„Wer die Enge seiner Heimat begreifen will, der reise. Wer die Enge seiner Zeit ermessen will, studiere Geschichte.“ In diesem bekannten Ausspruch von Kurt Tucholsky stecken auch wesentliche Grundgedanken, die jeder Art von bewusster Musikrezeption zugrunde liegen sollten: Heimat und regionaler Bezug sind ebenso wichtig wie Weltoffenheit und Erfassen des Fremdartigen. Gleiches gilt auch für den Faktor Zeit, der unser Leben prägt und gestaltet. Das Verständnis der aktuellen Entwicklung ist nur möglich in Kenntnis der Vergangenheit, auf der entweder als logische Weiterentwicklung oder auch als bewusster, gelegentlich auch unbewusster, Kontrapunkt die zeitgenössischen Musikformen aller Stilrichtungen aufbauen.
Dieser Gedankengang bildete die Grundlage der „Tage der bayerischen Schulmusik 2014“, die vom 13. bis 15. März 2014 in der Hochschule für Musik und Theater München stattfanden. Thematisch fokussiert auf den Bereich „Bayern“ und die musikalisch prägenden Persönlichkeiten dieser Region in Vergangenheit und Gegenwart boten mehr als 40 Veranstaltungen die Gelegenheit zur Fortbildung für Musiklehrer aller Schularten. Hier konnten neue Erfahrungen gemacht, Altvertrautes vertieft oder in Frage gestellt und Anregungen für die künftige Musikerziehung geholt werden.
Und der Ansturm auf die Veranstaltungen, die der VBS in Zusammenarbeit mit dem bayerischen Kultusministerium organisiert hatte, war riesengroß. Etwa 500 Musikpädagogen und Referenten befassten sich in der dreitägigen Veranstaltungsreihe in praktischer Tätigkeit und reflektierend mit den unterschiedlichen Ausprägungen der Musikentwicklung in Bayern vom Mittelalter über Muffat und Mozart bis zu Peter Maffay. Einzelne dieser Veranstaltungen hier detailliert zu besprechen, würde den Rahmen dieses Beitrages bei Weitem sprengen. Daher können nur einige Schwerpunkte herausgehoben, beziehungsweise Linien skizziert werden.
In der Festveranstaltung, die vom Schulmusikorchester der Hochschule unter der Leitung von Prof. Ulrich
Nicolai mit einem Satz aus der „Reformationssinfonie“ von Felix Mendelssohn Bartholdy festlich umrahmt wurde, bot sich für die Vorsitzende des VBS, Heidi Speth, die Gelegenheit, in ihrer Begrüßungsrede deutlich auf die Situation und die Defizite der Musikerziehung an Schulen hinzuweisen. Sie stellte ihre Ausführungen unter die Gedanken des Komponisten Paul Dessau: „Denken ist die erste Bürgerpflicht. Auch in der Musik. Und: Kritisches Denken ist noch besser.“ Diese Ausgangsgedanken begründete Dessau so: „Dadurch, dass die Kinder angehalten werden, sich produktiv mit Musik zu beschäftigen, wird ihr Genuss beim Anhören von Musik gesteigert sein und ihre Freizeitgestaltung eine neue Qualität erreichen“.
Auch wenn dieser Ausspruch Dessaus bereits fast ein halbes Jahrhundert alt ist, so gilt auch heute noch: Wer gelernt hat, ein begründetes Urteil über Musik abzugeben, der kann nicht nur seine Freizeit qualitätsvoll gestalten, sondern wird befähigt, sich in den Lawinen von Musik, die tagtäglich in unserer modernen Gesellschaft auf uns einstürzen, zu orientieren und eine vernünftige Auswahl zu treffen.
Dem gegenüber stehen allerdings die Rahmenbedingungen des schulischen Musiklehrers, die Heidi Speth anschließend beschrieb: Unterricht an fünf Vormittagen und an drei bis viet Nachmittagen in der Woche; Proben in der Mittagspause; kein Zeitfenster für sinnvolle Probentermine mit den Schülern, was viele Kollegen zwingt, die eigene Freizeit für die Erhaltung schulischer Ensembles zu opfern, weil hier soziale Kompetenz wie in kaum einem anderen Schulfach gefördert wird.
Gründe dafür sind nicht nur das G8 mit dem erhöhten Nachmittagsunterricht, sondern auch die modernen Medien und die sozialen Netzwerke sowie die Entwicklung hin zu einer „Event- und Projektgesellschaft“. Auch von der Schule erwartet die Gesellschaft eine Aneinanderreihung von Events und Projekten, und das neben dem eigentlichen Kerngeschäft des Lehrers – der bestmöglichen Erziehung der Schülerinnen und Schüler. Lehren und Lernen sollen im Mittelpunkt des schulischen Alltags stehen und Projekte eine willkommene Abwechslung in diesen bringen. Problematisch ist es aber, wenn der Normalbetrieb allzu oft unterbrochen wird und sich ein Projekt an das andere reiht und dann der Schulstoff in aller Hektik vermittelt und abgeprüft werden muss. Dann verkommen diese Projekte leicht zu billiger Effekthascherei und nehmen den Schülern die dringend benötigte Orientierung und die letzten zeitliche Ressourcen. Besonders gilt dies für Kinder und Jugendliche, die ein Instrument erlernen. Denn das Aneignen der notwendigen Fertigkeiten erfordert Zeit und systematischen, ungestörten Aufbau.
