„Es gibt fast nichts, was einem beim Probespiel nicht passieren kann: Du findest, Du hast schlecht gespielt – und kommst weiter. Du glaubst, die Leistung Deines Lebens abgeliefert zu haben und fliegst in der ersten Runde raus ... Du siehst Leute zusammenbrechen. Einmal habe ich erlebt, wie eine Kandidatin nach der ersten Runde in den Einspielraum zurückkam und wie in Rage immer wieder die Stelle wiederholte, die gerade schief gelaufen war. Das musst Du erstmal alles verarbeiten!“ So beschreibt eine Teilnehmerin des Probespieltrainings der Jeunesses Musicales Deutschland (JMD) ihre bisherigen Erfahrungen auf der „Tournee“, wie das Reisen junger Musiker von Probespiel zu Probespiel, auf der Jagd nach einer Orchesterstelle, nicht ohne Sarkasmus genannt wird.
„In Weikersheim hat man die Möglichkeit, sich fast eine Woche lang nur auf das Thema ,Probespiel‘ zu konzentrieren und das eigene Verhältnis dazu unter die Lupe zu nehmen“, sagt die Geigerin: „Man lernt, anders und gesünder damit umzugehen, bekommt neue Ideen und neuen Mut. Das ist enorm wichtig, denn ein Probespiel gewinnt man im Kopf.“ Die Arbeit suchenden Musiker werden dabei mit einer Welt der Gegensätze, mit scheinbaren Paradoxien konfrontiert, die „unendlichen Stress“ mit sich bringt.
Einerseits treibt die Instrumentalisten der Wunsch nach der perfekten Technik, nach dem schönen und fehlerlosen Spiel. Auf der anderen Seite betonen die Orchester immer wieder, sie suchten nach echten Musikern, nach dem „wahrhaften Künstlertum“.
Die Nachwuchskünstler wollen im Probespiel natürlich nur eins: die Stelle. Diesem Ziel ordnen sie ihr Leben einige Monate, manchmal sogar einige Jahre unter. Sie alle wissen aber gleichzeitig, dass es gesund ist, einen kühlen Kopf zu bewahren, sich nicht zu sehr in dieses Ziel hineinzusteigern. Man muss mit gesundem Selbstbewusstsein und Dickköpfigkeit gesegnet sein, die einen unbeirrt von den zahllosen Mitbewerbern agieren lassen. Gleichzeitig sollten die Musiker sich einen realistischen Blick auf den Markt und die eigenen Fähigkeiten bewahren, der es ihnen ermöglicht, ein Orchester zu finden, das dem eigenen Leistungsvermögen entspricht.
In den letzten Jahren bieten Hochschulen vermehrt, vor allem bei den Bläsern, Unterricht in den Probespielstellen und Repertoire-Ensemblestudien an. Und selbst für die Streicher, die auch heute noch hauptsächlich solistisch ausgebildet werden, engagieren Hochschulen verstärkt Orchestermusiker, die ihre Erfahrungen an den Nachwuchs weiter geben. Auch einige Orchester, vor allem aus der Oberliga, haben mittlerweile die Initiative ergriffen und Akademisten-Programme eingerichtet, in denen sie mit guter Betreuung und der Möglichkeit des langfristigen Kennenlernens für den eigenen Nachwuchs sorgen.
Seit langem schon organisiert die JMD in der Musikakademie Schloss Weikersheim ihr Probespieltraining, und die hochkarätigen Dozenten sowie die zahlreichen ehemaligen und aktuellen Teilnehmer aus mehr als zwei Jahrzehnten bescheinigen diesem Kurs eine Sonderstellung innerhalb des bundesweit wachsenden Angebots. Auf dem sechstägigen Programm stehen täglicher Einzelunterricht bei Mitgliedern der wichtigsten deutschen Orchester und Hochschulen (Berliner Philharmoniker, Gewandhausorchester Leipzig, Bamberger Sinfoniker und andere), häufige Vorspiele, mentales Training, ein Vortrag über Gehör und Gehörschutz, simulierte Probespiele und – auf Wunsch – individuelle Beratung. All dies in der inspirierenden Umgebung von Renaissance-Schloss und barockem Park – der Mensch kommt zur Ruhe und ein klarer Blick auf die eigene Arbeit ist viel leichter möglich.
