Interview mit dem ersten Präsidenten des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen (VBSM), Herrn Altoberbürgermeister der Stadt Kempten (Allgäu) Dr. Josef Höß, zum 50-jährigen Jubiläum des VBSM. Die Fragen stellte Reinhard Loechle, Musikschulleiter i.R., Ehrenmitglied des VBSM.
Reinhard Loechle: Sehr geehrter Herr Dr. Höß, wie kam Ihr erster Kontakt zum Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen e. V. (VBSM) zustande, und wie kam es zum Vorschlag Ihrer Person als Präsidenten des VBSM?
Dr. Josef Höß: In den sechs Jahren seit der Gründung des VBSM 1970 waren pro Jahr etwa sieben bis acht neue Musikschulen in Bayern hinzugekommen. Aus 67 Einrichtungen waren 113 öffentliche Sing- und Musikschulen entstanden. Die staatliche Förderung für alle diese Einrichtungen war bei 0,5 Millionen D-Mark stehen geblieben. Das waren 2,3 Prozent der Lehrpersonalausgaben, eine jämmerliche Quote.
In der Mitgliederversammlung 1976 in Sulzbach-Rosenberg trat der aufgestaute Unmut mit Macht zutage. Die Mitglieder beklagten eine zu geringe politische Wirksamkeit des Verbandes, eine dilettantische Arbeit des Vorstandes und eine völlig unzureichende Präsenz in der Öffentlichkeit. Der Verband führe ein Schattendasein. Sie forderten die Umwandlung des Verbandes in einen harten Interessenverband mit einer besonders aktiven Vorstandschaft. An der Spitze des Verbandes sollte künftig ein Präsident aus der Politik stehen. Gesagt, getan: In der Mitgliederversammlung 1977 in Schweinfurt wurde die notwendige Satzungsänderung beschlossen. Der Leiter „meiner“ Sing- und Musikschule in Kempten, Herr Karl Faller, schlug mich als Präsidenten vor. Ich wurde – bei berufsbedingter Abwesenheit – von der Mitgliederversammlung einstimmig zum Präsidenten des Verbandes gewählt. In der Erinnerung ist mir, als wäre ich darüber vorher gar nicht recht informiert worden. Verblüfft über die ehrenvolle Berufung nahm ich aber gerne an.
Loechle: Die Mitglieder des VBSM hatten hohe Erwartungen an die politische Wirkung des ersten Präsidenten. Wie sehen Sie rückwirkend die ersten Jahre als VBSM-Präsident?
Höß: Die politische Arbeit begann rasant. Wir suchten sofort Kontakt mit zuständigen Landtagsabgeordneten und einschlägigen Landtagsausschüssen. Überall begegnete uns überraschtes Interesse an der neuen Aktivität unseres Verbandes, fast so, als hätte man dessen bisheriges stilles Wirken als erstaunlich und bedauerlich wahrgenommen. Wir erhielten Termine bei Kultusminister Prof. Dr. Hans Maier und bei Finanzminister Max Streibl. Überrascht und erstaunt erlebte der Verband, dass wir, der 1. Vorsitzende Ludwig Gebhard, der Geschäftsführer Werner Mayer und ich als Präsident, zu einem Gespräch mit Herrn Ministerpräsidenten Dr. Alfons Goppel geladen waren. Überall begegneten wir aufrichtigem Interesse und ehrlichem Wohlwollen gegenüber unserem Anliegen: nämlich die Sing- und Musikschulen in Bayern im weiten politischen Raum bewusster wahrzunehmen und zu unterstützen.
Als erstes äußeres Zeichen dafür stieg der Staatszuschuss 1978 von 0,528 auf 1,95 Millionen D-Mark. Das entsprach etwa 8,5 Prozent der Lehrpersonalausgaben. Wir haben für unsere Schulen in den folgenden Jahren eine stabile, sich ständig – wenn auch langsam – verbessernde Finanzausstattung erreicht. So ist die staatliche Förderung bei 116 Schulen im Jahr 1977 in Höhe von 0,5 auf 15 Millionen D-Mark bei 221 Schulen im Jahr 1992 gestiegen, also von 2,3 auf 10,7 Prozent Anteil an den Lehrpersonalausgaben.
Loechle: Ein Meilenstein war die „Verordnung über die Führung der Bezeichnung Singschule und Musikschule“ (Sing- und Musikschulverordnung) vom 17. August 1984 mit dem Ziel eines konsequenten Namensschutzes für die Sing- und Musikschulen in Bayern. Welche Bedeutung hatte diese Rechtsverordnung für den Verband?
