Dr. Daniel Prantl studierte Musik und Mathematik für Lehramt an Gymnasien. Seit 2012 ist er in der Lehrkräfteausbildung tätig, seit 2021 hat er eine Vertretungsprofessur an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, Dresden inne. Seine Dissertation mit dem Titel „Schulmusik und Musikschule“ erscheint in Kürze bei OLMS/Nomos. Das nachfolgende Interview wurde am Rande des Regensburger Kammermusikfestivals geführt.
Komponieren mit Schülerinnen und Schülern
VBS: Im musikpädagogischen Diskurs findet man manchmal die Bezeichnung Komponieren, manchmal ist aber auch die Rede von Musik erfinden. Wie differenzierst du diesbezüglich in deiner Arbeit?
Dr. Daniel Prantl: Wenn ich mit Schülerinnen und Schülern arbeite, dann erkläre ich denen das so, dass Komponieren Zusammensetzen bedeutet – Zusammensetzen von Klangereignissen, die sie sich selbst überlegen und daraus entsteht dann etwas. Wenn man mit Schülerinnen und Schülern von Musik erfinden spricht, kommt man manchmal zu der Frage: „Ist das jetzt Musik, was wir machen?“ Deswegen ist es bei diesen Projekten auch so, dass ich anstrebe, dass es einen richtigen Auftritt gibt, eine Situation, wo das Ergebnis außerhalb der Schule präsentiert wird. Dadurch kommen die Jugendlichen dann hoffentlich zu der Erkenntnis, dass sie jetzt eigentlich auch Musik erfinden. Und damit fangen sie dann auch an, über den Musikbegriff im Allgemeinen nachzudenken, was ich als wichtiges Ziel zeitgenössischer musikalischer Bildung erachte.
VBS: Wieviel Vorwissen ist auf Seiten der Schülerinnen und Schülern nötig wenn man mit ihnen komponieren möchte? Oder anders formuliert: Wie voraussetzungslos kann Komponieren sein?
Prantl: Bei dem Modell, das ich verwende1, müssen die Jugendlichen in der Lage sein, zu hören und über das, was sie gehört haben, zu sprechen. Nicht unbedingt mit Fachsprache, aber das kann natürlich helfen. Meiner Meinung nach ist es in diesen Prozessen aber wichtig, dass man sie nicht auf Fachsprache festnagelt – dass man nicht korrigiert und sagt: „Dann sag doch crescendo, wenn Du lauter werden meinst!“. Außerdem hilft es natürlich, wenn Vorkenntnisse auf Instrumenten vorhanden sind, weil die Jugendlichen dann schon Erfahrung darin haben Klänge zu erzeugen. Wenn Sie sich in neue Klangwelten begeben sollen, kann das aber auch ein Stück weit hinderlich sein. Wenn jemand sein Instrument sehr gut spielt, haben Schülerinnen und Schülern manchmal ein Problem damit, spieltechnisch etwas anderes zu machen.
VBS: Wieviel Vorgaben und Rahmen benötigen Schülerinnen und Schüler für Kompositionsaufgaben?
Prantl: Einige. Sie sollen es nur nicht merken. Dabei kann man zwei solcher Vorgaben oder „Mäuerchen“ unterscheiden: Die (instrumental)technische und die thematische Ebene. Zum Ersten: Schülerinnen und Schüler brauchen immer eine Technik – damit meine ich irgendeine Musizierweise. Das kann zum Beispiel die Auswahl eines Instruments sein und dazu die Vorgabe „Bei dem Instrument darfst du nicht den Bogen benutzen“. Bei unserem Projekt hier haben die Studierenden der einen Gruppe bewusst ein paar Orff-Instrumente ausgesucht, die dann „Thema“ waren. Eine andere Gruppe hat im Vorfeld bestimmte Apps ausgewählt. Das ist das eine „Mäuerchen“. Das andere „Mäuerchen“ ist aber fast noch wichtiger: das ist die thematische Klammer, die die Schülerinnen und Schüler dann gerne konkret auslegen sollen. Bei diesem Projekt war das relativ offen, auch wenn wir uns im Wesentlichen am Festivalmotiv „Höhenflug – Grenzenlos“ orientiert haben. Bei anderen Anlässen waren das aber auch schon konkrete literarische Werke, wie z.B. „Der kleine Wassermann“ von Otfried Preussler oder „Ophelias Schattentheater“ von Michael Ende. Vorlagen können aber auch konkrete musikalische Werke sein, wie z.B. die „Geschichte vom Soldaten“ von I. Strawinski. Wir haben da zwar nicht zuerst das ganze Werk gehört, aber es gab Impulse in den einzelnen Klangfindungs-Workshops. Das können musikalische Themen sein oder auch einfach bestimmte Figuren. Es gab da dann zum Beispiel eine Gruppe „Soldat“ und eine Gruppe „Teufel“.