Auch mit der Wertschätzung des schulischen Musikunterrichtes in unserer Gesellschaft steht es nicht zum Besten. Paul Dessau hat es so formuliert: „Das ist natürlich ein grundlegender Fehler, dass wir glauben, in der Schule ist die Musik (…) nicht so interessant, nicht so wichtig, brauchen die Kinder nicht. Die Unterschätzung dieser Kunstgattung in Schulen ist ein großer Fehler, vielleicht sogar der Kernfehler überhaupt unserer Erziehung.“
Auch wenn im vergangenen Jahr ein Gerichtsurteil ergangen ist, nach dem der Klassenunterricht an Musischen Gymnasien dem Unterricht der so genannten „wissenschaftlichen“ Fächer gleichzusetzen sei, sieht die Realität für die meisten Musiklehrer doch anders aus. Gegenüber allen anderen Schulfächern unterrichten Musiklehrer weiterhin vier Stunden mehr als Kolleginnen und Kollegen in den so genannten „wissenschaftlichen“ Disziplinen. Dies führt zu der absurden Situation, dass die gleiche Unterrichtsstunde, vom gleichen Lehrer gehalten, unterschiedlich vergütet wird, je nachdem ob sie im musischen oder sprachlichen Zweig der Schule stattfindet. Und dabei unterscheidet sich der Lehrplan der beiden Zweige nur durch ein vertiefendes Additum. Dass die Arbeit des Musiklehrers am nicht-musischen Zweig des Gymnasiums oder der Realschule extrem anspruchsvoll ist, weil die Lerngruppen inhomogener zusammengesetzt sind, wird dabei nicht berücksichtigt.
Mit dieser unterschiedlichen Bewertung des Unterrichtes kommen in einem Schuljahr rund 150 Stunden (= 6 Wochen) Mehrarbeit zusammen. Die Forderung des VBS ist es daher, die unsägliche Trennung in wissenschaftlichen und nicht wissenschaftlichen Unterricht aufzugeben und das Stundenmaß aller Lehrkräfte anzugleichen. Schulmusiker dürften – so Heidi Speth – nicht länger die Stiefkinder des Schulbetriebes sein, die man bei Veranstaltungen aus der Ecke zieht, weil der Gummibaum vor dem Rednerpult nur wenig Unterhaltung bietet.
Diese Forderung nach Gerechtigkeit in der Unterrichtspflichtzeit der Musiklehrer kam auch in der Mitgliederversammlung des VBS deutlich zum Ausdruck. So wurde beschlossen, die bisherigen Vorarbeiten des VBS-Vorstandes zu einer gerichtlichen Klärung der Situation durch das Erstellen einer Arbeitsgruppe zu forcieren, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. So sollen noch weitere juristische Gutachten eingeholt werden, um den Klageweg möglichst fundiert beschreiten zu können. Die Mitgliederversammlung gab grünes Licht dafür, die notwendigen Geldmittel aus dem Vereinsvermögen zu verwenden. Dass die notwendigen Gelder aufgebracht werden können, hatte zuvor Reinhard Eckl als Kassenführer des VBS in seinem Bericht belegt. Auch Heidi Speth hatte die Mitglieder des VBS in ihrem Rechenschaftsbericht zur Arbeit des vergangenen Jahres über die vielfältigen Aktivitäten der Vorstandschaft informiert.
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Tagesordnung war die momentane Situation der Fusionsbestrebungen zwischen VDS und AfS. Evelyn Beißel hatte als Mitglied im Bundesvorstand des VDS aufgezeigt, wie der weitere Verlauf des Fusionsprozesses ablaufen soll. Als Perspektive ist angedacht, die Fusion bereits bis zum Bundeskongress in Leipzig im September durchzuführen.
Nach langen und intensiv geführten Diskussionen wurde der Vorstand des VBS von der Mitgliederversammlung beauftragt, die kommenden Entwicklungen abzuwarten und zu beobachten und bei allen weiteren Verhandlungen die Selbständigkeit und Unabhängigkeit des VBS zu bewahren.
Im Rahmen der Mitgliederversammlung wurde auch Frau Prof. Dr. Birgit Jank vorgestellt, die vom VBS-Vorstand für das neu eingeführte Referat „Kulturelle Bildung“ kooptiert worden ist.
