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Chor und Orchester des Camerloher-Gymnasiums Freising unter der Leitung von Gunther Brennich beim Festakt.  Foto: Peter Spanrad
Chor und Orchester des Camerloher-Gymnasiums Freising unter der Leitung von Gunther Brennich beim Festakt. Foto: Peter Spanrad
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Wegbereiter der Wiener Klassiker

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300 Jahre Placidus von Camerloher
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Es hat durchaus Seltenheitswert, wenn eine Schule Musik ihres Namenspatrons aufführen kann und diese auch noch aus dem 18. Jahrhundert stammt. Dieser Fall ist beim Freisinger Camerloher-Gymnasium gegeben, einem rein musischen Gymnasium mit etwa 800 Schülerinnen und Schülern. Anlässlich des 300. Geburtstags von Placidus von Camerloher organisierten die Freisinger Musiker und Spezialisten für historische Aufführungspraxis Sabina Lehrmann und Christoph Eglhuber gemeinsam mit dem Landkreis Freising ein Festwochenende für den Komponisten.

Prominenter Vertreter des vorklassischen Stils

Placidus von Camerloher (1718–1782) gehört zu den bedeutendsten Komponisten des späten 18. Jahrhunderts im bayerischen Raum. In der Literatur wird er wiederholt als „Wegbereiter“ der Wiener Klassiker Haydn und Mozart oder auch als prominenter Vertreter des „vorklassischen Stils in Bay­ern“ beschrieben. Von 1745 bis zu seinem Tod war er in Freising Hofkapellmeister und Komponist. Camerlohers reiches Schaffen umfasst neben Kirchen-, Orchester- und Kammermusik auch Kompositionen für das Musiktheater. Stilistisch steht der Komponist an der Schwelle vom Spätbarock zur galanten Musik der Frühklassik.

Camerloher war ein vielbeschäftigter Mann. Er war zuständig für die Kapellknaben und den Musikunterricht am Lyceum, an dem zeitweise bis zu 900 Schüler und Studenten unterrichtet wurden. Für sie verfasste er eine theoretische Schrift über den Kontrapunkt nach den strengen Regeln der Kirchentonarten. Er war auch Lehrer für nicht unbedeutende Komponisten wie Augustin Ullinger, Joseph Michl und andere. Im Gesang unterrichtete er Anna Katharina Grün aus Isen, die 1784 Camerlohers Neffen Franz Xaver heiratete und bis zu ihrem frühen Tod 1790 eine gefeierte Diva an der Münchner Hofoper war. Ein weiterer prominenter Gesangsschüler war der Bauernbub Johann Baptist Walleshauser aus dem Dachauer Land. Unter dem Künstlernamen Giovanni Battista Valesi trat er in den bedeutendsten europäischen Opernhäusern der damaligen Zeit auf. Nicht zu vergessen ist auch der Benediktinerpater Coelestin Hochbrucker aus dem Kloster Weihenstephan, der aus der großen Harfenistenfamilie der Hochbrucker in Tagmersheim stammte und als hervorragender Harfenist und Komponist galt. Auch ihn unterrichtete Camerloher im Komponieren.