Höß: Wir haben mit der damals gewagten rechtlichen Konstruktion einer Rechtsverordnung unseren Schulen ein sicheres rechtliches Fundament verschafft. Auf dem Musikmarkt tummelten sich schon damals eine Menge von Anbietern unterschiedlichster Musik-Lern- und -Lehrmethoden. Sie bewegten sich in einem Klima der allgemeinen Aufbruchsstimmung, die seit Beginn der 70er Jahre festzustellen war. Es ging uns nicht darum, alle diese vielfältigen Angebote zu schmähen und in ihrer nachhaltigen Wirksamkeit gering zu achten. Uns ging es um Begriff und Inhalt einer Musikschule. Unser Bemühen zielte auf eine grundsätzliche Klärung, wer sich überhaupt künftig Musikschule sollte nennen dürfen. Wir wollten als eine Bildungseinrichtung gelten, die ein breites fachliches Angebot, ein qualifiziertes und in seiner Rechtsstellung stabiles Fachpersonal, eine geordnete Organisation und eine möglichst sozial gestaltete Palette der Unterrichtsentgelte aufwies. Mit der Sing- und Musikschulverordnung war dieses Ziel glücklich erreicht.
Loechle: Wie kam es zur Etablierung der Carl Orff–Medaille des VBSM für herausragende Verdienste um das Musikschulwesen in Bayern?
Höß: Ministerialrat Dr. Erich Stümmer, unser Referent im Kultusministerium, hatte bereits 1979 angeregt, eine Medaille des VBSM als Auszeichnung für besondere Verdienste um das Sing- und Musikschulwesen zu schaffen. Der Vorstand begrüßte die Idee, entschied sich für einen bayerischen Namensgeber und entschloss sich, Carl Orff anzusprechen. Orff sollte seinen 85. Geburtstag feiern, der Anlass schien günstig zu sein. Unser 2. Vorsitzender, Musikdirektor Joseph Kraus (Schongau), kannte Orff persönlich aus vielen fachlichen und persönlichen Verbindungen. Er stellte den Kontakt her. Joseph Kraus, Geschäftsführer Werner Mayer und ich als Präsident konnten bei einem persönlichen Besuch in St. Georgen am Ammersee Carl Orffs Zustimmung zur Verwendung seines Namens und zur Gestaltung der Medaille erwirken. Carl Orff persönlich zu erleben, zumal bei sich zuhause, in seiner kernigen, bestimmten, urwüchsigen und uneitlen Art, und das Ergebnis des Gespräches, das wir nicht zu erhoffen gewagt hatten - all dies war auch für mich ein eindrucksvolles Erlebnis, das mich gerne verschmerzen ließ, dass ich die im Kemptener Rathaus stattfindende Stadtratssitzung meinem Stellvertreter zur Leitung überlassen hatte - das einzige Mal in 20 Berufsjahren.
Loechle: Für viele richtungsweisend war die Einweihung der neuen Musikschule in Kempten 1981. Wie kam es zu diesem Ereignis?
Höß: Mitte der 70er-Jahre erreichte mich im Rathaus ein Brandbrief des Leiters unserer Musikschule, Herrn Karl Faller. Darin schilderte er drastisch die Raumnot der Schule: Sie hatte kein Gebäude zur Verfügung, in dem sie zumindest im Schwerpunkt ihr breites Unterrichtsangebot darbieten konnte. Gelegentlich musste sogar ein Kohlenkeller als schnell verfügbarer Ausweichort dienen. Auf der Suche nach einer Gesamtlösung fanden wir einen glücklichen Weg.
1976 hatte die Stadt vom Allgäuer Brauhaus die alte fürstäbtlichstiftkemptische so genannte Stiftsmälzerei günstig übernommen. Das denkmalgeschützte Gebäude war seit langem nicht mehr gebraucht worden. Im Rahmen des „Zukunfts-Investitionsprogrammes“ für Bund und Länder konnte der aufgeschlossene Stadtrat die Finanzierung eines aufwändigen Umbaus zu einer Musikschule mit allen gewünschten Räumlichkeiten einschließlich Konzertsaal sicherstellen. So konnten wir unsere Stiftsmälzerei-Musikschule im Mai 1981 ihrer Bestimmung übergeben. Aus einem reinen Industrie-Spezialzweckbau war ein einmalig originelles Schulgebäude entstanden, das auch heute noch bei allen Interessierten, vor allem auch bei Eltern und Kindern, hohe Anerkennung findet.
Epilog von Dr. Josef Höß
Februar 2019
Es war ein spannender, interessanter Weg, den wir gemeinsam – im Team – gegangen sind. Ich selbst bin von Herzen dankbar, dass ich bei all dem mitwirken konnte und durfte. Es war eine ehrenvolle Aufgabe für mich. Die Mitarbeit im VBSM zähle ich zu den befriedigendsten Tätigkeitsfeldern in meinem beruflichen Leben.
Es handelt sich um den Vorabdruck von Teilen eines Interviews, das vollständig in der Festschrift „50 Jahre VBSM“ nachzulesen ist. Die Festschrift erscheint im September 2020 und ist über die Geschäftsstelle des VBSM zu beziehen.