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Foto: dlohner via Pixabay
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Lebendige Musikpraxis im sozialen Miteinander

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Die Landesarbeitsgemeinschaft Jazz an Schulen in Bayern
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In einem Musikraum befinden sich knapp 50 Personen, davon etwa 30 Schülerinnen und Schüler, der Rest Musiklehrkräfte. Die Jugendlichen findet man in Probensitzordnung, direkt am Instrument, die Lehrkräfte sind im Raum verteilt, teilweise hinten oder an der Seite, manche ebenfalls am Instrument. Es wird gespielt, gesungen, sich zur Musik bewegt. Was in diesen Zeiten wie eine Beschreibung aus ferner, ja fast paradiesischer Vergangenheit klingt, wird hoffentlich im Herbst 2021 wieder Realität sein können.

Die Rede ist von der Fortbildung „Effektives Proben mit der Schülerbigband“, einer erfolgreichen Reihe mit jährlich wechselndem Dozenten, organisiert und betreut von der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Jazz an Schulen in Bayern. Bei dem Format handelt es sich um eine klassische Win-win-Situation: Eine Lehrerfortbildung „direkt am Schüler“ ist kombiniert mit einem Workshop eines namhaften Bigband-Spezialisten, der der Band ganz nebenbei neuen Input und den jungen Musikerinnen und Musikern große Motivation bringt. Und auch die anwesenden Bigband-Leiter profitieren in hohem Maße davon, dass diese Fortbildung direkt an der Schule stattfindet, also in der Berufsrealität.

Ansprechpartner und Netzwerkknoten

Dieses Workshop-Format kann durchaus stellvertretend für die Arbeit der LAG Jazz an Schulen stehen, die sich als Ansprechpartner und Netzwerkknoten für die Verbreitung des Jazz an Schulen in Bayern mit allen seinen Möglichkeiten versteht. 2008 vom Bay­erischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus ins Leben gerufen, wird sie nun 13 Jahre alt. Die Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen ist ein zentrales Anliegen, etwa mit dem Landes-Jugendjazzorchester Bayern („Jugend Jazzt“), der Lehrer Big Band Bayern, der Bayerischen Landeskoordinierungsstelle Musik, den Landesarbeitsgemeinschaften Popularmusik, Schulchor, Schulorchester und Volksmusik, der ALP Dillingen, dem Bayerischen Jazzinstitut und dem VBS. Darüber hinaus kooperiert das LAG-Jazz-Team auch mit außerschulischen Einrichtungen (z. B. professionellen Jazz-Bands, Jazz-Musikern und -musikerinnen, Musikschulen, Musikvereinen, den bayerischen Musikhochschulen mit Jazzausbildung in Würzburg, Nürnberg und München, MILU). Diese Vernetzung führt immer wieder zu neuen Dozenten und positiven Synergieeffekten. Beispielhaft angeführt seien der „Big Band Bash“ 2017, bei dem zwei Schulbigbands und die Bigband der Hochschule für angewandte Wissenschaften in München aufeinandertrafen, sowie das Bayerische Schul-Big-Band-Meeting 2019 auf der Landesgartenschau in Wassertrüdingen anlässlich des Aktionstags Musik – eine gelungene Kooperation mit der BLKM und dem Landes-Jugendjazzorchester Bayern. Bei beiden Aktionen ging es zum einen um eine tolle Auftrittsmöglichkeit für die jungen Bands und zum anderen auch darum, andere junge Musiker zu erleben und miteinander in Kontakt zu kommen. Genau dies passiert auch alljährlich beim Landeswettbewerb „Jugend Jazzt“, organisiert vom Landes-Jugendjazzorchester Bayern, der von der LAG Jazz an Schulen ebenfalls aktiv beworben wird.

Online-Fortbildungen

Aktuell wird der besonderen Pandemie-Situation Rechnung getragen, so dass alle Fortbildungen online stattfinden. Nach dem ersten Schulhalbjahr mit diesem auch für die LAG Jazz an Schulen neuen Fortbildungsformat kann allerdings ein durchaus positives Fazit gezogen werden: Die Resonanz ist groß, und ein erweiterter Teilnehmerkreis hat die Fortbildungen in Anspruch genommen. Also insgesamt: ein voller Erfolg trotz widriger Zeiten. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass bestimmte Inhalte, die über die Jahre hinweg auch immer stark nachgefragt waren, wie beispielsweise die Ensembleleitung und das Ensemblespiel, natürlich nur bedingt online zu vermitteln sind. Hier braucht es dann doch den direkten Kontakt und Austausch: Gerade praxisnahe Formate wie „Effektives Proben mit der Schülerbigband“, bei dem dann wirklich unmittelbar mit Schülerinnen und Schülern gearbeitet wird, oder die Improvisationsworkshops sind nur in Präsenz machbar.