Ein wichtiges Arbeitsfeld war für Camerloher die Komposition von Bühnenmusiken für Aufführungen am bischöflichen Gymnasium und Lyceum in deren Aula, dem heutigen Asamsaal. Diese Aula war eine Art „Mehrzweckhalle“. In erster Linie war sie Gottesdienstraum für die Schüler und die Mitglieder der Marianischen Kongregation sowie Wallfahrtsstätte: Viele Pilger beteten vor dem hochverehrten Gnadenbild „der unbeflecktisten Jungfrauen und Mutter Gottes auf dem Saal des hochfürstlichen Lycei derer Patres Benedictinern in Freysing“. Zweimal im Jahr wurde der Betsaal in ein Theater verwandelt. Die Altäre wurden entweder verhüllt oder ganz entfernt, eine Bühne aufgeschlagen und mit raffinierter barocker Technik ausgestattet. Zur Faschingszeit bereiteten die Professoren der Poesie mit den Schülern der 5. Klassen ein lustiges Stück vor. Am Schuljahresende stand eine ernste „Comedia“ auf dem Programm, die der Professor für Rhetorik zu verfassen und einzustudieren hatte. Meist bestanden die Stücke aus einem Sprechtheater und einer Art Oper, die unterschiedliche Themen behandelten, aber einen gemeinsamen Gedanken enthielten. Weit über hundert Spiele gingen in Freising über die Bühne. Placidus von Camerloher komponierte allein 41 Bühnenmusiken. Besonders fruchtbar war dabei die Zusammenarbeit mit dem Textdichter Pater Ferdinand Rosner aus Ettal. Spieler, Sänger und Musiker waren die Schüler und Studenten der Anstalt. Verstärkt wurden sie durch Musiker der Hofkapelle, Hofsänger und ehemalige Schüler oder Weltpriester. Weil die Texte und Kompositionen „nur“ als Gebrauchsmusik galten, legte man auf ihren Erhalt keinen Wert. Deshalb sind kaum vollständige Textbücher und keine Musiknoten erhalten – außer der „Comedia Frisingana“. Überliefert sind aber „Periochen“, eine Art Programmheft, in denen eine Inhaltsangabe des jeweiligen Stücks in lateinischer und deutscher Sprache, die gesungenen Partien und die Namen der Mitwirkenden abgedruckt waren. Die Schaffenskraft von Camerloher scheint enorm gewesen zu sein. Er schrieb geistliche Werke, Messen, Vespern, Passionen, Oratorien, Kantaten und anderes. Etwa 110 weltliche Kompositionen sind bekannt, vor allem Sinfonien, Trios und Konzerte für Laute. Etliche Werke sind nicht allein in Abschriften erhalten, sondern liegen gedruckt vor. Für die Beliebtheit seiner Musik zeugt ihre weite Verbreitung. Camerlohers Kompositionen wurden oder werden in Berlin, Donaueschingen, Einsiedeln, Indersdorf, Lüttich, Memmingen, Metten, München, Paris und anderen Orten aufbewahrt. Leider sind viele seiner Kompositionen nur noch in Bruchstücken erhalten oder ganz verschollen.

Die Musik von Camerloher klingt meist heiter, leicht und unbeschwert. Über eine Festaufführung 1769 in Freising schrieb ein Zeitgenosse: „Auch das Gehör musste die Stärke und schmeichelnde Gewalt eines der berühmtesten Kapellmeister und Musik-Compositoris mit vollkommensten Vergnügungen empfinden. Es ware dies nämlich der Hochwürdig Hochwohlgeborene Placidus Cajetanus Laurentius von Camerloher. [...] Was immer diese edle Tonkunst gründliches und angenehmes hatte, wurde von diesem geschickten Verehrer auf die Bahn gebracht.“

Festakademie mit feinsinnigem Rahmen

Die Feierlichkeiten zu Ehren Placidus von Camerlohers starteten am 4. Oktober in der 2015 neu errichteten Konzertaula des Camerloher-Gymnasiums mit einer Festakademie. Landrat Josef Hauner hatte die Veranstaltungen zum runden Geburtstag von Placidus von Camerloher zur Chefsache erklärt und zeigte sich bei seiner Eröffnungsansprache bei der Festakademie hoch erfreut, dass so viele Gäste der Einladung zur Festakademie gefolgt waren – darunter viel Prominenz aus Stadt und Landkreis. „Das ist ein Beweis dafür, dass Freising eine Stadt der Bildung und Kultur ist“, so Hauner.

Die Grußworte von Camerloher-Schulleiterin Andrea Bliese waren von vielen sehr persönlichen Erinnerungen im Zusammenhang mit Placidus von Camerloher geprägt. Als Kind sei sie erstmals mit der Musik von Camerloher in Kontakt gekommen, als ihr von einer hochverehrten Lehrerin eine Schallplatte mit einer Weihnachtskantate von Camerloher in einer Aufnahme des Camerloher-Gymnasiums unter der Leitung des ehemaligen Freisinger Musiklehrers und Komponisten Theo Brand geschenkt wurde. Dieser Kontakt habe ihre Liebe zur Musik entflammt und sie bestärkt, in einem Chor mitzusingen und ein Instrument zu erlernen. Über viele Umwege ist sie schließlich wieder als Schulleiterin an eben dieses Camerloher-Gymnasium zurückgekehrt.Im Mittelpunkt der Festakademie standen danach Vorträge verschiedener Camerloher-Experten. Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge skizzierte das Leben des Freisinger Hofkapellmeisters. Altphilologe Professor Winfried Stroh hat in jüngster Vergangenheit intensive wissenschaftliche Studien betrieben und nannte seinen kurzweiligen Vortrag „Von Camerloher zu Lapiér: Die Comedia Frisingana, ein Forschungsbericht“. Der Kirchenmusiker Hermann Stuhlfelder informierte über Camerlohers kirchenmusikalisches Schaffen. Sabina Lehrmann, Leiterin der Neuen Freisinger Hofmusik, und der Musikpädagoge und Alte-Musik-Spezialist Chris­toph Eglhuber setzten sich mit dem sinfonischen Schaffen, der Kammermusik und der Lautenmusik von Camerloher auseinander. Beide haben in der Vergangenheit immer wieder mit verschiedenen Ensembles Werke von Camerloher aufgeführt. Sabina Lehrmann charakterisierte Camerlohers Musik als „sehr feinsinnig, aber niemals langweilig“.

