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Gemeinsam Verantwortung tragen

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Die Potsdamer Erklärung des VdM zur Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft
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Wer seine Ziele selbstbewusst offenlegt, zeigt Verantwortungsbereitschaft. Genau diese bewies der Verband deutscher Musikschulen mit der einstimmigen Verabschiedung der Potsdamer Erklärung auf seiner Hauptarbeitstagung am 16. Mai 2014.

Der selbstgestellte Auftrag lautet, nicht nur einzelne Menschen bestmöglich musikalisch zu fördern, sondern jedem Menschen, der will – und bereit ist, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten für sein musikalisches Ziel zu engagieren – ein diskriminierungsfreies und niederschwelliges Angebot zu machen, um Neigungen und Begabungen zu entwickeln und auszubauen.

Die Zuständigkeit öffentlicher Musikschulen schließt alle Menschen ein. Nun gilt es, vorausschauend die eigenen Möglichkeiten (finanziell, räumlich, zeitlich, etc.) realistisch zu bewerten und daraus die eigene Verantwortung für die Zielerreichung vor Ort abzuleiten.

Mit der Potsdamer Erklärung verpflichtet sich jede öffentliche Musikschule, die notwendigen Voraussetzungen für eine mögliche Teilhabe aller an musischer Bildung zu schaffen. Unmissverständlich wies der VdM-Bundesvorsitzende, Prof. Ulrich Rademacher, in Potsdam jedoch auch darauf hin, dass die Musikschulträger und die Bundesländer den Musikschulen verlässlich finanzielle Unterstützung gewähren müssen, damit diese den Anspruch der Musikschulen, „Angebotsschulen für alle“ zu werden, zuverlässig und nachhaltig erfüllen können. „Jedem Kind, dem wir mit dem Anspruch auf Inklusion einen Zugang zur Musikschule geöffnet haben, sind wir eine anschließende qualitätvolle, individuelle und gemeinschaftliche Förderung schuldig!“

Die individuelle Förderung von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senioren, von Menschen mit Migrationshintergrund, von Hochbegabten oder von Menschen mit Behinderung im gemeinsamen Lernraum der Musikschule, macht diese zu einem Möglichkeitsraum, der weit über das Instrumentalspiel hinausweist und belegt, dass das Leitbild der Inklusion keine Vision bleiben muss.

Die Bayerische Bildungspolitik fordert einen bewusst gestalteten Umgang mit der Vielfalt aller Menschen (Bayerische Bildungsleitlinien, 2012) und erkennt darin eine Chance für jeden Einzelnen und für unsere gesamte Gesellschaft. Durch die Beseitigung aller Barrieren kann die bestmögliche Entfaltung jedes Menschen gelingen. Die inklusive Pädagogik geht vom Individuum aus und ermutigt es, eigene Stärken (Begabungen) zu entdecken und auszubauen, um mit diesen Fähigkeiten eigene Lebenswege und Lebensräume selbstbestimmt gestalten zu können (Empowerment).

Gleichzeitig geht es um unser demokratisches Gesellschaftssystem als Ganzes, um den Zusammenhalt im Inneren und auch um seinen wirtschaftlichen Erfolg!

Die Erkenntnis: Unser vergleichsweise kleines Land steht weltweit gerade deshalb wirtschaftlich so herausragend da, weil unsere Gesellschaft erkannt hat, dass sie nachhaltig nur dann erfolgreich sein kann, wenn viele Menschen aus Überzeugung sozial und solidarisch handeln.

Allein die bestmögliche Bildung aller Menschen und die verantwortliche Unterstützung öffentlicher Lernräume, in denen der Einzelne Möglichkeiten sinn-erfüllender Tätigkeiten findet, Selbstwirksamkeit erfährt und in diesem Zusammenhang auch Verantwortungsbereitschaft entwickeln kann, stärkt diese Überzeugungen und sichert ein friedliches Miteinander unserer Gesellschaft(en).

