Die in Rendsburg am Nord-Ostsee-Kanal verortete Akademie für kulturelle Bildung und nördlichste Musikakademie in Deutschland, das Nordkolleg Rendsburg, blickt in diesem Jahr auf eine 100-jährige Geschichte zurück. Diese ist, von ihrem Beginn bis heute, eine Geschichte der Veränderung.
Doch der Reihe nach: In den Nachkriegsjahren des verlorenen 1. Weltkrieges fanden sich in Rendsburg eine Handvoll Menschen, darunter der frisch eingesetzte 32 Jahre junge Landrat des Kreises, Theodor Steltzer, die in einem kultur- und gesellschaftlichen Zirkel Wege diskutierten, der Bevölkerung vor Ort und in der Region, insbesondere der Generation der verlorenen Jugend, Perspektiven in gemeinsamer Stärkung bieten zu können. So kam es 1921 zur Gründung der Heimvolkshochschule Rendsburg. Die Idee dieser auf der anderen Seite der nahegelegenen dänischen Grenze bereits damals seit mehr als 75 Jahren bekannten Schulform ist es bis heute, in mehrtägigen bis mehrwöchigen Kursen bei gemeinsamer Unterbringung und Verpflegung zu einem intensiven Lernen in Distanz zu den Belastungen des beruflichen oder privaten Alltags zu kommen. Diese Kernidee trägt bis heute.
Ausgelöst durch die 1929 begonnene Weltwirtschaftskrise, geriet die Heimvolkshochschule in finanzielle Schwierigkeiten und meldete 1933 Insolvenz an. Im Jahr 1945 ordnete die britische Militärverwaltung auf Initiative des von der NS-Diktatur verurteilten und nun abermals zum Landrat eingesetzten Theodor Steltzer die Wiederöffnung der Heimvolkshochschule an ihrem heutigen Standort am Gerhardshain an. Von nun an richtete sich der Fokus auf bis dahin wenig beachtete oder während des Nationalsozialismus sogar verfemte Themenfelder: In erster Linie die – auch kulturellen – Bedingungen einer demokratischen Gesellschaft und die damit zusammenhängende Geistesgeschichte. Dies realisierte sich bis in die 70er Jahre hinein überwiegend in halbjährigen Lehrgängen für junge Menschen aus dem gesamten Bundesland. Mit Beginn der 80er geriet dieses Modell der Weiterbildung in Schwierigkeiten. Der gesellschaftliche Wandel einerseits und eine andere Schwerpunkte setzende Bildungspolitik und damit einhergehende Förderung andererseits erforderten eine Kursänderung. Mitte der 80er Jahre erhielt die Heimvolkshochschule mit der Struktur einer gemeinnützigen GmbH eine zeitgemäße gesellschaftsrechtliche Form. 1987 wurde Stephan Opitz Direktor und entwickelte in einer der größten Transformationen in der Geschichte der Institution das Konzept des Nordkollegs, basierend auf einem fokussierten Angebot auf Weiterbildungsangebote in Literatur, Musik und einem Fachbereich mit einem Programm interkultureller Bildung einschl. Sprachentraining für Skandinavier und für deutschsprachige Teilnehmer in den skandinavischen Sprachen. Der einer inhaltlichen Neugründung gleichkommenden Konzeptionierung folgte 1992 die Umfirmierung in die Nordkolleg Rendsburg GmbH. Das innovative und hochqualitative Programm fand in der Folge bundesweit und darüber hinaus Beachtung und setzte neue Maßstäbe für kulturelle Weiterbildungsangebote in intensiven Lern- und Begegnungsformen.
