Hinzu kommt noch ein ganz spezieller Typus ambitionierter Konzertprojekte, auch hier wird integrativ gedacht. Musikgeschichtliche, musikpädagogische und künstlerisch-praktische Komponenten sollen so eng wie möglich miteinander verknüpft werden. Vorbereitende Seminare und Übungen versetzen die Studierenden in die Lage, Konzerteinführungen zu gestalten, Teile der Konzerte zu dirigieren und die Musik mit tieferem Verständnis darzubieten als es üblicherweise möglich ist. Zu nennen sind hier Veranstaltungen mit Haydns „Schöpfung“, Mozarts c-Moll-Messe oder Orffs „Carmina Burana“ ebenso wie Konzerte mit Musik von John Lennon, Paul McCartney, The Who oder „Back To Black – A Tribute To Motown“. Im Sommer 2014 wurde im Rahmen einer Studien- und Konzertreise nach Venedig frühbarocke Vokal- und Instrumentalmusik aufgeführt – auf barockem Instrumentarium und am Ort ihrer Entstehung. Flankiert wurde die Exkursion unter anderem durch Seminarangebote zu den Themen „Musikpädagogik im europäischen Kontext“ und „Venezianische Barockmusik“.
Nimmt man das Anliegen ernst, die Musikpädagogik zur zentralen Bezugsdisziplin und das Berufsbild „Musiklehrer“ zur wichtigsten Bezugsgröße der Lehrerausbildung zu machen, so ergibt sich daraus zwingend die Notwendigkeit, entsprechende Gelegenheiten zum Erwerb musikpädagogischer Praxis zu bieten. Susanne Melichar, Absolventin der ersten Stunde und heute Studienrätin am Joseph-von-Fraunhofer-Gymnasium Cham, erinnert sich: „Das war ja einer der Kernpunkte unserer Ausbildung. Es sollte eben nicht der ‚Kulturschock‘ nach dem Studium auf uns warten, wie es an den anderen Unis und Fachbereichen üblich war, sondern wir sollten möglichst gut vorbereitet ins Berufsleben starten. Das ist echt super gelungen.“
Im Rahmen von Praktika, Theorie-Praxis-Seminaren, Hörpaten- oder Kinderkonzert-Projekten geht es nie nur um ein quantitatives „Mehr“ an Praxiserfahrung. Das Ausbildungskonzept ist dem „deliberate practice“-Ansatz verpflichtet: In einem langfristig angelegten, zielgerichteten Übeprozess werden unter Betreuung von Experten die notwendigen Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Unterrichtsgestaltung systematisch angebahnt und ausgebaut.6 Konkret bedeutet dies beispielsweise, dass die Studierenden zusätzlich zum studienbegleitenden fachdidaktischen Praktikum ein verpflichtendes Theorie-Praxis-Seminar durchlaufen. In dessen Rahmen absolvieren sie eine benotete Lehrprobe, deren Ergebnis in die Examensnote einfließt. Die Betreuung übernimmt kontinuierlich ein Tandem aus Hochschullehrkraft und Praktikums- beziehungsweise Betreuungslehrer. Video- und Audio-Aufzeichnungen der gehaltenen Unterrichtsstunden ergänzen die gemeinsamen Vor- und Nachbesprechungen. Die Aktivitäten sind am aktuellen Stand von Expertise- und Professionsforschung orientiert und werden fortlaufend weiterentwickelt. Auch dafür bietet ein Standort wie Regensburg mit seiner vergleichsweise kleinen Anzahl Studierender im Lehramt Musik, seinem innovativen Universitätszentrum für Lehrerbildung (RUL) und seinem Netzwerk „Dialog Universität-Schule“ (DialogUS) ausgesprochen günstige Rahmenbedingungen.7
Engagierte, inspirierende und fachlich hochkarätige Partner an den Regensburger Gymnasien sind und waren dabei Susanne Gallhuber, Bernhard Nicklas, Dr. Eva-Maria von Adam-Schmidmeier und Franz Adam (Goethe-Gymnasium) sowie Udo Klotz und Wolfgang Strobel (Von-Müller-Gymnasium). Kooperationen mit weiteren außeruniversitären Partnern ermöglichen zudem immer wieder den so wichtigen Blick über den gymnasialen „Tellerrand“ hinaus – in den außerschulischen Bereich, in andere Schularten oder Unterrichtsfächer: So wurde das Studium eines Erweiterungsfachs von Beginn an gezielt gefördert; Schulmusik-Studierende arbeiteten in den vergangenen Jahren in „Hörpaten“-Projekten mit Schülern der Clermont-Ferrand-Mittelschule Regensburg oder mit Chorklassen an der Edith-Stein-Realschule Parsberg, aber auch in der Lehrerfortbildung und für das Education-Programm des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.8
Hohes künstlerisches Niveau