Diese zwei Ebenen sind aus meiner Sicht wichtig: Der technische Rahmen und zusätzlich ein thematischer Impuls.
VBS: Worin siehst du das konkrete Lernpotenzial für Schülerinnen und Schüler in Kompositionsprojekten – gerade im Hinblick auf Kompetenzorientierung?
Prantl: Sie lernen zunächst einmal, über Musik zu sprechen. Gerade in solchen Projekten müssen sie das ja auch sehr intensiv üben. Um es mit Christian Rolle zu formulieren: Sie lernen, ästhetisch zu argumentieren. Christian Rolle und Christopher Wallbaum geht es ja in ihrer Arbeit – besonders beim ästhetischen Streit – um die Frage2: „Wie kann ich Schülerinnen und Schüler dazu bringen, Geltungsansprüche zu erheben und zu verteidigen?“ Anders formuliert: Sie lernen nicht nur technisch über Musik zu sprechen, sondern auch Dinge, die ihnen gefallen, zu verbalisieren. Dabei geht es nicht um richtig oder falsch, sondern um die Frage „Was gefällt mir an dieser Musik?“ oder „Was muss ich daran ändern, damit sie mir gefällt?“.
Außerdem tauchen die Schülerinnen und Schüler ein in eine bestimmte musikalische Praxis, nämlich die des Musik Erfindens. Sie erfahren, wie solche Prozesse vonstatten gehen. Dahinter steckt der Ansatz, dass es verschiedene musikkulturelle Praktiken gibt – das gemeinsame Musik machen ist sehr verbreitet, über Musik zu sprechen auch. Andere Praktiken wie das gemeinsame Musik Erfinden, die es außerhalb der Schule ebenfalls gibt, sind im Musikunterricht aktuell aber eher unterrepräsentiert.
VBS: Im schulischen Kontext stellt sich natürlich immer die Frage, inwiefern es möglich ist, die Leistungen der Schülerinnen und Schüler zu bewerten? Und wenn bewertet wird – bewertet man dann besser den Prozess oder das Produkt? Wie sind dahingehend deine Erfahrungen?
