt drei weitere Schulbesuche. Hierbei hatten die Studierenden die Möglichkeit, die entstandenen Unterrichtsentwürfe erstmalig in der Praxis auszuprobieren und die Kinder im direkten Kontakt etwas näher kennenzulernen. Nach dieser Vorbereitung fand die Musikfreizeit an einem Wochenende in den Räumlichkeiten der Universität statt. Inhaltlich wurden die Unterrichtsansätze der Studierenden wiederholt bzw. fortgesetzt und Neues hinzugenommen. Im Blickpunkt stand nicht nur das gemeinsame Musizieren, auch die Mahlzeiten, die Pausen und das Freispiel auf dem Spielplatz sollten miteinander verbracht werden. Am Sonntag bildete eine kleine Aufführung für die Eltern den Abschluss der Musikfreizeit.

Berücksichtigte Lernbereiche der Musikfreizeit

Um wirklich allen Kindern mit ihren unterschiedlichen Interessen die Möglichkeit zu geben, sich von Musik angesprochen zu fühlen, fand ein großes Spektrum an musikalischen Aktivitäten Beachtung. Die Kinder haben Lieder gesungen und diese mit Orff-Instrumenten begleitet. Sie haben mit Boomwhackers einfache Ostinati musiziert und konnten Rasseln und Regenmacher selbst bauen. Zu einem kurzen Zeichentrickfilm wurde eine eigene Musik erfunden. In verschiedenen Bewegungsspielen und einfachen Tanzgestaltungen konnten die Kinder immer wieder ihren Bewegungsdrang ausleben. Nicht zuletzt wurde mit unterschiedlichen Sensibilisierungsspielen zum genauen Hinhören und Hinschauen aufgefordert und die soziale Wahrnehmungsfähigkeit gefördert.

Voraussetzungen für das Gelingen der Musikfreizeit

Für das Gelingen der Musikfreizeit waren eine Reihe von Gegebenheiten unabdingbare Voraussetzungen. So wäre die Realisierung des ersten Projektmoduls nicht möglich gewesen ohne die Bereitschaft von Seminarleitung, Studierenden und Klassenlehrkraft, sich in besonderer Weise zu engagieren, großen organisatorischen Aufwand zu betreiben, sich immer wieder eng abzustimmen und einer professionellen Vermittlung von Musik hohen Stellenwert einzuräumen. Auch hätte sie ohne das grundsätzliche Interesse der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern an einer außerschulischen Zusatzveranstaltung nicht stattfinden können. Als wesentliche Vermittlungsinstanz zwischen den beteiligten Personengruppen und insbesondere als Kontaktstelle zu den Eltern der Schülerinnen und Schüler fungierte hier die Klassenlehrerin.

Selbstständige Unterrichtsgestaltung der Studierenden

Im Rahmen von Modul 2 wurde das Projekt im Sommersemester 2016 fortgesetzt. Fünf Studierende des Seminars, die sich freiwillig für eine weitere Teilnahme entschieden hatten, entwickelten neue Unterrichtsmodelle, die danach in zwei ersten Klassen und einer zweiten Klasse an der Gangolfschule erprobt wurden. Die Studierenden arbeiteten jeweils an einem Unterrichtstag mit den Klassen, wurden in der Vorbereitung und beim Unterricht vom Dozenten begleitet und am Ende supervidiert. Als besondere Erfahrung werteten die Studierenden den – von Außenstehenden leicht unterschätzten – hohen Krafteinsatz für das dreistündige musikpraktische Arbeiten. In Modul 3 werden dieselben Studierenden an derselben Schule im Wintersemester 2016/17 weitere Unterrichtsentwürfe eigenverantwortlich realisieren. Sie kommen jeweils zweimal für drei Unterrichtseinheiten in die Schule, sodass sich diese Projektphase über einen Zeitraum von drei Monaten erstreckt. Da hier keine Begleitung durch einen Dozenten mehr vorgesehen ist, erhalten sie ein direktes Feedback über Fragebögen, die von den Klassenlehrkräften während oder nach der Lehrübung ausgefüllt werden.

