„ChatGPT hat das bayerische Abitur bestanden.“ – „Künstliche Intelligenz wird die Aufgaben- und Prüfungskultur verändern“: So stand es kürzlich auf der Homepage des Bayerischen Rundfunks zu lesen.1 Seit der Veröffentlichung des Chatbots ChatGPT Ende 2022 wird allerorten mit der neuen Technologie experimentiert, das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist in sozialen Medien und Massenmedien präsenter denn je. Schulen und Hochschulen müssen Antworten auf ganz neue Fragen finden: Wie lassen sich die neuen digitalen Tools nutzen, um Lernprozesse zu fördern? Was ist erlaubt, was soll künftig möglich sein? Brauchen wir neue Bildungsziele?
Kreativität aus der Maschine?
Wir alle nutzen schon seit Jahren im Alltag Technologien, die auf maschinellem Lernen und künstlicher Intelligenz basieren, oft ohne es zu wissen – etwa Internet-Suchmaschinen, die Gesichtserkennung auf dem Handy oder Übersetzungs-Tools wie „DeepL“. Dass Computer eine ganze Reihe von Aufgaben besser und schneller erledigen können als Menschen, ist ebenfalls nicht neu. Seit jeher wandeln sich mit der Entwicklung neuer Technologien auch Musik, bildende Kunst und Texte: in ihren Erscheinungsformen, in der Art, wie sie hergestellt, verbreitet und in kulturelle Praktiken eingebunden werden. Wie lässt sich dann der aktuelle Hype um Werkzeuge wie ChatGPT, DALL-E oder MusicLM erklären? Möglicherweise resultiert er daraus, dass sie vermeintlich kreative Aufgaben wie das Schreiben einer Kurzgeschichte, das Herstellen eines Bilds oder eines Songs innerhalb einer kurzen Zeitspanne maschinell erledigen können, und dies mit zum Teil beeindruckenden Ergebnissen. Darüber hinaus sind die komplexen Funktionen, die dazu notwendig sind, über sehr leicht bedienbare Benutzerschnittstellen zugänglich: ein kurzer Prompt in natürlicher Sprache oder die Auswahl einiger weniger Parameter genügen in der Regel.
Auch für den Musikunterricht ergeben sich daraus Fragen: Wie ist mit der Existenz solcher Systeme umzugehen? Wie funktionieren sie, wie kann man sie nutzen? Sollte man nicht lieber auf sie verzichten, zugunsten sinnlicher musikalischer Primärerfahrungen beim Improvisieren an „echten“, akustischen Instrumenten? Verändern sich durch die neuen Möglichkeiten Ziele und Inhalte musikalischer Bildung? Wie sieht es mit Lern- und Prüfungsaufgaben aus?
Maschinelles Lernen, Muster und Wahrscheinlichkeiten
Wenn man sich darüber Gedanken machen möchte, ist es hilfreich, zu verstehen, wie solche KI-Generatoren funktionieren. Ihre Basis sind jeweils ein riesiger Korpus an Sprach-, Bild- oder Musikdaten sowie Algorithmen, die den maschinellen Lernvorgang organisieren. Eine zentrale Rolle spielt die Identifikation von Mustern, etwa bei der Frage, mit welcher Häufigkeit einzelne Elemente gemeinsam vorkommen und wie sie im Regelfall miteinander verbunden werden. Auf dieser Grundlage kann ein Computerprogramm dann neue Texte, Bilder, Videos oder Musiken erzeugen. Das Training hierfür kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Bei Modellen, die für die unmittelbare Konversation trainiert sind, also auf verbale Benutzereingaben rasch reagieren müssen, spielt durch Menschen überwachtes „Machine Learning“ eine wichtige Rolle: Menschliche Anwender beurteilen die Qualität der erzeugten Antwort, des generierten Bild oder der erstellten Musik und tragen damit zur Verstärkung bestimmter Muster sowie zur Abschwächung anderer bei.
