„Vom Kinderlied zur Bachmotette“ – unter diesem Motto lud die Hanns-Seidel-Stiftung mit dem Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen e. V. und der Städtischen Musikschule Aschaffenburg am 25. April 2015 zu einer Fachtagung nach Aschaffenburg ein. Das in großer Zahl erschienene Fachpublikum erhielt Einblick in die Arbeit der Aschaffenburger Singakademie, die seit 2008 unter Leitung von Stefan Claas besteht und in Ko-operation zwischen der Musikschule, Grundschulen und dem Kammerchor „ars antiqua“ ein umfassendes musikalisches Bildungskonzept auf Basis des Singens realisiert.
In seiner Begrüßung ging Oberbürgermeister Klaus Herzog darauf ein, dass bereits im November 1928 an der ältesten deutschen Musikschule die Gründung einer Aschaffenburger Singakademie zur „Pflege des Madrigals, der Kantate und des Oratoriums“ verfolgt wurde. Bereits vier Jahre vorher war eine Singschule ins Leben gerufen worden, die zehn Jahre später mangels Schülern wieder geschlossen werden musste. Über mangelnde Nachfrage braucht sich die Aschaffenburger Singakademie heutzutage nicht zu beklagen: Derzeit erreicht dieses musikalische Bildungsgesamtkonzept rund 500 Kinder, Jugendliche und Erwachsene.
Die Landtagsabgeordnete Judith Gerlach betonte in ihrem Grußwort in Vertretung des Bayerischen Staatsministers der Justiz, Prof. Dr. Winfried Bausback, die Bedeutung derartiger Bildungskonzepte und wies darauf hin, dass der Staat in diesem Jahr erstmals ein Förderprogramm zur Unterstützung der Kooperationen von Musikschulen und Kitas beziehungsweise allgemeinbildenden Schulen aufgelegt hat. Die Projektleiterin der Landeskoordinierungsstelle Musik Birgit Huber überbrachte die Grüße des Staatsministeriums für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst und hob die Bedeutung vokaler Betätigung als elementarstem Zugang zur Welt der Musik hervor. Sie belegte eindrucksvoll, wie wichtig das Singen für ihre eigene musikalische Sozialisation gewesen sei und bezeichnete die Aschaffenburger Singakademie als ein herausragendes Beispiel für eine erfolgversprechende Kooperation verschiedener Bildungsträger. Dr. Franz Guber, Leiter des Instituts für Politische Bildung bei der Hanns-Seidel-Stiftung, erinnerte daran, dass der Namensgeber der Stiftung gebürtiger Aschaffenburger war und betonte die gesamtgesellschaftliche Bedeutung nachhaltiger musikalischer Bildungskonzepte. Der Präsident des Bayerischen Musikrats Dr. Thomas Goppel, MdL, verwies in seinem Impulsreferat „Zur Bedeutung des Singens im Kindesalter“ auf Erkenntnisse aus der Evolution, nach denen Singen in der Natur des Menschen liege. Er ging auf die Entstehung der Singbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert und die Gründungsbewegung von Singschulen im 20. Jahrhundert genauso ein wie auf den Missbrauch des Singens in Zeiten des Nationalsozialismus.
In der Reaktion auf die „nationalsozialistische musikalische Deutschtümelei“, die in dem Ausspruch Theodor W. Adornos „Singen tut nicht not“ gipfelte, sah er den Grund für eine wachsende Entfremdung vom Singen, deren Auswirkungen bis heute spürbar seien. Wissenschaftliche Erkenntnisse der heutigen Zeit beispielsweise des Neurobiologen Prof. Dr. Gerald Hüther, der im Zusammenhang mit Singen im Kindesalter von „Balsam für ihre Seele und Kraftfutter für ihr Gehirn“ spricht, sorgen dafür, dass die gesellschaftliche Akzeptanz des Singens wieder wächst. Dazu allerdings bedarf es nach der Überzeugung des Musikratspräsidenten der Orte des Singens und überzeugender musikpädagogischer Konzepte, die Kinder in altersgemäßer Weise an das Singen heranführen und ihnen Freude und Begeisterung für musikalische Betätigung vermitteln.