Prantl: Meistens ist es ja so, dass dies extracurriculare Projekte sind, bei denen Bewertungen nicht im Vordergrund stehen. Wenn man sie aber bewerten will – was ich im Rahmen meiner Unterrichtstätigkeit im Gymnasium auch schon gemacht habe –, ist es eigentlich eine Kombination aus einer Prozess- und einer Produktbewertung, beispielsweise hinsichtlich der Partizipation der Schülerinnen und Schüler. Das ist noch relativ leicht – da wird bewertet, inwiefern die Schülerinnen und Schüler mitarbeiten und bereit sind, sich zu bemühen. Beim Produkt ist natürlich die interessante Frage, welche Qualitätsstandards angewendet werden. Es ist klar, dass das Produkt „irgendwie anders“ wird. Und da ist mein Ansatz, eine ernsthafte gemeinsame Bewertungskultur zu etablieren. Dafür ist es nötig, dass man sich mit den Schülerinnen und Schülern gemeinsame Raster überlegt. Ein solches Raster zu entwickeln ist aber meist gar nicht so schwierig, weil die Jugendlichen im Prozess gemerkt haben, was es bedeutet, am jeweiligen Produkt zu arbeiten. Meist läuft es dabei immer wieder auf ähnlich Dinge hinaus: Ist der Bezug zur literarischen Quelle überzeugend erkennbar? Oder: Inwiefern ist der Anspruch, den wir uns selbst an einen formalen Ablauf gestellt haben, erfüllt? Das sind beispielsweise Bewertungsaspekte in Bezug auf das Produkt, die man relativ problemlos anwenden kann. Dabei könnte man zum Beispiel sagen: „Ich möchte, dass ihr auf Zetteln Stellung dazu nehmt, inwiefern ihr die vorher festgelegten Parameter erfüllt habt“. Dann werden diese Zettel aber nicht einfach nur abgegeben, sondern man sollte über das, was die Schülerinnen und Schüler geschrieben haben, auch diskutieren. Und gerade in solchen Bewertungsprozessen lernen die Schülerinnen und Schüler, über Musik zu sprechen. Und in diesem Moment ist es dann auch nicht mehr akzeptabel, wenn sie beispielsweise einfach sagen „Ja, ist halt so...“. Letztendlich ist Argumentationsfähigkeit auch eine bewertungsrelevante Kategorie. Aber es ist natürlich klar, Bewertungsprozesse in dieser Form kosten zusätzlich Zeit.
VBS: Du hattest für das vorliegende Projekt in gewisser Weise zeitlich luxuriöse Bedingungen mit mehreren exklusiv dafür reservierten Vormittagen. Inwiefern sind Unterrichtsvorhaben dieser Art in den für Schulen typischen 45- oder 90-Minuten-Rastern auch durchführbar?
Prantl: Im Grunde muss man für so ein Projekt neun- bis zehnmal 90 Minuten einplanen. Das entspricht dann mindestens einem Vierteljahr. Bei einem meiner Streicherklassenprojekte haben wir das genauso gemacht. Das klappt grundsätzlich auch – es ist halt einfach eine lange Unterrichtseinheit. Aber es funktioniert – auch, weil es ja trotzdem klare Bausteine gibt. Am Anfang steht beispielsweise eine Sensibilisierungsphase. Beim nächsten Mal stellt man dann das Thema vor und geht dann vielleicht schon in Workshopgruppen, in denen mit Klängen herumprobiert wird. Und das funktioniert eigentlich ohne Probleme, wenn man eine sinnvolle Sicherungsstrategie wählt. Das funktioniert auf jeder Stufe des Projekts. Eine Herangehensweise ist dabei zum Beispiel, dass die Schülerinnen und Schülern ihre Zwischenergebnisse immer irgendwie – zum Beispiel auf Kärtchen – grafisch festhalten. Das kann auch mittels ganz einfacher Symbole sein. Und diese Kärtchen nehmen sie dann mit, arbeiten daran weiter, dann haben sie irgendwann noch ein paar neue Kärtchen. Am Ende ist es dann so, dass wir an der Tafel arbeiten und im ursprünglichen Sinn der Wortbedeutung von componere – zusammensetzen – eine Entwicklung oder „Story“ des Stücks erarbeiten. Man ordnet zu, heftet die Kärtchen mit Magneten an … Und dabei kann es sogar relativ hilfreich sein, wenn immer eine Woche dazwischen ist, weil es dann im Kopf noch ein bisschen arbeitet.
Kurz gesagt: Kompositionsprojekte sind auch in den regulären zeitlichen Rahmenbedingungen von Schule möglich, man muss sich aber dann dafür auch langfristig die entsprechende Zeit nehmen.
Anmerkungen
1 Vgl.: Prantl, Daniel; Mannl, Anila; Merker, Johanna (2021): Wassertropfen und knarzende Türen. Vom Geräusch zum eigenen Stück: Streicherklassen komponieren. In: Üben und Musizieren (5), S. 30–32.
2 Vgl: Rolle, Christian; Wallbaum, Christopher (2011): Ästhetischer Streit im Musikunterricht. In: Johannes Kirschenmann, Christoph Richter und Kaspar H. Spinner (Hg.): Reden über Kunst. München: kopaed, S. 507–535.
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