Von Anton zum Beispiel, der seit zehn Jahren eine öffentliche Musikschule besucht, Posaune spielt und derzeit eine Ausbildungsstelle in einem Wirtschaftsunternehmen sucht. Oder Eva, die demnächst Abitur macht und seit acht Jahren Violoncello an der örtlichen Musikschule lernt.
Sie bekommen von ihren Musikschulen ein Zertifikat ausgestellt, das ihre technischen Fertigkeiten im Instrumentalspiel, ihre Entwicklung von Musikalität und ihre Stärken und Kompetenzen dokumentiert. Die Musikschulleitungen können die beiden Schüler für die Auszeichnung mit dem Kompetenznachweis Musik (KNM) vorschlagen, weil sie sich in besonderer Weise eingebracht haben: Über viele Jahre haben sie sich im Musikschulunterricht das Handwerkszeug angeeignet, das man braucht, um mit seinem Instrument musizieren zu können. Mit ihren Instrumenten sind sie auch groß geworden, haben regelmäßig geübt und Stück für Stück dazugelernt. Vom bloßen Üben im „stillen Kämmerlein“ allerdings haben sie sich längst verabschiedet. Mittlerweile musizieren sie seit vier Jahren regelmäßig in Ensembles. Das Mitwirken an öffentlichen Auftritten ist fast schon zur Selbstverständlichkeit geworden. Und wie ein Basketballspieler, der sich auf einem Garagenvorplatz im Korbwurf perfektioniert hat, sehnten sich auch die beiden Musikschulschüler danach, das Erlernte ausprobieren zu können und sich mit anderen zu messen. Anton absolvierte mehrere Wertungsspiele und bestand die D-2 Prüfung des Bayerischen Blasmusikverbandes. Bei Eva kam der große Erfolg mit der Teilnahme am Wettbewerb „Jugend musiziert“. Sie gewann mehrmals auf Regionalebene und auf Landesebene. Dieser Musikwettbewerb versammelt so viele Gleichaltrige ein und desselben Instruments an einem Ort, da lag es nahe, dort eine Standortbestimmung vorzunehmen: „Ich wollte wissen, wo ich im Vergleich zu anderen stehe“, erinnert sich Eva. All die musikalischen Fähigkeiten und Leistungen der beiden Musikschüler dokumentieren die Zertifikate – und mehr noch: Sie geben Auskunft über zusätzliche Kompetenzen und Stärken der Jugendlichen. Eva zum Beispiel hat während ihrer langjährigen Ausbildung an der Musikschule gelernt, ihre musikalischen Fähigkeiten einzuschätzen und die Leistungen anderer anzuerkennen. Anton hat beispielsweise durch die Organisation einiger Auftritte mit seinem Bläserensemble erfahren, was es bedeutet, Verantwortung zu tragen und neuen Herausforderungen willensstark zu begegnen. Das alles sind Stärken und Kompetenzen, die auch außerhalb des Musiklebens hilfreich sein können.
Transfereffekt Schlüsselkompetenzen
„Die tägliche Musikschularbeit zeigt, wie sich Schlüsselkompetenzen bei Schülern ausprägen können,“ weiß Hermann Schnabel, Leiter der Musikschule Unterhaching und Mitglied des Arbeitskreises „Kompetenznachweis Musik“. In der Musikschule wird zum Beispiel Wahrnehmung, Fantasie und Ausdrucksfähigkeit des Musikschülers, aber auch dessen Toleranz gefördert – sei es nun im Zusammenspiel mit anderen Musizierenden oder im Austausch mit den Lehrern. Das Erarbeiten eines Werkes und dessen Interpretation im Ensemble verlangt nun einmal Kooperationsfähigkeit, aber auch den Mut zum Konflikt: Also muss unter anderem über Tempi, Einsätze, Linienführung diskutiert werden, bis eine allseits befriedigende Wiedergabe zustande kommen kann.