Anfangs geäußerte Bedenken, das künstlerische Niveau der Regensburger Ausbildung genüge möglicherweise nicht gymnasialen Anforderungen, konnten rasch entkräftet werden. Seit Beginn des Modellversuchs zeigen Studierende in Konzertveranstaltungen und Prüfungen Leistungen, die problemlos mit Musikhochschul-Standards Schritt halten. Einen zusätzlichen Beleg für die hohe Ausbildungsqualität auf diesem Sektor liefern etliche Absolventen, denen im Anschluss an ihr Regensburger Schulmusikstudium problemlos der Wechsel in künstlerische Aufbaustudiengänge im In- und Ausland gelang. Dabei reicht das Fächerspektrum von gesangs- oder instrumentalpädagogischen Studiengängen über das Konzertfach Schlagzeug bis hin zur Meisterklasse Orgel. Besonders erfreulich ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass auch erste Absolventinnen der 2008 neu gestarteten Ausbildungsrichtung „Musik in der Fächerverbindung“ nahtlos in künstlerische Studiengänge wechseln konnten. Damit ist der Beweis erbracht, dass Absolventen, die Musik und ein weiteres Unterrichtsfach grundständig studieren, in künstlerischer Hinsicht keineswegs „Schulmusiker zweiter Klasse“ sein müssen. Ihr Fachstudium Musik mündet zwar in ein quantitativ etwas reduziertes Kompetenzspektrum, qualitativ bewegen sich die Regensburger Studierenden mit Musik in der Fächerverbindung jedoch ohne Zweifel auf dem hohen Niveau, das die bayerische Schulmusik-Ausbildung seit jeher auszeichnet. Für einen so kleinen Standort außergewöhnlich sind sicherlich die Erfolge von Studierenden und Absolventen beim jährlich stattfindenden „Bundeswettbewerb Klassenmusizieren“ des Arbeitskreises für Schulmusik und allgemeine Musikpädagogik (AfS): Hier stellt Regensburg seit 2006 regelmäßig Preisträger und Final-Teilnehmerinnen. Das verdankt sich wohl vor allem der ausgezeichneten Arbeit in den Fächern Schulische Ensemblepraxis (Christoph Eglhuber) und Tonsatz/Analyse (Florian Heigenhauser). Beachtlich ist mittlerweile auch die Anzahl an „Regensburgern“, die ihrerseits bereits wieder in der Lehreraus- und Fortbildung arbeiten – als Praktikumslehrer, wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrbeauftragte, Referenten in der Lehrerfortbildung oder Autoren einschlägiger Fachartikel.
Herausforderung Modularisierung
Angesichts der aufgelisteten Erfolge erscheint es nur konsequent, dass im Jahr 2008 der Status eines Modellversuchs aufgehoben wurde: Seitdem sind die Studiengänge „Musik für das Lehramt an Gymnasien“ Bestandteil des regulären Studienangebots der Universität und der Hochschule für Kirchenmusik Regensburg.
Eine besondere Herausforderung stellte in den vergangenen Jahren die Neukonzeption der Gymnasial-Ausbildung im Rahmen der Einführung modularisierter Lehramtsstudiengänge dar. Nach intensiver Vorbereitung konnten die Regensburger Studienbewerber im Jahr 2008 erstmals zwischen zwei verschiedenen Angeboten für das gymnasiale Lehramt wählen. Zur Musik als Doppelfach kam der Studiengang „Musik in der Fächerverbindung“. Musik wird hier in Kombination mit einem weiteren vertieften Unterrichtsfach wie Deutsch, Englisch, Latein oder Mathematik studiert. Eine Campus-Universität wie Regensburg bietet dafür ideale organisatorische Voraussetzungen. Die Anforderungen der Eignungsprüfung blieben gegenüber dem „alten“ Doppelfach unverändert, zwei Dirigierfächer sowie künstlerisches Erst- und Zweit-instrument gehören weiterhin fest ins Ausbildungsprogramm. Die Absolventen des neuen Studiengangs müssen am Ende ihres Studiums auf ebenso professionellem Niveau schulischen Musikunterricht gestalten können wie ihre Vorgänger aus früheren Alterskohorten. Das schließt sowohl solide Grundlagen im Klavierspiel zwingend ein als auch die Beherrschung eines weiteren Orchester- oder Band-Instruments. Nur so lassen sich die breit gefächerten Anforderungen von Pflicht- und Wahlunterricht angemessen bewältigen. Erste positive Rückmeldungen aus den Studienseminaren deuten darauf hin, dass das Regensburger Konzept „Musik in der Fächerverbindung“ dafür tatsächlich die notwendigen Voraussetzungen schafft.
