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In einem Halbkreis sitzen Musiker*innen unter einer Leinwand, die einen Schwarz-Weiß-Film zeigt.

Das „Profi-Musikschüler*innen-Ensemble“ des Stummfilmprojektes „Das kalte Herz“. Foto: Markus Lentz

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Zusammenspiel und Timing

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100 Jahre „Das kalte Herz“ mit Live-Musik in Grünwald
Vorspann / Teaser

Mit gerade mal einem Dreivierteljahr Vorbereitung erschafft die Musikschule Grünwald e. V. gemeinsam mit fünf Komponist*innen sowie Musiker*innen von der/gelbe/klang eine Filmmusik, die für die Zuschauer*innen – live und genau getaktet – den Stummfilm „Das kalte Herz“ aus dem Jahr 1923 zum Leben erweckt.

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Vor genau 100 Jahren wurde der Stummfilm „Das kalte Herz“ produziert – an derselben Stelle, an der die Musikschule Grünwald e. V. heute steht. 1920 durch Ernst Reicher gegründet, war hier früher das größte und modernste Filmatelier Deutschlands zu finden. Reicher gab das Atelier nur wenige Zeit später ab und es entstand das jüdische Filmatelier der Orbis Filmgesellschaft, welche 1923 dort den Stummfilm produzierte. Im Rahmen der historischen Aufarbeitung der Gemeinde Grünwald wurde das Education-Projekt mit der Musikschule in Kooperation mit dem Team von „der/gelbe/klang“ – Ensemble für aktuelle Musik durchgeführt.  

Fünf Komponisten und fünf Ensembles – bestehend aus jeweils einem*r Profi-Musiker*in, einer Lehrkraft der Musikschule sowie insgesamt 16 mitwirkenden Musikschüler*innen – arbeiteten von Mai bis Juli 2023 sowie im September und Oktober mit Hochdruck an der Umsetzung des herausfordernden Projektes. Für die Koordinatoren und Komponisten begann die Arbeit mit mehr Vorlauf, denn die Aufgabe war es, 60 Minuten Film mit Musik zu füllen. Dies war selbst für erprobte Komponisten – vor allem im Rahmen dieses außergewöhnlichen Projektes – eine große Aufgabe.

„Die vielen verschiedenen Szenen, in denen die Stimmung wechselt, verschiedene Tempi  – und der Film läuft gnadenlos weiter und die nächste Szene und der nächs­te Schnitt kommt“, dies sei eine große Herausforderung gewesen, so Thomas Hartmann. Auch für den Komponisten Winfried Grabe war das Projekt etwas völlig Neues: „Ich war unglaublich gespannt, ob das überhaupt funktioniert mit fünf Komponisten, die in verschiedenen Stilen für fünf völlig unterschiedliche Ensembles schreiben, die auch noch von Musikschülern mit bespielt werden. Und es ist sinnvoll zusammengegangen, das war wirklich ganz erstaunlich.“ Den Komponist*innen Thomas Hartmann, Winfried Grabe, Elisabeth Fußeder, Aydin Pfeiffer und Theodor Burkali ist diese herausfordernde Arbeit demnach geglückt. Nach monatelanger Vorbereitung fand die Premiere für alle Beteiligten am 22. Oktober 2023 in einem ausverkauften Saal statt. Vor Beginn des Films gab die Historikerin Dr. Susanne Meinl dem Publikum eine kurze historische Einordnung und berichtete darüber, wie sie den Film als Kopie aufgespürt hat und dass er erfolgreich digitalisiert und restauriert werden konnte. Auch Charlotte Knobloch (Präsidentin Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern) war anwesend und sprach ein Grußwort. Nach der Aufführung sagte sie begeistert: „Aus einem Nichts so etwas herzustellen, mit der Musik, und diesen Film wieder so aufzubereiten, dass wir alle so gebannt waren, das ist ein Meisterwerk.“ Auch der erste Bürgermeister von Grünwald, Jan Neusiedl, begrüßte die anwesenden Gäs­te und war angetan vom Endprodukt des Projektes: „Es ist ja auch ein Zeichen, dass das Herz nicht versteinert. Und das gilt zwischen den Völkern, das gilt auch zwischen Religionen und Ethnien.“ Markus Lentz, Musikschulleiter in Grünwald und Koordinator des Projektes, war nach der Premiere erleichtert, aber auch erstaunt: „Wir hatten nur drei Proben mit dem Film. Und das ist schon sehr gewagt. Aber man merkte von Probe zu Probe: Ja, es könnte klappen.“

Auch die Musikschüler*innen sind nach Abschluss des Projektes erfüllt. Für Stella Reinmuth (Violoncello), Dafne Coviello (Klavier) und Adel Gelazetdinova (Blockflöte) war es der bisher größte Auftritt in ihrer Musikschullaufbahn: „Für mich war es das erste Mal vor so vielen Leuten und auch solo. Ich werde die Erinnerung mitnehmen. Es sind alle so nett und es hat richtig Spaß zusammen gemacht“. Zudem lernten die Musikschüler*innen das Medium „Stummfilm“ intensiv kennen. Alle wussten zwar, dass es Stummfilme früher gab, aber einen gesehen hatte noch keine von ihnen. Auch musikalisch nehmen die Teilnehmerinnen einiges mit: „Vor allem auf den Dirigenten zu schauen und immer zu versuchen, richtig in der Zeit zu sein. Mit dem Klavier spielt man ja nicht oft im Orchester. Und darauf wirklich zu achten und auch im Tempo zu sein, das war auf jeden Fall was Neues“, so Dafne Coviello. Und auch Adel Gelazetdinova ergänzt: „Das Gefühl für den Rhythmus und das innere Zählen hat sich verbessert. Es war schon eine Herausforderung.“

Auch Armando Merino („der/gelbe/klang“), Dirigent des Projektes, sah die Herausforderung, aber auch den Fortschritt der Schüler*innen: „Das fordert eine komplett andere Konzentration. Man muss die ganze Zeit auf den Dirigenten schauen. Das Tempo ändert sich und je nachdem, bist du mit dem Film synchron oder nicht. […] Ein wichtiger Teil des Projektes ist die Annäherung an die Neue Musik für die Schüler und Schülerinnen. Und es ist unser Anliegen, dass Neue Musik auch in einem früheren Alter gespielt wird. Und dann natürlich, im Ensemble zu spielen. Zusammen zu spielen und mit den Profis zusammen.“

Durch die Komplexität des Projektes nehmen wohl alle etwas aus dieser intensiven Zeit mit – sei es das Kennenlernen des Mediums Stummfilm oder Filmmusik zu spielen, genau getaktet zu dirigieren und zu musizieren. An erster Stelle aber steht die Begeisterung für die gemeinsame Sache und das übergreifende Arbeiten zwischen Profi-Musiker*innen, Musikschüler*innen, Komponisten und Lehrkräften der Musikschule.

Aber bedeutet das Ende des Projektes nun auch, dass es keine weiteren Auftritte geben wird? Musikschulleiter Markus Lentz zieht ein erstes Fazit: „Wir sehen, dass alle, die das jetzt geschafft haben, einen Riesenschritt gemacht haben. Wir haben wirklich ein Dreivierteljahr an diesem Projekt gearbeitet. Das führt auch sehr zusammen. Und jetzt diese Begeisterung vom Publikum gespiegelt zu bekommen. Jetzt kam eine Anfrage, ob wir das nicht beim Filmfestival in München nochmal aufführen könnten.“ Man darf also gespannt sein, wie es in Grünwald mit dem „Kalten Herz“ weitergeht.

 

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