Das „Verstehen“ von Benutzereingaben funktioniert dadurch, dass die KI die Eingabe in kleine Einheiten zerlegt und sie den zuvor „gelernten“ Begriffsnetzen zuordnet. Die Antwort wird generiert, indem Elemente aus dem jeweiligen Netzwerk so kombiniert werden, dass das jeweils wahrscheinlichste Element einem vorangegangenen folgt. Ist eine Maschine ausreichend gut trainiert, entstehen dabei „natürlich“ wirkende Texte, Bilder oder Musikstücke. Beim Umgang mit einer Maschine, die Eingaben in natürlichem Text interpretieren kann und anschließend natürlich wirkenden Text, authentisch wirkendes Bildmaterial oder vertraut klingende Musik ausgibt, entsteht leicht der Eindruck, es mit einem intelligenten, selbständig denkenden Interaktionspartner zu tun zu haben.
Insbesondere im Bereich der Textproduktion ist aber wichtig zu verstehen, dass hier weder echtes Denken stattfindet noch wahrheitsfähige Fakten wiedergegeben werden. Die BR-Journalistin Katharina Wilhelm bringt das auf die Formel: „Künstliche Intelligenz halluziniert falsche Fakten, ist voreingenommen und hat keinen Begriff von Wahrheit.“2
– Wer sich bereits mit Chatbots befasst hat, wird bestätigen können, dass die generierten Antworten zwar mehr oder weniger überzeugend klingen, oft aber inhaltlich fehlerhaft sind. Deshalb eignen sich Textgeneratoren wie ChatGPT auch nicht zu Recherchezwecken!
„Taschenrechner“ für Texte, Bilder und Musik
Für die Vorbereitung und Durchführung von Unterricht lassen sich die neuen KI-Werkzeuge am besten als eine Art „Taschenrechner“ für Texte, Bilder oder Musik nutzen – also zum zeitsparenderen Erledigen von Routinearbeiten. Bei der Planung und Vorbereitung von Unterricht kann dies das Zusammenfassen oder Vereinfachen von Texten sein, das Erstellen von Arbeitsblättern, Übungsaufgaben oder Stegreifaufgaben. Im Unterricht lassen sich mit Hilfe von Textgeneratoren wie ChatGPT „Rechercheergebnisse“ rund um praktisch alle Themen des Musikunterrichts kreieren, die dann von den Schülerinnen und Schülern in Faktenfuchs-Manier überprüft, verbessert, weiterbearbeitet und ergänzt werden. Gezielte und qualitätvolle Aufgabenstellungen erlauben dabei im Idealfall sowohl den Aufbau von musikbezogenem Faktenwissen als auch das Training grundlegender informationstechnischer Fertigkeiten.
Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe von KI-Tools auch innovative Lernaufgaben gestalten. So lässt sich ein schnell erstelltes Bild wie das hier abgedruckte zum Ausgangspunkt einer Recherche nach den „Ur-Instrumenten“ machen, die darin virtuell verbaut sind: Wie viele sind es? Wie sehen sie tatsächlich aus? Wie klingen sie, was kann man damit machen?
„Ideengenerator“ für musikalisches Gestalten
Interessante Möglichkeiten für den kreativen Umgang mit Musik bieten Generatoren wie Aiva4. Die Kompositions-KI ermöglicht das Erstellen und Editieren von zum Teil recht authentisch wirkenden instrumentalen Soundtracks. Der Benutzer kann unter zahlreichen verschiedenen Musikstilen wählen und weitere Parameter wie Tonart oder gewünschte Dauer des Songs festlegen. Ein integrierter Editor, dessen Benutzeroberfläche sich am Vorbild gängiger DAWs orientiert, bietet einfache Bearbeitungsfunktionen.