Musikdidaktische Erkenntnisse

Nach den bislang vorliegenden Erfahrungen ist aus musikdidaktischer Perspektive eine erste vorsichtige Zwischenbilanz möglich. Erstens zeigte sich, dass Sprach- und Kommunikationsprobleme je nach der Bedeutung eines intensiven persönlichen Austausches im Kontext verschiedener Aufgabenstellungen unterschiedlich relevant waren. Beim Musizieren in der Großgruppe traten sie viel weniger hervor als bei der Arbeit in Kleingruppen mit spezieller Ansprache einzelner Kinder. Zweitens wurde in Bezug auf die konkrete Vermittlungssituation deutlich, dass insbesondere die nonverbale Imitation, das empathische Verhalten der Lehrenden gegenüber den Kindern und die Arbeit mit Anschauungsmaterialien Grundpfeiler des Unterrichts bildeten. Drittens erwiesen sich die einfache Ausführbarkeit der Musik und die Überschaubarkeit vor allem von Liedtexten als wichtigste Kriterien für die Auswahl des musikalischen Repertoires, während die Berücksichtigung einer kulturell breit gefächerten Vielfalt nachgeordnet war. Im Ergebnis führte dies zur Erkenntnis, dass auch im vorliegenden Rahmen vorrangig die einschlägigen Kompetenzen zur Vermittlung von Musik bedeutsam waren – und nicht etwa speziell auf den Umgang mit der Zielgruppe abgestimmte Sonderqualifikationen. Dieses Fazit könnte durchaus geeignet sein, Musiklehrkräfte zur Arbeit mit kulturell differenten Gruppen zu ermutigen. Didaktisch anders betrachtet müsste der Fall freilich werden, wenn es primär nicht nur um das Überwinden von Grenzen ginge, sondern um den facettenreichen Aufbau kultureller Kompetenz in einem inter- bzw. transkulturell orientierten Musikunterricht.

Übertragbarkeit des Projekts

Ist das Bamberger Musikprojekt für Kinder mit Migrationshintergrund nur unter ganz speziellen Bedingungen möglich oder ist es auch in andere Kontexte übertragbar? Bei der Beantwortung dieser Frage erscheint es nötig, zwischen einer vollständigen Übertragbarkeit einerseits und einer Übertragbarkeit ohne Einbeziehung der universitären Ebene andererseits zu differenzieren. Erstere ist bei Vorliegen ähnlicher Rahmenbedingungen mit einem funktionierenden Zusammenspiel zwischen Schule, Universität und Kooperationspartner(n) sicherlich möglich. Letztere ist demgegen-über nur an die Voraussetzung gebunden, dass eine entsprechende musik-didaktische Expertise vorliegt, die die sachkundige Durchführung einer Musikfreizeit, eines Musiktages oder Ähnlichem ermöglicht. Sie kann entweder bei der Klassenlehrkraft selbst vorhanden sein oder etwa auch durch Kooperation von Schule und Musikschule gewonnen werden.

Zwischenfazit nach zwei Modulen

Nach zwei von drei Modulen im ersten Durchgang des Projekts kann ein positives Zwischenfazit gezogen werden: Es ist punktuell möglich, mit Musik Grenzen zu überwinden und Verbindung zu stiften. Besonders deutlich hat dies die Lehrerin Annette Mattenklodt erlebt. Ihr Statement ist in einem kurzen Film über die Musikfreizeit zu sehen, den die Dr. Ursula Schmid-Kayser Stiftung drehen ließ und auf ihrer Webseite veröffentlicht hat.1 Neben einem audio-visuellen Einblick in das Geschehen des ersten Projektmoduls finden sich dort noch weitere Interviewausschnitte, die den guten Gesamteindruck aus der Sicht verschiedener Beteiligter dokumentieren. Wenn die positiven Erlebnisse bei den Kindern länger nachwirken würden, die Studierenden ihre musikpädagogische Handlungskompetenz für die spätere berufliche Tätigkeit etwas erweitern könnten und vielleicht auch noch die Lehrkraft im Austausch mit der Universität neue Anregungen für die Vermittlung von Musik mitnehmen könnte, ließe sich von einer „Win-win-win-Situation“ mit einer gewissen Nachhaltigkeit sprechen.

Michael Forster & Stefan Hörmann, Universität Bamberg

1 http://schmid-kayser-stiftung.de

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