Für den würdigen Rahmen der Festakademie sorgten Musiklehrkräfte, Schülerinnen und Schüler des Camerloher-Gymnasiums. Sie hatten verschiedene Stücke von Placidus von Camerloher einstudiert: das Orchester unter der Leitung von Sebastian Brand die Sinfonie in C-Dur, das Kammermusikensemble unter der Leitung von Friederike Eglhuber die Triosonate in D-Dur mit Charlotte von Urff (Oboe), Katharina Eglhuber (Violine), Clara Eglhuber (Violoncello) und Jakob Kuen (Cembalo). Als besonderer Abschluss der Festakademie erklang unter der Leitung von Gunther Brennich die „Cantata per la Santissima Natale del nostro Signore“. Sie wurde vom Großen Chor der 9. bis 12. Klassen, dem Sinfonieorchester und mehreren Solistinnen dargeboten. Lisa Seidel (Sopran), Anna-Maja Kirschnitzki (Mezzosopran) und Eileen Saller (Sopran) belegen alle das Fach Musik mit dem Additum Gesang in der Q12. Somit wurde die Festakademie just mit dem Werk beendet, das die Schulleiterin Frau Bliese als Kind so begeistert hatte.

„Comedia Frisingana“ mit überraschender Wendung

Am darauffolgenden Wochenende konnte man dann zwei Aufführungen der „Comedia Frisingana“ bestaunen, der einzigen erhaltenen Freisinger Oper. Zuletzt war sie am 2. und 4. September 1739 aufgeführt worden. Der originale Aufführungsort, der Freisinger Asamsaal, wird zurzeit renoviert, so dass wieder die Aula des Gymnasiums als Ort gewählt wurde. Erste Recherchen hatten ergeben, dass das Werk mit hoher Wahrscheinlichkeit von Placidus von Camerloher stamme und deshalb hervorragend geeignet sei, um das Jubiläumsjahr damit zu begehen. 2015 begannen die Vorbereitungen für diese Wiederaufführung mit der Übertragung der Handschrift in moderne Notation und der Übersetzung des lateinischen Textes ins Deutsche. Landrat Hauner und Kreisheimatpfleger Rudolf Goerge zeigten sich sehr interessiert an dem Projekt, der Landkreis Freising erklärte sich bereit, als Veranstalter zu fungieren. 2016 folgte die Verteilung der Aufgaben: Zu organisieren waren wissenschaftliche Beratung, Regie, musikalische Leitung, Bühne, Kostüme/Maske und Licht. Gesangssolisten und Ins­trumentalisten wurden eingeladen, Chorsänger und Statisten angefragt.

Alle Vorbereitungen inklusive des Kartenverkaufs liefen bereits auf vollen Touren, als Mitte Juni 2018 die große Neuigkeit hereinplatzte: Professor Wilfried Stroh, der wissenschaftliche Berater, hatte die Perioche der Comedia Frisingana in der Universitätsbibliothek München gefunden. Nun stand plötzlich fest: Der Komponist der „Comoedia Frisingana“ ist nicht Placidus von Camerloher, sondern der Münchner Churfürstliche Hof-Cammer-Organist, Concert-Meister und Churfürstliche Rath Peter Joseph Lapiér (vor 1722–1754). Die Uraufführung fand tatsächlich viel früher als ursprünglich angenommen statt (man ging von „um 1760“ aus). Die Comedia-Frisingana-Partitur ist der Musikteil eines deutlich umfangreicheren Gesamtwerks, das auch ausgedehnte Sprechtheaterteile enthält. Die Perioche offenbarte den Titel: „FELIX IN CONSTANTIA seu TITUS NOBILIS JAPON“. Der vornehme Japaner Titus – ein Stück mit einer japanischen Geschichte auf der Bühne der Freisinger Benediktinerhochschule, das war wirklich sehr überraschend. So kurz vor den Aufführungen erschütterten die Neuigkeiten alle bisherigen Planungen. Die Comedia Frisingana sollte aber dennoch als einzige überlieferte Freisinger Schuloper des 18. Jahrhunderts zu Ehren Camerlohers aufgeführt werden. Um den Rahmen des Camerloher-Festivals nicht zu sprengen, entschloss man sich, nur den gut zweistündigen musikalischen Teil auf die Bühne zu bringen, der in sich geschlossen die Geschichte von Abraham und Isaak darstellt. Ursprünglich waren die beiden Akte dieses Hauptteils von allegorischen Rahmenteilen eingerahmt, die das Geschehen kommentieren. Inhaltlich geht es um den unbedingten Glauben an Gott: Idololatria, die Gottlosigkeit, versucht mit ihren Genossinnen Crudelitas (Grausamkeit), Tyrannis und Minae (Drohungen) die christliche Seele vom Glauben abzubringen. Trotz vieler finsterer Angriffe gelingt dies nicht. Eingereiht in diesen Kontext ist unter anderem die Glaubensprüfung Abrahams, der seinen Sohn Isaak Gott als Opfer darbringen soll.