Nach wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Leitungswechseln zu Beginn der 2000er Jahre bestand für die Nordkolleg Rendsburg GmbH im Jahr 2007 unter neuer Leitung die Notwendigkeit einer Restrukturierung. Diese wurde von dem bis heute tätigen Akademieleiter Guido Froese in einem partizipativen Prozess gemeinsam mit den Trägern, dem fördernden Kulturministerium, mit Partnern aus Kultur und Wirtschaft sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angelegt. Die gemeinsam erarbeitete Strategie fußte auf einer wirtschaftlichen Stabilisierung, einer inhaltlichen Erweiterung und auf der Öffnung der Bildungsstätte. Wirtschaftlich legte die Vervierfachung des Gesellschaftskapitals mit erheblicher Verbreiterung der Trägerschaft durch eine Verdoppelung auf heute 24 GmbH-Gesellschafter aus Kultur, Wirtschaft und Gebietskörperschaften den Grundstein für die weitere Entwicklung. Die Übernahme von weiteren Aufgaben und Projekten im kulturellen Zweckbetrieb des Hauses bietet bis heute gemeinsam mit stabilen Zuwendungen ein sicheres Fundament für die vielfältigen Aufgaben der Akademie.
Geöffnet wurde der Campus mit seinen über ein größeres Areal verteilten Gebäuden für landesweit agierende Kulturverbände, Stiftungen, Vereine, Institutionen und kulturwirtschaftlich arbeitende Firmen. Zusätzlich zu den mittlerweile 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Akademie beschäftigen die auf dem Campus angesiedelten Partner nochmals knapp 30 Menschen. Geöffnet hat sich das Nordkolleg aber auch für Tagesgäste, z.B. über ein eigenes Veranstaltungsprogramm mit Konferenzen, Konzerten, Lesungen und vielfältigen Angeboten im weitläufigen Garten, aber auch für Kooperationen mit anderen Kulturinstitutionen. So ist die Akademie z.B. regelmäßig externe Spielstätte für das Landestheater Schleswig-Holstein und Partner eines kleinen Festivals zur Kultur des Ostseeraums.
Eine inhaltliche Erweiterung des Akademieprogramms folgte aus Erweiterungen der vorhandenen Fachbereiche um die Felder Medien, Kommunikation und Kulturwirtschaft sowie über die Durchführung mehrjähriger Projekte. Eine stetige Weiterentwicklung erfährt auch der Fachbereich Musik, der die Teilfunktion einer Landesmusikakademie für Schleswig-Holstein wahrnimmt. Seit 10 Jahren probt und lebt in einer knapp zweimonatigen Arbeitsphase im Sommer das internationale Schleswig-Holstein Festival Orchestra des SHMF auf dem Campus. Vor drei Jahren gründete das Nordkolleg die Musical Academy Schleswig-Holstein. Im Jubiläumsjahr startet die Raschèr Baltic Academy mit einem vielfältigen Programm. Die Aufgabe des Nordkollegs als Landesmusikakademie wird durch Koalitionsbeschluss der Landesregierung von 2017 gerade in einem breiten Prozess mit allen Musikinstitutionen des Landes deutlich gestärkt.
Auf die kontinuierlich steigende Nachfrage nach Angeboten kultureller Bildung und nach der Zusammenarbeit auf dem Campus, hat das Nordkolleg mit dem Ankauf eines benachbarten Akademie-Komplexes im Jahr 2019 reagiert. Mit einer Kapazität von 220 Betten und zahlreichen Seminar- und Büroflächen gehört die Akademie heute zu den größten ihrer Art in Deutschland.
Das Coronajahr 2020 brachte für das Nordkolleg zudem eine erhebliche Beschleunigung der digitalen Transformation mit sich. Ein digitaler Radiosender für Schleswig-Holstein, digitale Mitmachprogramme wie ein Wohnzimmerchor oder der international nachgefragte Bassoon-Saloon und ein eigener Kultur-Streaming-Kanal erweitern den Radius der Akademie kontinuierlich.
Für Guido Froese und sein Team wird auch das Jubiläumsjahr 2021 von Transformationsprozessen geprägt sein. Man arbeitet derzeit an einer kokreativ angelegten Angebotsgestaltung gemeinsam mit dem Publikum und den Nutzergruppen der Akademie.