„Der Wert des Musikschulunterrichts besteht natürlich in erster Linie im Singen und Musizieren“, betont Josef Dichtl, VBSM-Geschäftsführer. Sich durch Musik ausdrücken zu können und sie gemeinsam mit anderen zu erleben, das wollen die Musikschulen bei ihren Schülern erreichen. Dennoch: Neben dem eigentlichen Zweck des Musizierens, nämlich Musik zu erleben, stellen sich bei den Kindern und Jugendlichen bestimmte Zusatzeffekte ein. So verbessern sich unter anderem die sozialen Beziehungen in musizierenden Gruppen; die kognitive Entwicklung und die sprachlichen Fähigkeiten der Kinder werden intensiviert und bei konzentrationsschwachen Kindern wird die Konzentration gefördert. Die Musikerziehung ist folglich für die persönliche Entwicklung der Kinder vorteilhaft. Alois Glück, Präsident des Bayerischen Landtags, forderte beim Bayerischen Musikschultag in München mehr Beachtung dieses Tatbestandes sowohl in der pädagogischen Diskussion als auch bei Eltern und Kommunalpolitikern: „Musikerziehung ist kein Schönheitspreis, sondern ein zentraler Beitrag zur Persönlichkeitsbildung der jungen Bevölkerung.“
Mehr Qualifizierung als Bestätigung
Wie sich das Musizieren auf die persönliche Entwicklung der jungen Leute auswirkt, erleben die Lehrerinnen und Lehrer der 215 Musikschulen in Bayern in ihrer täglichen Arbeit. Was aber macht man mit dieser Beobachtung? Zur Nachhaltigkeit der öffentlichen Musikschularbeit gehöre es, so Josef Dichtl, Rechenschaft darüber abzulegen, wie sich musikalische Bildung auswirkt. Deshalb habe man vor einem Jahr mit der Erarbeitung des Kompetenznachweises Musik begonnen. Gedacht ist das Zertifikat als Anerkennung und Würdigung von außerschulisch erworbenen Kompetenzen. Es dokumentiert sowohl die instrumentale oder vokale Fachkompetenz als auch zusätzliche Fähigkeiten und Stärken des Musikschülers. Junge Erwachsene können das Zertifikat gut ihrer Bewerbungsmappe beilegen, weil es eine ergänzende Möglichkeit bietet, sich bei einer Bewerbung zu profilieren.
Das Zertifikat sei keinesfalls nur als Teilnahmebestätigung für Musikschulunterricht zu verstehen, so der VBSM-Geschäftsführer. „Wir wollen den Jugendlichen ihre tatsächliche Qualifizierung, die sie durch die langjährige musikalische Ausbildung erlangt haben, bescheinigen.“ Da dies aber in der Umsetzung nicht so einfach ist, dürfen nur dafür geschulte Musikschulleiter oder beauftragte Lehrkräfte das Verfahren zur Zertifikatsausstellung durchführen. „Das Dokument soll keine Massenware werden, das allen Schülern willkürlich in die Hand gegeben wird“, betont Josef Dichtl. So gelten einerseits für die ausstellenden Musikschulleiter strenge Verfahrenskriterien. Andererseits müssen die Schüler bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wie zum Beispiel mindestens sechs Jahre Regelunterricht an einer Musikschule absolviert zu haben sowie mindestens vier Jahre kontinuierliche Ensemblearbeit und herausragende musikalische Leistungen vorweisen zu können (siehe auch grauer Kasten).
Zwei Ministerien unterzeichnen
„Der Kompetenznachweis Musik der Sing- und Musikschulen in Bayern ist ein neuartiges Zertifikat, das in Deutschland bisher einmalig ist“, erklärt Josef Dichtl. Vor allem die Ausgestaltung des Nachweises und die Mitwirkung der beiden Staatsministerien für Wissenschaft, Forschung und Kunst sowie für Unterricht und Kultus, machen das Dokument so einzigartig. Als der VBSM das Konzept den Ministerien vorstellte, entschieden sich diese nicht nur für eine Unterstützung dieser qualitätssichernden Maßnahme, sondern erklärten sich bereit, die Kompetenznachweise zu unterzeichnen. So werden die Zertifikate nun gemeinsam von den beiden Ministerien und dem VBSM ausgestellt. Weitere Informationen, Info-Flyer sowie die nächsten Schulungstermine für Lehrkräfte erhalten Interessenten in der VBSM-Geschäftsstelle, Tel. 08 81/20 58.
Welche Schüler können den Kompetenznachweis Musik erwerben?
Der Kompetenznachweis wird an Schülerinnen und Schüler ab dem 15. Lebensjahr mit herausragenden musikalischen Leistungen und Fähigkeiten verliehen. Voraussetzungen sind:
- Unterricht an einer öffentlichen Sing- und Musikschule: mindestens sechs Jahre kontinuierlicher Instrumental- beziehungsweise Gesangsunterricht und mindestens vier Jahre kontinuierliche Mitwirkung in Musikschulensembles beziehungsweise Ensembles von Kooperationspartnern
- Regelmäßige Teilnahme an den öffentlichen Veranstaltungen der Musikschule beziehungsweise des Trägers
- Herausragende musikalische Leistungen – zum Beispiel Wettbewerbe oder Leistungsprüfungen
- Die Fachlehrkraft oder die Musikschulleitung wählen die Schüler aus, die für den Kompetenznachweis Musik in Frage kommen könnten. Die Schüler oder ihre Eltern haben allerdings keinen Anspruch auf die Ausstellung des Kompetenznachweises.