Die Kursteilnehmer ziehen unterschiedlichen individuellen Nutzen aus den verschiedenen Kurselementen. Einige Punkte scheinen allerdings einem großen Teil der jungen Musiker wichtig gewesen zu sein:
Höchst wertvoll seien zum Beispiel die häufigen Vorspiele vor der eigenen Gruppe. „Man kann soviel üben oder Unterricht haben, wie man will, aber diese Vorspiele sind entscheidend. Nur durch sie bekommt man die nötige Routine, die man für Probespiele so dringend braucht,“ sagt eine 25-jährige Klarinettistin. In Weikersheim kann sich diese Routine in einer Balance zwischen dem Stress der Vorspiel-Situation und der Ruhe, die durch den Wochen-Flow gegeben ist, sehr natürlich aufbauen.
Auch das Verhältnis zu den anderen Studierenden – im „Ernstfall“ Probespiel-Konkurrenten – spielt eine große Rolle: Dadurch, dass die Kursteilnehmer gemeinsam Unterricht haben, essen, feiern und zu Vorträgen gehen, entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das am Schluss zur überraschenden Aussage führt: „Ich habe die ganze Woche über Niemanden als Konkurrent wahrgenommen. Es war sehr unterstützend zu erleben, dass die Anderen oft dieselben Probleme und Sorgen haben wie ich und dass sie auch nur mit Wasser kochen. Oft waren die Tipps, die unsere Dozenten im Unterricht gaben, übertragbar. Es war motivierend zu erleben, dass und wie alle für ihre Sache kämpfen.“
Rundum vom Team der Akademie versorgt, muss sich kein Kursteilnehmer um „Profanes“ kümmern: „Keine Einkäufe, kein Hausputz, kein Telefon – wunderbar!“ Darüber hinaus ist es durch die intensive Betreuung möglich, die Anzeichen von Stress, die selbst in der entspannten Weikersheimer Atmosphäre auftreten können, sofort anzugehen und zu hinterfragen. Vermutlich wird jemand, der sich durch die Abfolge von Mittagessen, mentalem Training, Üben, Unterricht und Abendessen gestresst fühlt, sich auch zuhause durch die oben erwähnten notwendigen Tätigkeiten leicht aus dem Tritt bringen lassen. Wer diese Parallelität als Chance begreift, kann leichter Mechanismen erkennen, die auch im Alltag zu Stress führen und von der Konzentration auf die Arbeit abhalten. Gerade der Dozent für Mentales Training ist hier ein wichtiger Ansprechpartner.
Auch die Dozenten, die neben ihrer Orchesterstelle oft an einer Hochschule unterrichten, beschreiben die Weikersheimer Situation als etwas Besonderes: „Wenn hier jemand zum Unterricht kommt, hat er nicht sofort den nächsten Termin im Nacken. Er muss sich mit den aufgeworfenen Fragen und Problemen auseinandersetzen und weiß, sie stehen nur kurze Zeit später schon wieder auf dem Plan.“ Sogar die Studenten, die einen Weikersheimer Dozenten schon von der eigenen Hochschule kennen, erleben ihn und seinen Unterricht anders als im Semester: Gleichzeitig konzentriert und sehr entspannt. Dozenten und Studierende arbeiten mit einem klaren Fokus, gelassen und mit Blick auf das Ziel.
So erreichen die JMD immer wieder Briefe wie dieser: „Seit Weikersheim habe ich zwei Probespiele gemacht und eins davon gewonnen“ – ist das nicht die bestmögliche Rückmeldung?
Probespieltraining Streicher: 16. bis 22. März 09. Violine: Forchert, Viola: Menninghaus, Cello: Gleissner, Bass: Braun. Holzbläser vermutlich im Herbst 09. Infos, Anmeldung: weikersheim [at] jeunessesmusicales.de (weikersheim[at]jeunessesmusicales[dot]de)