Improvisation – Arrangement – Ensemble-Leitung

Aufgrund der Rückmeldung der Teilnehmer sowie den eigenen Erfahrungen des LAG-Jazz-Teams haben sich drei Kernanliegen für Fortbildungen im Bereich Jazz an Schulen herauskristallisiert: Improvisation, Arrangement und Ensemble-Leitung, jeweils auf unterschiedlichen Niveaus und auch im Hinblick auf unterschiedliche Gruppengrößen, von der Jazz-Combo bis zur Big Band. Da die Rhythmik in der Jazzmusik eine entscheidende Rolle spielt, werden auch zur Perkussion immer wieder Angebote entwickelt, jüngst eine Fortbildung „Das Drumset in der Schülerbigband“ mit dem Jazzschlagzeuger Christoph Huber. Die Arbeit mit Profis der Jazzszene ist für die hochwertige Weiterbildung in den Augen der LAG Jazz an Schulen essenziell, da hier ein Transfer direkt aus der lebendigen Musikpraxis heraus in die Schulen stattfinden kann. So zählen zu den festen Größen in der Riege der Dozenten Harald Rüschenbaum, Leiter des Landes-Jugendjazzorchesters Bayern, sowie der Saxophonist, Komponist und Arrangeur Professor Thomas Zoller. Hinzu traten bisher unter anderen: Klaus Graf, Jürgen Neudert, Marko Lackner (Bigbandleitung), Tom Jahn und Jörg Hartl (Arrangement: Disco- und Chart-Hits), Christiane Öttl (Jazzgesang), Charly Böck (Latin Percussion), Kim Barth (Latin Arrangement), Christofer Varner (Jazz nach 1960), Thomas Buffy (Jazz für Streicher), Tilman Jäger (Afro-Cuban Percussion), Claudio Estay (Brazilian Percussion), Naomi Isaacs (Jazzgesang). Für den Kongress „Jazz in der Schule“ 2015 in Markt­oberdorf waren auch Dozenten aus den Reihen der Lehrer Big Band Bayern tätig. Die Mitglieder der LAG Jazz an Schulen, Robert Aichner (Reuchlin-Gymnasium Ingolstadt), Johannes Müller (Christian-Reinhart-Gymnasium Hof), Thomas Grön (Hanns-Seidl-Gymnasium Hösbach), Peter Möltgen (Feodor-Lynen-Gymnasium Planegg) sowie der aktuelle Vorsitzende Stephan Goldhahn (Platen-Gymnasium Ansbach), fungieren ebenfalls immer wieder als Dozenten.

Jazz in der Schule

Jazzmusik ist für viele Schülerohren zunächst fremdartig. Hier braucht es Offenheit gegenüber Fremdem, um zu verstehen, was in der Musik passiert und weshalb diese so „anders“ klingt. Auch im Jazzbereich ist es wichtig, der Musik mit Respekt und Anspruch zu begegnen. Zwar finden sich durch einen „kurzen Weg“ zur Popmusik, u. a. über den Groove-Aspekt, schnell Anknüpfungspunkte für Kinder und Jugendliche. Allerdings dürfen dabei im Klassenunterricht trotzdem die „Meis­terwerke“ der Klassik und des Jazz nicht auf der Strecke bleiben. Im Lehrplan kann der Jazz in den verschiedensten Jahrgangsstufen verankert werden, sei es zum Beispiel in Zusammenhang mit Instrumentalbesetzungen, mit der lateinamerikanischen Musik, mit einfachen harmonischen Verläufen und mit improvisatorischen Ansätzen im Klassenmusizieren. Als Schwerpunkt im Gymnasiallehrplan findet sich das Thema „Jazz“ aktuell in der 10. Jahrgangsstufe.

Mittlerweile gibt es zahlreiche „Jazz-Stützpunkte“ mit Modellcharakter, und auch vielfältige Kooperationen der Schultypen untereinander sowie mit den Musikschulen und Instrumentallehrern vor Ort sind zu finden. Jede Schule hat natürlich ihr eigenes Profil, die Jazzensembles umrahmen dabei häufig Veranstaltungen und sind damit oft das Aushängeschild der Schule. Jazz als Kunstform findet immer mehr Anerkennung, was sich auch in der Ausbildung an den Musikhochschulen bemerkbar macht. Allerdings führt die Modularisierung des Studiums und damit die Ausweitung der Wahlmöglichkeiten und Schwerpunktsetzungen für Schulmusikstudierende dazu, dass der Fortbildungsbedarf im Jazzbereich nach wie vor hoch ist.

Spiel ohne Noten – Erfahrung einer lebendigen Musikpraxis

Das Spiel ohne Noten ist ein weiterer zentraler Baustein in der Ensemblearbeit des Jazz: Es schult die Konzentration auf das Auditive und das Eingehen und Reagieren auf die Mitspieler. So kann es nicht nur ein musikalisches, sondern auch soziales Gruppenerlebnis schaffen. Dieser Zugang erfordert Disziplin, Konzentration und Offenheit und kann durch körperorientierte Methoden vertieft werden. In der eigenen Improvisation können Emotionen ausgedrückt werden, das Blues-Schema oder die Kadenz können in Bewegung umgesetzt werden. Dabei entstehen Lust am Ausprobieren und Experimentieren, Neues und Unverbrauchtes. Dabei bietet der Jazz eine Vielzahl an Stilrichtungen und musikalischen Stimmungen, so dass sich jeder seine „Nische“ suchen kann. Trotz allem besteht durchaus ein intellektueller Anspruch: Beginnend mit einfacher Pentatonik ist eine Steigerung bis hin zu äußerst komplexen harmonischen Strukturen möglich. Dadurch kann natürlich auch eine Binnendifferenzierung in heterogenen Gruppen realisiert werden. Der Jazz bietet die Chance, Werte zu thematisieren, die für unser Zusammenleben ganz allgemein – und im Besonderen in der aktuellen Situation – wichtig sind: Im Jazz existieren flache Hierarchien, jeder trägt Verantwortung für die Gruppe, in deren Zentrum das achtsame Miteinander steht. Ergebnis: Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich ernst genommen und in ihrer Persönlichkeit gestärkt.

Die LAG Jazz an Schulen freut sich über ein Wachsen des Netzwerks „Jazz“ und ist stets offen für Anregungen, Kooperationen und Kontaktaufnahme!

  • Kontakt über die Webseite der LAG Jazz an Schulen in Bayern: https://www.jazz-an-schulen.de, hier finden sich auch Literaturempfehlungen für Schul-Bigbands und Bläserklassen.

 

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