Dessen Rolle, und damit die Hauptpartie, sang Benedikt Eder, ein ehemaliger Schüler des Camerloher-Gymnasiums, der Gesang studiert hat und als freischaffender Sänger tätig ist. Als Statisten und im Chor wirkten Schüler und Ehemalige mit, dazu musizierte die von Sabina Lehrmann gegründete Gruppe „Neue Freisinger Hofmusik“ originalgetreu auf historischen Instrumenten. Unter Leitung von Christoph Eglhuber spielte das Orchester differenziert und ausdrucksstark, Barock-Violinistin Theona Gubba-Chkheidze meisterte auch schwierigste Solopassagen. So anspruchsvoll wie die Instrumentalmusik waren auch die Gesangspartien. Roswitha Schmelzl glänzte mit reinem Sopran und virtuosen Solokadenzen. Bemerkenswert waren auch der tiefe Ausdruck des machtlosen Vaters und die klare Artikulation von Benedikt Eder als Abraham. Durch seine diabolischen Affekte in Gesang und Ges­tik überzeugte Benedikt Heggemann als Allegorie der Idololatria (Gottlosigkeit). Weil die Darstellerin der Fides (Glaube) und des Isaak wegen Krankheit ausfiel, sprang Talia Or kurzfristig ein und sang die schwierigen Partien vom Pult aus mit tragender Altstimme. Die Regisseurin Jadwiga Nowaczek, Expertin für historische Tänze und Barocktheater, übernahm die Darstellung der beiden Figuren mit barocken tänzerischen Einlagen. Sängerinnen und Sänger agierten in prächtigen, phantasievollen Kostümen und mit barocker Gestik.

Musiktheatertradition bis in die Gegenwart

Wenn man den historischen Kontext der „Comedia Frisingana“ mit heute vergleicht, fällt auf, dass auch heute noch das Musiktheater einen beachtlichen Raum am Camerloher-Gymnasium einnimmt. Immer wieder finden sich Musiklehrerinnen und -lehrer, die mit ihren Schülern Opern, Operetten oder Musicals aufführen. Den damit verbundenen enormen zeitlichen und kräftemäßigen Mehraufwand nehmen sie gerne auf sich, da sie von der enormen Bedeutung solcher Projekte überzeugt sind. Der Zusammenhalt in der Fachschaft Musik und die Zusammenarbeit mit anderen Fachschaften ist der Erfolgsgarant der Produktionen. Besonders herausragende Projekte waren zum Beispiel die Aufführung der Opera comique „Die schöne Helena“ von Jacques Offenbach oder der „Piraten von Penzance“ von Gilbert und Sullivan. Im Jahr 2015 konnten die Carmina Burana in insgesamt elf Aufführungen realisiert werden, darunter sieben Open-Air-Veranstaltungen auf dem Freisinger Domberg mit über 600 Mitwirkenden. Man sieht: Der Geist Camerlohers wirkt in Freising immer noch nach!

Gunther Brennich, unter Verwendung von Materialien von Rudolf Goerge und Sabina Lehrmann

  • Die Festschrift zur Aufführung, die neue Erkenntnisse zu Leben und Werk des Placidus von Camerloher enthält, ist im Landratsamt Freising gegen eine Schutzgebühr von fünf Euro erhältlich.
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