Dass Musiklehrer auch gemeinsam feiern können, bewies die Abendveranstaltung am Eröffnungstag, wo unter dem Motto „Der Kongress tanzt“ Volkstänze aus Bayern und der Türkei geübt wurden. Zu den Klängen der „Unterbiberger Hofmusik“ gelang es den „Tanzmeistern“ Ali Zorlu und Rita Brunner, die Anwesenden zum Mittanzen zu animieren. Daneben konnten in der entspannten Atmosphäre manch interessantes Gespräch geführt und neue Kontakte geknüpft werden.
Eine wichtige Informationsquelle im Rahmen von solchen großen Fortbildungsveranstaltungen ist für viele der aus ganz Bayern angereisten Lehrerinnen und Lehrer die Verlagsausstellung, in der die Schulbuchverlage in räumlicher Nähe ihr aktuelles Programm an relevanter Unterrichtsliteratur und Notenmaterial präsentieren. So ergibt sich in den Pausen zwischen den einzelnen Veranstaltungen die Möglichkeit, sich über die neuesten Produkte der musikpädagogischen Publikationen zu informieren, das Angebot der einzelnen Verlage zu vergleichen und neue Anregungen zu erhalten.
Ein weiterer Höhepunkt der „Tage der bayerischen Schulmusik“ war sicherlich auch das Interview von Prof. Dr. Bernhard Hofmann mit dem Rockmusiker Peter Maffay, der über seine musikalischen, (musik-)pädagogischen und humanitären Projekte berichtete. Der Schwerpunkt der Arbeit seiner Peter Maffay Stiftung ist die Durchführung von therapeutischen Aktivaufenthalten traumatisierter sowie benachteiligter Kinder und Jugendlicher. Die Stiftung wurde im Jahr 2000 in Tutzing am Starnberger See gegründet, wo sie bis heute ihren Sitz hat.
Der Start der Projektarbeit erfolgte mit Eröffnung des Stiftungszentrums in der Stadt Pollenca im Norden der Baleareninsel Mallorca im Jahr 2002. Im Jahr 2003 wurde das Herzstück der Stiftung mit der Finca Ca’n Llompart in der Nähe von Pollenca eröffnet. Auf der Finca können jährlich bis zu 400 Kinder und Jugendliche mit ihren Betreuerinnen und Betreuern Aktivaufenthalte von 8-12 Tagen verbringen.
Im Jahr 2009 startete die Arbeit der Peter Maffay Stiftung im Heimatland des Stiftungsgründers Peter Maffay in Rumänien. Im Kreis Brasov (Kronstadt/ Siebenbürgen) wurde im Umgriff einer historischen Kirchenburg in Radeln das alte Pfarrhaus erworben, zu Gemeinschaftsräumen umgebaut und ein Neubau mit Unterkunftsräumen für die Kinder und Jugendlichen im Jahr 2011 eröffnet. Die weitere Entwicklung des gesamten Ortes ist ein großes Anliegen der Stiftung und ein großartiges sowie ehrgeiziges Zukunftsprojekt.
Ebenfalls im Jahr 2011 konnte die Peter Maffay Stiftung die älteste Jugendherberge in Bayern im Starnberger Ortsteil Jägersbrunn am Maisinger See eröffnen. In einem landschaftlich einmalig gelegenen Natur- und Vogelschutzgebiet entstand so das Tabalugahaus am Maisinger See.
Ein weiteres Projekt ist der trilaterale Jugendaustausch von Teenagern aus Israel, Palästina und Deutschland. Begleitet von der Peter Maffay Stiftung und gemeinsam mit der Landesregierung Nordrhein-Westfalen organisiert der Verein „Begegnungen-Schutzräume für Kinder e.V.“ diesen Jugendaustausch. Diese Maßnahme dient dazu, Jugendliche als Mediatoren in der Konfliktregion einzusetzen und ihr Bewusstsein für Toleranz und eine friedvolle Koexistenz zu schärfen.
Authentisch, tiefgründig und manchmal erfrischend selbstironisch berichtete Peter Maffay über sein Leben und seinen Werdgang als Musiker und steuerte in dem launigen Interview manch erheiternde Anekdote bei. Beeindruckt von dieser bemerkenswerten Künstlerpersönlichkeit spendeten die Anwesenden dem Künstler am Ende der Veranstaltung lang anhaltenden Applaus. Und auch die Spendensammlung für die Peter Maffay Stiftung erbrachte eine erkleckliche Summe. Insgesamt wird der VBS einen Betrag von 2000 Euro an die Stiftung überweisen können.
Nach zweieinhalb Tagen intensiver Fortbildung bis in die Abendstunden endeten die „Tage der bayerischen Schulmusik“, wobei viele der Teilnehmer die Bitte äußerten, auch in zwei Jahren diese repräsentative und informative Veranstaltung wieder zu organisieren, die innerhalb weniger Tage ein umfangreiches und gut strukturiertes Fortbildungsprogramm bietet.