Stefan Claas, Lehrkraft an der Städtischen Musikschule Aschaffenburg und Leiter des national und international ausgezeichneten Kammerchors „ars antiqua“ Aschaffenburg, stellte die Aschaffenburger Singakademie in Theorie und Praxis vor. Er entwickelte in den vergangenen Jahren ein Kooperationsprojekt zwischen Musikschule, dem Kammerchor „ars antiqua“ und allgemeinbildenden Schulen, dem er den ambitionierten Titel „Vom Kinderlied zur Bachmotette“ gegeben hat. Sein Konzept verfolgt dabei das Ziel der Musikalisierung von Kindern an Musikschule und Grundschulen über das Singen und die Weiterführung des Bildungskonzepts von der Singklasse über den Kinder- und Jugendchor bis hin zur anspruchsvollen vokalen Betätigung im Kammerchor oder einem anderen Erwachsenenchor. Dabei geht es ihm um das Angebot eines durchgängigen Bildungswegs mit dem Ziel, nach jeder Ausbildungsstufe ein Anschlussangebot folgen zu lassen, das interessierten Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten weiterführender musikalischer Betätigung bietet, auch in den Instrumentalklassen der Musikschule. Nach Jahren der Aufbauarbeit ist dieser durchgängige Bildungsweg erfolgreich umgesetzt. Die Kooperation wird nun auf weitere Grundschulen ausgeweitet, ein Konzept zur Qualifikation für Lehrkräfte aus Grund- und Musikschulen, die sich für die Durchführung dieses Bildungskonzepts interessieren und eignen, wird entwickelt.
Das Aschaffenburger Modell ist in seiner durchgängigen Struktur und seinen Anschlussmöglichkeiten beispielhaft. Die bisher feststellbaren konkreten Resultate und Erfolge ermutigen dazu, es auszuweiten und als Beispiel einer auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit angelegten Zusammenarbeit mehrerer Bildungspartner einem weiteren Interessentenkreis vorzustellen.
Nach der Einführung folgten praktische Beispiele, dargeboten von den verschiedenen Abteilungen der Singakademie. Den Anfang machten die Singklassen der 1. und 2. Jahrgangsstufe. Stefan Claas präsentierte eine verkürzte Unterrichtsstunde, in der man erleben konnte, wie auf altersgemäße Art und Weise die Kinder mit dem Singen vertraut gemacht werden und elementare Kenntnisse der Musiktheorie vermittelt bekommen. Sie sangen Volkslieder und neue Kinderliteratur mit großer Begeisterung. Der danach folgende Kinderchor der Grünewaldschule (3. und 4. Klasse) unter Leitung von Almut Lang beteiligte sich mit fetzigen Songs aus Kindermusicals. Der Kinderchor „ars antiqua“ (5. bis 8. Klasse) präsentierte sich mit einem sehr abwechslungsreichen Programm aus anspruchsvollen vierstimmigen Sätzen. Der Jugendchor ars antiqua (8. bis 12. Klasse) folgte mit zwei Spirituals. Mit Teilen aus der Bachmotette „Jesu meine Freude“, dargeboten vom Kammerchor „ars antiqua“ schloss sich der Kreis vom Kinderlied zur Bachmotette. Zwischen den Chorbeiträgen standen jeweils Instrumentalbeiträge von Mitgliedern der Singakademie, die gleichzeitig an der Musikschule ein Instrument erlernen.
In der sich anschließenden Diskussion äußerten sich die Teilnehmer begeistert von dem überzeugenden Konzept, der fachlich hochkompetenten Umsetzung durch Stefan Claas und Almut Lang, den herausragenden Ergebnissen und den exzellenten Darbietungen, die von Teilnehmern mit der Bezeichnung „Sternstunde vokaler Unterrichtspraxis“ bezeichnet wurden. Fragen der Fort- und Weiterbildung wurden genauso besprochen wie die Frage der Übertragung dieses Modells auf weitere Kooperationspartner. Neben der Finanzierung wird insbesondere die Aus- und Weiterbildung von geeignetem Lehrpersonal als eine Herausforderung auf dem Weg zum Ausbau der Singklassenarbeit gesehen. Die Aschaffenburger Singakademie wird auch dazu entsprechende Angebote machen.