Zwischen 1989 und 1991 kam viel in Bewegung in Regionen, die bald den Titel „neue Bundesländer“ bekamen. Und nun häufen sich dort die 25-Jahre Gründungs-Jubiläen. Rheinsberg in Brandenburg gehört dazu. Für Anfang April 1991 ist der Beginn der Arbeit der dortigen Musikakademie dokumentiert. Wobei von einer funktionierenden Akademie noch nicht die Rede sein konnte. Aber die Idee von Siegfried Matthus und Ulrike Liedtke war umfassend: eine Akademie mit einem Kammeroper-Projekt im Sommer. Und die Initiative hatte soviel Überzeugungskraft und Unterstützer, dass die Akademie entstand.
Ein Gebäude war vorhanden, das ehemalige Gästehaus des Schlosses, Kavalierhaus genannt und in der DDR als Diabetiker-Klinik genutzt. So startete man in einer aparten Mischung aus Museumsbetrieb und Klinik-Bestand. Durchaus ein Kontrast zur ursprünglichen Bestimmung des Terrains als preußische Kronprinzen-Rückzugs- und Vergnügungsstätte! Friedrich bekam das aus der Renaissance stammende, aber frei von damals unbekannten Denkmalschutzideen zum Umbau freigegebene Wasserschlösschen von seinem Vater geschenkt, weil er –durchaus widerwillig – bereit gewesen war, zu heiraten. Die Ehe geriet zur Farce, doch die Jahre von 1736 bis zur Königskrönung 1740 verklärten sich im Lauf der Jahrhunderte immer mehr zur kurzen glücklichen Phase im Leben des berühmten und kriegerisch erfolgreichen „großen“ Friedrich. Eine bedeutende Rolle spielte in Rheinsberg die Musik, ausgeführt von einer beispielhaft gut besetzten Kapelle. Immerhin waren europaweit berühmte Musiker und Komponisten wie die Brüder Graun und Benda, Quantz, Schaffrath und schließlich Carl Philipp Emanuel Bach engagiert. Sie spielten, was Friedrich komponierte und sie komponierten, was er bestellte, vor allem aber spielten sie, wann immer es ihm beliebte und sicherten ihre Stellung und seinen Erfolg, indem sie sein Flötenspiel so begleiteten, dass sein Mangel an – im Wortsinn – musikalischem Taktgefühl nicht auffiel.
Viele Adlige machten sich auf den Weg nach Rheinsberg, suchten die Nähe des Kronprinzen und wollten teilhaben an höfischer Geselligkeit mit Dichtern und Denkern. Rheinsberg bekam eine regelmäßige Postkutschenverbindung (Strecke Hamburg–Berlin) und blieb auch nach Friedrichs Umzug in die königlichen Schlösser von Berlin und Potsdam prinzliche Residenz, nun in der Obhut seines Bruders Heinrich. Dessen Theater-Faible ist der Bau des Schlosstheaters zu verdanken.
Während der Akademiebetrieb im Kavalierhaus schon seine Arbeit aufgenommen hatte, war das Schloßtheater noch ein paar Jahre Ruine. Doch die Nachwende-Euphorie in Verbindung mit hartnäckigem Kultur-Optimismus einiger Rheinsberger Bürger führte schließlich zur Sanierung beziehungsweise Modernisierung. Nun findet man hinter der historischen Fassade einen modernen kleinen Theaterraum, geeignet, einem Kammerorchester eine Bühne und bis zu 300 Besuchern Plätze zu bieten. Und die Idee, viele Stunden des Tages der Kunst zu widmen, ist nicht mehr adliges Privileg, sondern bürgerliches Bildungsgut. Übernachten kann man im modernen Gästehaus, geprobt wird in den ehemaligen Gästezimmern des historischen Kavalierhauses. Gefördert vom Land Brandenburg, dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin und der Stadt Rheinsberg findet in Rheinsberg durchgehend Musik statt: Akademiebetrieb von September bis Juni, Sommeroper im Juli und August. Das war und ist das Modell für Rheinsberg.
2014 zu einer gGmbH mit dem Titel „Musikkultur Rheinsberg“ fusioniert, arbeiten die Kammeroper Schloss Rheinsberg und die Musikakademie Rheinsberg nach diesem bewährten Muster weiter. Letztere avancierte, weil seit 2001 nicht nur mit Landes- sondern auch mit Bundesmitteln ausgestattet, zur Bundesakademie. Die Landesakademie aber besteht seit nunmehr 25 Jahren. Das ist Anlass für ein Jubiläumsfest unter dem Motto „Rückblick – Ausblick“. Die Vergangenheit wird in einer Ausstellung gewürdigt, deren Exponate die langjährige Dramaturgin Dr. Brigitte Kruse sorgfältig auswählt (Remise Schloss Rheinsberg, 2.4.–15.8.2016). Gegenwart und Zukunft werden unter der neuen Leiterin Dr. Juliane Wandel gerade planvoll erfunden, ein Vorgang, über den im Musikmanagement gerne als das „Entwickeln von Visionen“ gesprochen wird. Dazu gehören Konzerte des mehrfach preisgekrönten Armida-Quartetts als Residenz-Ensemble 2016 (12.3., 18.6., 26.11.2016). Oder ein Pfingstfestival, das Kurse und Konzerte unter dem Motto „Neue Musik seit 1736“ vereint und dazu auffordert, die gedankliche Trennung zwischen alter und neuer Musik aufzugeben. Die Nachwuchs-Landesensembles für neue Musik waren mit ihren Leitern schon mehrfach Gäste in Rheinsberg; neu als Dozenten sind die Mitglieder des Ensembles Concerto Melante, deren Kurs- und Konzertangebot sich auf historisch informierte Aufführungspraxis bezieht. Mit seinem Neujahrskonzert setzte Concerto Melante bereits ein umjubeltes Zeichen, der nächste Auftritt findet am Pfingstsonnabend (15.5.16) statt.
Neu auch das Thema Musikvermittlung, zu Pfingsten ein Kurs-Angebot von Catherine Milliken. Die Komponistin und Musikerin wird zum Thema Improvisation arbeiten. Denn was man im 18. Jahrhundert noch konnte – und sei es nur, um den Kronprinzen angemessen zu begleiten – trat zeitweise zurück zu Gunsten der Perfektionierung des Spiels nach Noten; dabei gibt es in der Musik kaum etwas sinnvolleres als zu wissen, wo man sich harmonisch und formal befindet.
Wo Rheinsberg sich befindet, weiß nicht jeder. Aber es ist gut zu finden. Die Brandenburger sind stolz auf ihr kulturelles Juwel nordwestlich von Berlin, umgeben von Seen und Wäldern. Ein Ort, der schon Tucholsky verzauberte. Und auch 2016 ein lohnender Ausflug, bei guter Planung gekrönt von einem Konzert in der Musikakademie!