Kulturelle Bildung – und dazu gehört selbstverständlich auch musische Bildung – ermöglicht ein verstehendes Erleben von Verantwortung und lässt gleichzeitig den Sinn eigener Anstrengungen als Beitrag zu einer Solidargemeinschaft erkennen. Inklusion erklärt nicht nur das Recht auf voraussetzungslose, chancengerechte und ausnahmslose Teilhabe aller Menschen, sondern fordert unauflöslich damit verbunden auch die Pflicht zu einer verantwortungsbewussten und zumutbaren Teilnahme an der Erfüllung gemeinsamer Aufgaben.

Die Musikschulen werden die Probleme unserer immer komplexer werdenden Welt nicht alleine lösen. Aber sie tragen dazu bei, den Sinn von Bildung, von Wissen und Können beispielhaft und beispielgebend erfahrbar zu machen: dergestalt, dass die Bereitschaft jedes Einzelnen wächst, sowohl für sich als auch für andere und für das Gemeinsame Verantwortung zu übernehmen und diese vor allem auch in die Tat umgesetzt wird. Inklusion ist das Gegenteil von Gleichmacherei. Konkret bezogen auf musische Bildung: Nicht jeder Mensch muss Musik machen. Aber jeder Mensch sollte durch freudvolle Erfahrungen mit Musik befähigt werden, seinem Willen entsprechend Musik aktiv oder passiv genießen zu dürfen. Musikschulen sorgen dafür, dass viele mitmachen wollen und alle, die wollen, mitmachen können.

Das Recht auf Bildung mussten die in der Geschichte als unbildbar Bezeichneten (bzw. meist deren Eltern) erkämpfen. In einem nächsten Schritt der „Normalisierung“ wird aber auch für Menschen mit Behinderung oder Menschen mit Migrationshintergrund eine Debatte über eine Pflicht zur bestmöglichen eigenen Bildung zu führen sein, weil erst diese eine größtmögliche Mitentscheidung (beziehungsweise Mitverantwortung) für sich und für andere erlaubt.

Da die Teilnahme aller an gesellschaftlichen (Entscheidungs-)Prozessen – unabhängig von Alter, Behinderung oder kulturellem Hintergrund – ebenso wie das „Lernen“ ein eigenaktiver Prozess ist, wird es darum gehen, allen Menschen neben der Möglichkeit einer Teilhabe auch die Notwendigkeit einer Mitverantwortung für die Gesellschaft einsichtig zu machen. Die Gesellschaft und die Pädagogik haben es in der Hand, den Willen zur Teilnahme (z.B. am Musikschulangebot) vielfältig zu unterstützen. Niederschwellige Angebote, Gemeinschaftserlebnisse, Erfahrungen, die die eigene Selbstwirksamkeit erleben lassen, Erfolgserlebnisse, finanzielle Hilfen, Assistenzen oder angepasste Instrumente ermuntern und ermutigen auf vielfältige Weise. Es geht darum, ein Angebot so attraktiv und annehmbar zu gestalten, dass der Mensch es annehmen kann und will und im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst aktiv wird.

Musikschulen haben hier, wie andere öffentliche Bildungseinrichtungen auch, eine lange vernachlässigte Bringschuld ihr Angebot betreffend. Der VdM geht diesen Weg mutig und richtungsweisend voran. Vor allem auch, indem er den Begriff der Inklusion als Leitbild für alle Menschen begreift und nicht auf Menschen mit Behinderung beschränkt.

Mit der Potsdamer Erklärung liegt ein gemeinsames Bekenntnis aller Musikschulen zu einem aktiven Beitrag zur Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft vor. Nun kommt es darauf an, vor Ort Strukturen zu schaffen und die Personal- und die Unterrichtsentwicklung so voranzubringen, dass aus einer gemeinsamen Haltung ein gemeinsames Handeln zum Wohle des einzelnen Menschen wird, dass die Musikschule als Ganzes also wirklich „zu einem Modell dafür wird, wozu sie erzieht, zur Bereitschaft mitzugestalten und Verantwortung im Rahmen der eigenen Möglichkeiten zu übernehmen“.

Die Musikschule der Zukunft ist inklusiv: Vielfältig – aber niemals beliebig – dem Menschen verpflichtet.

Robert Wagner, Vorsitzender des VdM-Fachausschusses Menschen mit Behinderung/Inklusion, Leiter der Musikschule Fürth e.V.

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