Für den Unterricht interessant wird es, wenn man die automatisch generierte Musik herunterlädt und weiterbearbeitet. Dazu stehen verschiedene Formate zur Auswahl (wav, mp3, mid), die sich beispielsweise in GarageBand importieren, um weitere Stimmen ergänzen, kürzen, verlängern und neu abmischen lassen. Insbesondere für Bereiche, in denen die KI-Musikstücke dem nahekommen, was wir aus dem Alltag zu hören gewohnt sind, lassen sich so Musikstücke bewusst gestalten und „auf Augenhöhe“ mit Musik vergleichen, die auch außerhalb von Schule existiert – beispielsweise elektronische Dancefloor-Sounds und HipHop-Beats; synthetisch erzeugte orchestrale Klangteppiche zu Dokumentarfilm-Ausschnitten; funktionale Musik für Werbespots oder die akustische Möblierung von Aufzügen, Geschäften und Restaurants. In einem solchen Unterrichtssetting kann die KI-Maschine als Ideen- und Impulsgeberin dienen, die eine Grundlage für eigenes, bewusstes musikalisches Gestalten ebenso liefert wie für ästhetisches Argumentieren.
Was muss man können?
Um mit KI-Systemen produktiv umgehen zu können, brauchen Lernende wie Lehrende entsprechende Nutzungskompetenzen. Für den Umgang mit Text- und Bildgeneratoren ist dies vor allem die Fähigkeit, zielführende Prompts zu formulieren und nicht unnötig persönliche Daten preiszugeben. Nutzerinnen und Nutzer von Textgeneratoren müssen aber auch deren Erzeugnisse kritisch bewerten und einordnen können. Beim Umgang mit KI-generierten Texten müssen Plausibilität und Korrektheit vermeintlicher Fakten überprüft werden. Es gilt aber auch die Schlüssigkeit und Zulässigkeit von Argumentationsketten zu hinterfragen. Dazu braucht es Wissen um zuverlässige Quellen, mit denen sich Fakten abgleichen lassen, sowie geeignete Strategien, um solche Arbeiten effizient zu erledigen.
Lehrende müssen stärker als bisher in der Lage sein, nicht nur fachliches Faktenwissen zu vermitteln, sondern auch darüber aufzuklären, wie im Fach Erkenntnisse gewonnen, gesichert und vermittelt werden. Damit bekommt eine Komponente pädagogischen Professionswissens neue Bedeutung, die zwar bereits in den 1980er Jahren vom amerikanischen Pädagogen und Psychologen Lee Shulman als unverzichtbare Grundlage von Lehrprofessionalität beschrieben wurde, in der Ausbildung angehender Lehrkräfte aber traditionell eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Einsatz mit Unsicherheiten
Es ist davon auszugehen, dass viele Schülerinnen und Schüler ebenso wie Lehrkräfte die neuen KI-Technologien bereits mehr oder weniger intensiv nutzen. Ihr Einsatz im Schulunterricht ist dagegen noch mit zahlreichen Unsicherheiten behaftet, insbesondere im Bereich des Datenschutzrechts. Etliche KI-Tools erfordern das Anlegen von Benutzer-Accounts – und dies oft zu Bedingungen, die weder mit den Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung kompatibel sind noch mit denen der Schulbehörden. Hier lohnt sich allerdings eine Prüfung der aktuell gültigen Zugangsregelungen: ChatGPT ist derzeit über Microsofts Suchmaschine Bing frei zugänglich, ebenso die bildgenerierende KI Craiyon. Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus stellt auf seiner Homepage einen Orientierungsrahmen zum Thema „KI und Schule“ zur Verfügung.5
Anmerkungen
1 https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/chatgpt-ki-besteht-bayerisches-a…
2 https://www.br.de/nachrichten/kultur/ki-und-journalismus-chance-oder-ec… [12.6.2023]
3 https://www.craiyon.com
4 https://www.aiva.ai
5 https://www.km.bayern.de/schule-digital/orientierungsrahmen-ki-und-schu…
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