Im Refrain vom Lied über den Hühnerstreit schallte lautstark intoniert von vielen grünen und blauen Hühnern und allerhand anderen Tieren ein kräftiges „Kiickeriikii!“ von der Bühne. In bunten Kostümen, vor liebevoll gestalteter Kulisse präsentierten Mitte April rund 30 Schüler der integrativen Musiktheatergruppe der Städtischen Sing- und Musikschule München und der Bayerischen Landesschule für Körperbehinderte im Münchner Gasteig das Musiktheaterstück „Der Hahn von nebenan“.
Die integrative Musiktheatergruppe unter der Leitung von Tilman Häuser und Birgit Stahl-Tröndle entwickelte das Musikstück anhand von Kindergedichten verschiedener Autoren. Die Geschichte rund um den Hühnerstreit hat der Münchner Komponist Heribert Riesenhuber vertont, der schon öfter Kompositionsaufträge für die Landesschule übernommen hat. Die Geschichte erzählt vom Streit eines Hühnervolkes über die Frage, welcher der beiden Hähne der verfeindeten Hühnergruppen der schönste mit der eindrucksvollsten Stimme sei. Erst das Drama um die junge Liebe zwischen einem Schmetterling und einer Blume kann das gestörte nachbarschaftliche Verhältnis kitten. Konzentriert bei der Sache, mit großem Engagement und viel Herz sangen, spielten und tanzten gemeinsam behinderte und nichtbehinderte Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren. Musikalisch begleitet wurde ihr Spiel von einem vierköpfigen Musikschul-Ensemble.
Das integrative Musiktheaterprojekt der Städtischen Sing- und Musikschule und der Landesschule für Körperbehinderte ist bereits das vierte in Folge. Vor fünf Jahren begann die Kooperation. Brigitte Richter, Fachbereichsleiterin an der Sing- und Musikschule, suchte damals den Kontakt zur Landesschule.
„Die dortige Musiklehrerin Birgit Stahl-Tröndle hatte für die Idee der Zusammenarbeit sofort Feuer gefangen“, erinnert sie sich. Gemeinsam mit der Landesschule realisiert der städtische Musiktheaterzug seither integrative Musikprojekte. Richters Fachbereich mit dem Titel „Musikerziehung für behinderte Kinder und Jugendliche“ betreut und unterstützt die Integrativgruppen der Sing- und Musikschule vom Früherziehungsunterricht bis zum Ensemblespiel. „Der Musiklehrerin der Landesschule und dem Musikschullehrer Tilman Häuser ist es vor allem zu verdanken“, sagt Richter, „dass Jahr für Jahr an neuen Melodien, Texten, Instrumentalbegleitungen und Choreographien geübt und gefeilt wird“. Jahr für Jahr treffen behinderte mit nichtbehinderten Kindern zusammen und begegnen sich Eltern unterschiedlichster Typen. Das bedeutet, eine Fülle an verschiedensten persönlichen Voraussetzungen, Fähigkeiten und Bedürfnissen zu koordinieren. Aber bei aller Vielfalt, wenn es um das gemeinsame Projekt geht, ziehen die Kinder an einem Strang. Sie stellen momentane Bedürfnisse hinten an, weil sie die Freude am gemeinsamen Singen und Musizieren, die Konzentration auf eine Sache und das Hinwirken auf ein gemeinsames Ziel hautnah erleben. Die Faszination der Musik und der Stolz darauf, in einem besonderen Rahmen etwas ganz Besonderes zu können, verwandeln alle Anstrengungen in ein positives Gefühl. Das hat inzwischen auch die Eltern angesteckt: „Sie erarbeiten Kostüme und Requisiten, schieben die Kulissen und übernehmen zahllose Fahrdienste zu den Proben“, erzählt Richter. Der Gemeinschaftssinn unter Kindern, Eltern und Lehrkräften ist vorbildlich. Das Wort „Integration“ will hier jedoch keiner so recht verwenden. Das würde nur als Alibi empfunden. Dann lieber von einem „Miteinander“ sprechen. Denn auch die Eltern mussten erst zusammenwachsen, das Miteinander lernen und schließlich mit Leben füllen. Die Bemühungen der Lehrkräfte haben sich gelohnt: „Berührungsängste gibt es in der Zwischenzeit nicht mehr. Alle Kinder werden von allen Erwachsenen gemeinsam betreut, jeder fühlt sich gleichermaßen verantwortlich“, erklärt die Fachbereichsleiterin.
Die Rollen der jungen Schauspieler sind maßgeschneidert und werden entsprechend den jeweiligen Fähigkeiten entwickelt. In einem Theaterstück rollte einmal ein Taxi über die Bühne. „Der Rollstuhl fahrende Junge, ausgestattet mit Hupe und allem, was ein Taxi benötigt, hatte jede Menge Spaß in seiner Rolle als Taxifahrer“, erzählt Richter. Natürlich müssen spezielle Vorgehensweisen und ein unterschiedliches Tempo bei der Einstudierung berücksichtigt werden. Für Kinder mit Problemen im Bereich der Wahrnehmung bedeutet Musiktheater, sich auf dem begrenzten Bühnenraum in sehr komplexen Spielsituationen singend zu bewegen. Vor einem vielfältigen Reizhintergrund muss die Aufmerksamkeit auf den zeitlichen Ablauf der Handlung konzentriert bleiben. Bewegungen müssen koordiniert werden, gleichzeitig wird weitergesungen und der nächste Einsatz vorbereitet. Aber all dies ist auch für nichtbehinderte Mitspieler nicht selbstverständlich und muss intensiv geübt werden.
In der jüngsten Aufführung brachten alle Schüler Höchstleistung auf gleichem künstlerischen Niveau. Ein Unterschied zwischen Kindern mit und ohne Behinderung ist auf der Bühne ohnehin nicht mehr festzustellen. „Oft haben die Kinder mit einer Behinderung mehr Power, als man vermutet“, berichtet Häuser aus seiner Praxis. Mögen behinderte Kinder auf ihr Umfeld auch „anders“ wirken, ihr Wesen zeichnet so viel Spontaneität und Offenheit aus, dass nichtbehinderte Kinder erheblich davon profitieren könnten, so Häuser.
Im nächsten Schuljahr wird der gemeinsame Musiktheaterzug weiterfahren. Für die Kinder der Landesschule und der Städtischen Sing- und Musikschule sowie deren Eltern und Lehrkräfte gibt es viel zu tun. Neue Stücke, Lieder, Texte, Kostüme - neue Inszenierungen entstehen. Die intensive und zeitaufwändige Kooperation erfordert von allen Beteiligten sehr großes Engagement. Da ist es von Vorteil, dass die meisten wissen, worauf sie sich einlassen. Die Neulinge in der integrativen Musiktheatergruppe können so auch besser eingebunden werden. Die Musiklehrerin Stahl-Tröndle möchte in Zukunft den Kontakt sogar noch stärker ausbauen und plant, die Kinder der Sing- und Musikschule zu einem Spielnachmittag in die Landesschule einzuladen. Dort gibt es nämlich einen Riesenspielplatz. Bis es jedoch soweit ist, werden die Hühner noch einige Male lautstark „Kiickeriikii!“ intonieren. Weitere Informationen zur integrativen Musiktheatergruppe bei Brigitte Richter unter Tel. 089/48 09 84 01.