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Erfahrung: Familienmusizieren

Untertitel
Familienmusikwoche an der Bundesakademie Trossingen
Publikationsdatum
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Johannes rennt seinen Eltern voraus in den Musiksaal. Er möchte beim großen Orchester mitproben, denn morgen wird das Abschlusskonzert stattfinden. Johannes ist sechs Jahre alt und spielt eigentlich noch kein Instrument. Aber hier hat er seine Leidenschaft entdeckt: Die große Trommel, das allergrößte Instrument im Orchester! Neben Opa Frieder am Akkordeon – nicht sein Opa, aber DER Opa, der sehr lustig ist und mit dem man viele Lieder singt – platziert er sich und spielt konzentriert seine 14 voluminösen Töne. Seine Eltern haben inzwischen auch ihren Platz eingenommen: die Mutter (Sozialpädagogin) spielt Flöte, der Vater (Instrumentalpädagoge) unterstützt mit seinem Horn einfühlsam den sechsjährigen Posaunisten Markus. Eigentlich aber erfreuen sich beide Eltern vor allem an ihrem begeisterten Sohn und der souverän paukenden achtjährigen Tochter.

Angemeldet hatte sich die Familie, um gemeinsam zu musizieren und mehr über das gemeinsame Musizieren zu erfahren. Als Amateurmusikerin suchte die Mutter Anregungen und Anleitung für das gemeinsame Hobby, der Vater für seinen Unterricht pädagogische und methodische Hinweise und praktische Folgerungen. Beide sehen im Familienmusizieren ein großes Potential für die ganze Familie und den Beruf. 

Die Tradition des gemeinsamen Musizierens in der Familie beschränkt sich häufig auf die gerade vergangene Weihnachtszeit. Es ist bekannt und diskutiert, warum das gemeinschaftliche Singen in den letzten Jahrzehnten fast bis zum Aussterben zurückgegangen ist. Auch die Tradition der Hausmusik wird oft eher als bürgerliches Relikt wahrgenommen und kaum noch gepflegt.

Eltern werden am Prozess der Musikalisierung ihrer Kinder nach der Grundstufe kaum noch direkt beteiligt; allenfalls unterstützen sie Kinder und Unterricht durch Hilfestellung beim Üben, ganz banal durch den Schülertransport und vor allem mit der Finanzierung der Struktur der Musikerziehung. – Insgesamt aber ein wichtiger Beitrag zur Enkulturation.

Eine neue Perspektive ergibt sich aus der aktuellen Bildungspolitik: Das Erlernen eines Instruments und das Musizieren im Ensemble war bis auf Schulchor und –orchester vorwiegend eine Domäne des außerschulischen Musikunterrichts, der so per Definition überwiegend am Nachmittag, Abend, an Wochenenden oder in den Ferien stattfand. Die allgemein bildende Schule bindet die Kinder und Jugendlichen jetzt auch nachmittags, so dass die traditionellen musikalischen Lernorte kein Zeitfenster mehr finden. Die daraus auch resultierende zeitliche Belastung der Schülerinnen und Schüler führt häufig zum Verzicht auf außerschulische Aktivitäten, wobei das Erlernen eines Instruments oft noch vor sportlichem Engagement oder der Teilhabe an kirchlicher/sozialer Jugendarbeit aufgegeben wird. Die  Stärkung und Bündelung des Bildungsauftrags an die allgemein bildende Schule erfordert gerade deshalb neue Formen der Elternbeteiligung, wobei das Familienmusizieren für den kulturellen Sektor ein optimales integratives Modell ist.

In Erkenntnis dieser Perspektive wurden in den letzten Jahren innovative Angebote zum Erhalt einer vielfältigen Musikszene entwickelt, die institutionen- und fächerübergreifend eines gemeinsam hatten: Die Mitwirkung und Mithilfe des Elternhauses wurde unverzichtbar. Die Modelle sind in der Szene gut bekannt (Jeki, Momo, Singepaten, Konzertpädagogik, u.a.).

Das Familienmusizieren – kulminierend in den „Familienmusikwochen“ – hat eine lange und gute Tradition, die aber gerade von jüngeren Menschen gelegentlich als nicht mehr zeitgemäß empfunden wird. Es galt also, die soziale Situation und die damit verbundenen Lernmöglichkeiten in Korrespondenz zum aktuellen methodischen Kontext zu bringen, um gerade auch für die junge (Eltern-)Generation von Musikpädagogen dieses Arbeitsfeld zu eröffnen.

Dazu wurden neben Familien auch (Musik-)Pädagogen eingeladen, um ebenfalls mit der eigenen Familie eine Musikwoche zu erleben und gemeinsam mit Kolleginnen und dem Dozententeam zu reflektieren; Ziel war, das didaktische Konzept und seine Methoden in die eigene Unterrichtspraxis zu transferieren und zu integrieren. – Besonders dieser Ansatz wird nach der erfolgten Evaluation in die künftige Multiplikatorenfortbildung übertragen. Das Angebot wurde von Lehrern, Sozial- und Musikpädagogen sowie in der freien Kinder- und Jugendarbeit Tätigen wahrgenommen.

Das Dozententeam konnte auf vielfältige Erfahrungen in Familienmusikwochen (beispielsweise des amj), besonders aber auch aus der berufsbegleitenden Fortbildung an der Bundesakademie zurückgreifen: Eltern-Kinder-Gruppen, Elternarbeit in der Grundstufe der Musikschule, das „offene Singen“, und auch das gemeinsame Singen und Musizieren mit Kindern vor der musikalischen Früherziehung. Besonders im Bereich der „Elternarbeit“ wurde die Rolle und Beteiligung der Eltern im Prozess der Musikalisierung reflektiert und in Bezug zum methodischen Angebot gesetzt – ein zentrales Thema auch für das Familienmusizieren.

Nach einer intensiven Familienmusikwoche an der Bundesakademie haben die Teilnehmenden neue Erfahrungen mit nach Hause genommen: Die (Musik-)Pädagogen haben einen Perspektivenwechsel vollzogen, indem sie selbst als beteiligte mitmusizierende Eltern aus der reinen Pädagogenrolle ausstiegen und unmittelbar involviert waren. Sie konnten reflektieren, wie man diese Erkenntnis in den Alltag transferieren kann, welche Schlussfolgerungen, Konsequenzen und Veränderungen daraus entstehen können. Die „Laien“ unter den beteiligten Eltern nahmen die Familie neu als musikalische Einheit wahr, die gemeinsam auf unterschiedlichem Niveau und In-strumenten musizieren kann.

Die nächste Familienmusikwoche an der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen:

26. Juli bis 06. August 2009
Tel. 07425/949 30, Mail info [at] bundesakademie-trossingen.de (info[at]bundesakademie-trossingen[dot]de)
www.bundesakademie-trossingen.de

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