Wie an allen Standorten wurde auch in Regensburg der Studiengang „Musik als Doppelfach“ neu konzipiert. Gefordert war ein klar definierter und hinreichend umfangreicher künstlerischer Schwerpunkt. Im Regensburger Modell wird dazu das Lehramtsstudium mit einem künstlerischen BA-Studiengang an der HfKM kombiniert. Zur Auswahl stehen derzeit die Bereiche Chorleitung, Gesangspädagogik, Instrumentalpädagogik-Studiengänge in Klavier, Orgel, Cembalo, diversen Holz- und Blechblasinstrumenten sowie Kirchenmusik. Am Ende des Studiums stehen sowohl das Staatsexamen als auch ein künstlerischer Bachelor-Abschluss. Die Aufnahme in diesen Studiengang setzt das Bestehen einer zusätzlichen Eignungsprüfung an der HfKM Regensburg voraus, ist also mit etwas höheren Hürden verbunden als der Einstieg in das „alte“ Doppelfach.9 Dennoch erfreut sich das Studienangebot hoher Beliebtheit, seit Jahren sind steigende Bewerberzahlen zu verzeichnen.
Ausblick
Derzeit studieren insgesamt etwa 50 junge Frauen und Männer Schulmusik in Regensburg, davon etwas mehr als die Hälfte Musik in der Fächerverbindung. Die Umstellung auf modularisierte Studiengänge ist erfolgreich bewältigt. Allerdings muss festgestellt werden, dass sich durch die Modularisierung offenbar die Studienzeiten verlängert haben – für das gymnasiale Lehramt Musik ebenso wie für andere Fächer. Es zeichnet sich eine durchschnittliche Studiendauer von zehn Fachsemestern ab; noch sind die Absolventenzahlen aber zu klein, um verlässliche Aussagen treffen zu können.
Im Jahre 2011 gab es Veränderungen in der Leitung der beteiligten Institutionen: Prof. Stefan Baier löste Prof. Franz Josef Stoiber als Rektor der Hochschule für Kirchenmusik ab, Prof. Dr. Bernhard Hofmann wechselte an die Universität Augsburg, Dr. Gabriele Puffer übernahm vertretungsweise die Leitung des Fachgebiets Musikpädagogik. Im Herbst 2013 wurde Prof. Dr. Magnus Gaul an (vormals HMT Rostock) auf den Lehrstuhl für Musikpädagogik berufen. In den kommenden Jahren gilt es, eine Reihe gesellschaftlicher, bildungs- und hochschulpolitischer Herausforderungen zu bewältigen – beispielhaft seien hier nur das Thema Inklusion und der weiterhin chronische Musiklehrer-Mangel genannt. Festzuhalten bleibt jedenfalls: Lehramtsausbildung im Fach Musik erfordert durchdachte und überzeugende Konzepte, qualifizierte und motivierte Lehrende, kompetente und engagierte Studierende und hinreichende Ressourcen. Das Regensburger Modell beinhaltet alle diese Komponenten. Es hat in eindrucksvoller Weise den Beweis erbracht, dass gymnasiale Lehramtsausbildung auf höchstem Niveau auch außerhalb der Musikhochschulen möglich ist. So bleibt nur noch, den solchermaßen erfolgreichen Kooperationspartnern auch weiterhin eine glückliche Hand zu wünschen: Ad multos annos!
Anmerkungen:
6 Vgl. Gruber, H. & Stöger, H. (2011). Experten-Novizen-Paradigma. In E. Kiel & K. Zierer (Hrsg.), Unterrichtsgestaltung als Gegenstand der Wissenschaft, Baltmannsweiler: Schneider-Verlag Hohengehren, S. 247–264.
7 Vgl. http://www.uni-regensburg/rul, http://www.uni-regensburg.de/rul/schulnetzwerk-dialogus/index.html
8 Siehe z. B. Puffer, Gabriele/ Oppelt, Verena/ Pfister, Mario/ Schäfer, Christoph (2012): Béla Bartók: Konzert für Orchester Sz 116. Unterrichtsmaterial zur moderierten Generalprobe am 18. April 2012 – Herkulessaal der Münchener Residenz (Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, Education 2011-12) Online abrufbar unter http://www.br.de/radio/br-klassik/symphonieorchester/education/symphoni…
9 Siehe auch http://www.uni-regensburg.de/philosophie-kunst-geschichte-gesellschaft/…