Die „Aschaffenburger Nachrichten für Musik und Musikliteratur“ vom November 1928 vermelden: „Die Öffentlichkeit erhielt Kenntnis von Bemühungen zur Gründung einer Aschaffenburger Singakademie. Ihr Tätigkeitsgebiet wird mit der Pflege des Madrigals, der Kantate und des Oratoriums umrissen; ihre Mitarbeiter wirbt sie in jenen musikkulturbewußten Kreisen, die eine Stadt von 35.000 Einwohnern immerhin zu bergen erhoffen läßt.“ Damals blieb es bei der Absicht, eine Singakademie zu gründen und auch die im Jahr 1924 gegründete Singschule, die der Aschaffenburger Musikschule angegliedert wurde, bestand nur bis zum Jahr 1935 und musste dann mangels entsprechender Nachfrage wieder geschlossen werden.
Viel mehr Erfolg hatte Stefan Claas. Er gründete 2009 unter dem Motto „Vom Kinderlied zur Bachmotette“ in Aschaffenburg ein Kooperationsmodell, das Aschaffenburger Grundschulen, den Kammerchor Ars Antiqua Aschaffenburg und die Städtische Musikschule miteinander verband.
Mit der Singakademie schuf er ein durchgängiges vokales Bildungskonzept, das, beginnend mit den Singklassen in den ersten beiden Jahrgangsstufen über die Grundschulchöre, den Kinder- und Jugendchor Ars Antiqua, bis hin zum Kammerchor Ars Antiqua und dem Projektchor der Städtischen Musikschule reicht. Der Strukturplan sieht vor, dass nach jeder Ausbildungsstufe ein alters- und bedarfsgerechtes Anschlussangebot folgt. Kinder entwickeln unter professioneller Leitung und entsprechenden Rahmenbedingungen Freude am Singen und werden über die Singklassen zu weiterführender vokaler und instrumentaler Betätigung angeleitet. Dadurch wird die Basis für einen qualifizierten Chornachwuchs geschaffen. Zwischenzeitlich existiert das Bildungskonzept der Aschaffenburger Singakademie lückenlos, rund 500 Sänger*innen (Singklassen, Schulchöre, Kinder-, Jugend-, Kammer- und Projektchor) sind daran beteiligt. Bemerkenswerter Nebeneffekt: 50 % der Singklassenabsolvent*innen aus den Grundschulen lernen an der städtischen Musikschule ein Instrument. Höhepunkte der Aschaffenburger Singakademie waren die Aufführungen von Bachs Weihnachtsoratorium, Händels Messias und Mozarts Requiem. Im Juli 2018 folgte in zwei Konzerten die Präsentation des Nachwuchses mit rund 300 Beteiligten und die Aufführungen von Carl Orffs Carmina Burana zusammen mit dem Lehrer-/Schüler*innenorchester der städtischen Musikschule.
Stefan Claas war an der städtischen Musikschule Aschaffenburg seit 2006 beschäftigt, zunächst als Leiter, dann als für die Singakademie Verantwortlicher in den Fächern Gesang, Singklassen und Chorleitung. Mit klarer konzeptioneller Vorstellung, außerordentlichem musikpädagogischen Geschick und unermüdlichem Einsatz stellte er unter Beweis, dass Kinder auch heutzutage noch für das Singen zu begeistern sind, wenn es mit Sachverstand, Begeisterungsfähigkeit und musikalischer Überzeugungskraft vermittelt wird. Stefan Claas vereinte diese Voraussetzungen in sich und wusste sie in unnachahmlicher Weise einzusetzen. Am 16. November 2021 verstarb er nach schwerer Krankheit. „Musik kann man nicht machen – man kann nur versuchen, die Bedingungen dafür zu schaffen, damit Musik entstehen kann.” Diese Aussage des rumänischen Dirigenten Sergiu Celibidache war Stefan Claas’ Leitlinie und Anspruch für sein gesamtes künstlerisches Schaffen, das von Demut der Kunst gegenüber geprägt war. Sein Tod reißt eine schmerzliche Lücke in das kulturelle Leben der Stadt Aschaffenburg. Der ehemalige Geschäftsführer des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen e. V. Werner Mayer reagierte auf die Todesnachricht mit den Worten: „Die Vokalwelt, insbesondere die der jungen Sänger, verliert einen pädagogisch-künstlerischen Edelstein.“